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Der Krieg ist das Verbrechen
Jochanan Trilse-Finkelstein
Zwei freie Theatergruppen in Berlin befassen sich mit dem leider immer noch und immer wieder aktuellen Thema Krieg: das deutsch-polnische Teatr Studio, geleitet von der Schauspielerin Janina Szareck und dem Philosophieprofessor Olav Münzberg in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Horst Ruprecht, der an der Transform-Schauspielschule Berlin lehrt; Titel des Abends am Salzufer: »O Krieg, Du Sohn der Hölle« (nach einem Shakespeare-Vers). Und die Berliner Compagnie in Kreuzberg mit »Die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch« nach der bösartigen Phrase eines leidlich bekannten Politikers einer fast schon vergessenen Partei, die sich von dem historischen Sündenfall der Kriegskredite von 1914 niemals erholt hat (schlag nach bei Tucholsky, der das aber noch zu harmlos sah); der Politiker namens Struck kämpft übrigens nicht in den kalten Bergen des Hindukusch, sondern sitzt im warmen Reichs-Bundes-Tag und trinkt seinen Kaffee dort. Gegen den Krieg, in den er deutsche Soldaten schickt, kämpfen die beiden Berliner Theatergruppen.
Die am Salzufer arbeitet mit hohen Ansprüchen. Sie wählte Stücke von besonderem Format wie Ausmaß: Shakespeares »Heinrich VI.« (drei Teile, gewaltig eingestrichen, auf eine Frage konzentriert) und die »Troerinnen« des Euripides in einer Übersetzung von Sartre und Hans Mayer, stark gekürzt und hochpolitisch. Man stelle sich das vor: Die 280 Druckseiten der Originalfassung des »Heinrich VI.« und die 80 Seiten der »Troerinnen« ergäben eine Spieldauer von acht bis zehn Stunden, etwa wie bei Peter Stein. Bei Ruprecht sind es weniger als drei Stunden.
Nun ist Streichen und Bearbeiten nichts Neues am Theater, oft ist es notwendig. Früher waren die Stücke meist noch zu erkennen. Die Mode des totalen Bearbeitens bis zur Unkenntlichkeit kam erst in der letzten Generation auf, der des sogenannten Regietheaters. Man will etwas anderes, als in den Stücken steht, heraus kommt meist Schlechtes. Hierfür gilt: Schreib Dir ein neues, eigenes Stück für die eigene Aussage. Oder Peter Hacks’ Dictum: Man kann Shakespeare bearbeiten, wenn man es kann! Die meisten können es nicht.
Ruprecht kann es auf seine eigene Weise. Angeregt durch Giorgio Strehlers Inszenierungen der Shakespeare-Dramen über die Rosenkriege (»König Heinrich IV.« bis »VI.«, »Richard II.« und »III.« aus den Jahren 1948 bis 1975) sowie die Palitzsch-Produktionen der späten Sechziger bringt er als Grundidee die Schrecken des Kriegesüber die Rampe, den mörderischen Kampf der Parteien des Hochadels (Rote und Weiße Rose), dem die meisten Lancasters und Yorks selbst zum Opfer fallen, bis die Tudors 1485 die Macht des Königtums gefestigt haben. Am stärksten trifft es allemal das Volk. Doch diese Szenen fehlen. Als Ersatz läßt er »Die Troerinnen« spielen. Andromache, Hekuba und Kassandra (Tatjana Albrecht, Eva Kölling, Anja Schlüter) zeigen das Leiden der Opfer. Auffällig: Frauen spielen Männer-Rollen, theatergeschichtlich unüblich; umgekehrt galt es früher als Norm. Solistisch zu nennen sind noch Lorenz Eiche als Heinrich VI. und griechischer Soldat, Fares Bouattoura als York und Menelaos, besonders Nicolas Krüger in vielen Rollen, vor allem als Spielleiter und Maestro der Musik. Furios auf kleiner Fläche die Kampf- und Fechtszenen (einstudiert von Karlheinz Bauer). Im Hintergrund steht ein Gerüst, rechts oben ein schiefer goldangestrichener Stuhl: der Thron: Auf den wollen viele, kommen an – als Leichen! Am Ende steht bereits Richard Gloster, bekannt als der Dritte, bereit (ausgezeichnet David Matla). Die jungen Mimen agieren außerordentlich beteiligt, meist diszipliniert, sehr lautstark, was nicht immer nötig ist. Vorsicht mit den jungen Stimmen!
Nicht ganz so jung, doch nicht minder kräftig und entschieden die fünf Spieler der seit 1978 agierenden Compagnie (Warning, Menzel, Fries, Jost, Wendt) unter der Regie von Elke Schuster. Sie benutzen keine historische Vorlage, sondern erarbeiteten sich (als Autorin wird Helma Fries genannt) eine eigene aus zeitgenössischem Material. Zusammengefaßt ist es in einem mehr als 80 Seiten dicken Programmheft im A 4-Format, gut geeignet für politische Lehrstunden, mit Texten von fast 20 Autoren von Avnery und Brecht über Seymour Hersh bis Jürgen Todenhöfer und Howard Zinn sowie einer Bibliografie mit über 40 weiteren Titeln. War die 90-Minuten-Aufführung die Lehrstunde, ist das Heft die Hausaufgabe. Lest! Bereitet nach!
Die Aufführung erzielte unmittelbare Wirkung. Die kleine Bühne war an den Seiten und hinten schwarz verhängt, in der Mitte stand eine auffällig präparierte, verstellbare, vielseitig nutzbare Leiter. Mit ihr bauten sich die fünf Spieler den Raum, den sie brauchten. Mit den spielerischen Mitteln des Agitprop-Theaters ergründeten und erklärten sie die Ursachen und Erscheinungen des schmutzigen und wahnwitzig teuren Krieges in Afghanistan. (Man stelle sich die rund 150 Milliarden für zivilen Aufbau vor, der von westlicher Seite kaum geleistet, mehr vorgetäuscht wird!) Und was haben die USA tatsächlich erreicht? Sie besitzen nun inmitten Asiens einen Stützpunkt, den sie so bald nicht aufgeben werden.
Hier wird mit bescheidenen Mitteln ein Stück politischer Aufklärung geboten, das im Fernsehen gezeigt werden müßte, hätten wir ein fortschrittlicheres TV-System. Haben wir leider nicht.
Also wandert die Gruppe landauf, landab. Engagiert sich und läßt sich engagieren.
Erschienen in Ossietzky 4/2009
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