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Die Unterwanderung
Paul Schreyer
Manchmal sind es Kleinigkeiten. Man sitzt beim Frühstück und überfliegt die Überschriften wie jeden Morgen. Nichts Überraschendes. Die üblichen Krisen, Streitereien, ein Krieg im Nahen Osten, das Wetter unbeständig. Und dann fällt einem doch noch das Brötchen aus der Hand. Wegen einer kleinen Meldung, kaum beachtet von den Agenturen. Es geht um die IJU, die Islamische Jihad Union, eine Terrorgruppe, die Anschläge in Deutschland geplant haben soll.
Rückblick: Im September 2007 verhaften Ermittler deren »Sauerland-Zelle« eben dort im braven Medebach-Oberschledorn. Eine koordinierte Aktion und ein großer Erfolg für die Sicherheitsbehörden, gefolgt von einer Pressekonferenz der Generalbundesanwältin. Diese erläutert vor medienwirksamer Kulisse eindringlich die gerade abgewendete Gefahr. Große blaue Fässer sind dort aufgestapelt, drohende Indizien im Blitzlichtgewitter der Kameras. In diesen Fässern, so erfährt man, war ein Teil des Sprengstoffs gelagert. Die Presse staunt. Zum Glück haben die Ermittler noch rechtzeitig zugeschlagen.
Eineinhalb Jahre später, im Februar 2009, kurz vor Beginn des Prozesses gegen die Terrorzelle, nun dieser Bericht in der Online-Ausgabe des Stern: »Mutmaßlicher CIA-Mann war ›der Chef‹«. Da fällt das Brötchen. Sicher, der Spiegel hatte schon im letzten Herbst eine kleine Meldung im Heft gehabt: »CIA unterwanderte IJU«. Doch wer hatte die gelesen oder gar in den Medien ernsthaft diskutiert? Nun legt der Stern nach:
»Der mutmaßliche CIA-Informant (Mevlüt K.) aus Rheinland-Pfalz soll in den Attentatsvorbereitungen dieser Terrorzelle eine zentrale Rolle gespielt haben, wie aus Ermittlungsunterlagen des BKA hervorgeht. Demnach soll er die Person mit dem Tarnnamen ›sut‹ sein, über den die Beschaffung der 26 Sprengzünder maßgeblich gelaufen sein soll. Fritz Gelowicz soll mit ›sut‹ konspirativ kommuniziert haben. (...) Unter der Führung von Mevlüt K. seien auch weitere sechs Zünder nach Deutschland zur ›Sauerland-Gruppe‹ geschmuggelt worden, aus dem Kosovo, wie die Terrorermittler herausfanden. Fünf serbische Islamisten sollen daran beteiligt gewesen sein, von denen einige im niedersächsischen Bad Harzburg gemeldet sind. Aus abgehörten Gesprächen geht hervor, daß Mevlüt K., der mutmaßliche CIA-Informant, für sie ›der Chef‹ war, von dem die jeweiligen Anweisungen kamen. (...) Doch Mevlüt K., der mutmaßliche CIA-Mann, lebt nach stern.de-Informationen in der Türkei als freier Mann.«
Soweit die Stern-Recherchen. Das Fernsehen schweigt dazu. Ganz anders als im Herbst 2007 bei der großen Pressekonferenz. Es hatte auch schon geschwiegen, als bekannt geworden war, daß der Sprengstoff für die Anschläge auf Vorortzüge in Madrid 2004 von einem Spitzel des spanischen Geheimdienstes geliefert worden war. Keiner der bekannten Terroranalysten oder Politiker kommentiert es.
Das Schöne an der freien Presse ist wohl, daß man sie nicht konsumieren muß. Man kann sie ignorieren. Die Meldungen regnen wie buntes Konfetti zu Boden. Was nicht aufgehoben wird, spült der Regen weg. War da was?
Nein, da war nichts. Nichts, bis auf ein paar neue Gesetze. Das Bundeskriminalamt soll nun private Festplatten ausspähen dürfen, Wohnungen mit Videokameras und Wanzen überwachen, »vorbeugend ermitteln«. Die Grenze zwischen Polizeiarbeit und Geheimdienstschnüffelei wird verwischt. Na und? Wir haben ja nichts zu verbergen.
In Großbritannien ist man schon weiter. Mehrere Wochen dürfen britische Bürger dort in Untersuchungshaft gehalten werden – einfach auf Verdacht, ohne jede Anklage. Anti-Terror-Gesetze machen es möglich. Wer sich verdächtig macht, bekommt schon mal eine elektronische Fußfessel und steht sodann per polizeilicher »Kontrollverfügung« unter Hausarrest. Notfalls zeitlich unbeschränkt. Selbstverständlich ohne Gerichtsprozeß.
Derweil ließen nicht nur US-amerikanische Behörden unter Präsident Bush Verdächtige zur »Erkenntnisgewinnung« im Ausland foltern, sondern auch schon die Deutschen, zum Beispiel das Bundeskriminalamt im Libanon, wie die Zeit in einem ausführlichen Artikel berichtete.
Ein Flair von Ausnahmezustand liegt in der Luft. Und wird ständig wach gehalten, denn in fast schon regelmäßigen Abständen decken die Behörden neue Anschlagsplanungen auf. Pressekonferenz, Sicherheitsdebatte – und dann, später, nach einem Jahr oder zwei, sickert es durch: Wieder waren Geheimdienstspitzel beteiligt, lieferten die Zünder, den Sprengstoff. Der örtliche »Haßprediger« war wieder mal ein V-Mann des Verfassungsschutzes (wie im Fall der Sauerlandzelle). Es folgen neue Gesetze, noch schärfere Regelungen. Keine Wasserflaschen und Nagelscheren mehr im Flugzeug, immer weniger Bürgerrechte am Boden. Was geht hier eigentlich vor?
Bis jetzt sind es nur Indizienketten, keine Beweise, die auf das schwer zu Glaubende hindeuten. Sollten Sicherheitsdienste tatsächlich einige fanatisierte Islamisten geschickt am Gängelband führen? Um Vorfälle zu provozieren, die nach einer – vorbereiteten – Antwort rufen?
Offensichtlich ist, daß die Angst vor drohenden Terroranschlägen den öffentlichen Rückhalt für die westlichen Kriegseinsätze im Nahen und Mittleren Osten stärkt. Die seit dem 11. September 2001 in Gang gesetzte Dynamik wirkt auf allen Ebenen: Eskalation, Aufrüstung, Angriff. Dies ist die Politik einer Personengruppe, die viel zu verlieren hat und mit Macht den Status Quo sichern will.
Die Hoffnung auf Obama könnte täuschen. Gerade jetzt, Anfang 2009, versucht eine Lobbygruppe um den ehemaligen Vier-Sterne-General Keane diskret, die Irak-Rückzugspläne des neuen Präsidenten aufzuweichen. Militärische Gründe werden vorgeschoben, doch ein Blick auf die aktuellen Jobs des Ex-Generals verrät mehr: Aufsichtsrat beim Rüstungsgiganten General Dynamics, »Senior Advisor« beim »Private Equity«-Schwergewicht KKR. Die Netzwerke haben gerade erst angefangen, die neue US-Regierung zu bearbeiten.
Einige halten das für Verschwörungstheorie. Man argumentiert, die neuen Kriege seien viel zu teuer, als daß die unterstellten Ziele (zum Beispiel »Blut für Öl« im Irak) einen Sinn ergeben würden. Die Einsätze seien einfach unrentabel und deshalb wohl kaum gezielt provoziert worden. Auf den ersten Blick leuchtet das auch ein. Natürlich, warum soll ein Land mehr Geld für einen Krieg ausgeben, als es je dabei gewinnen kann?
Eine einfache Entgegnung lautet: Die Leute, die den Krieg bezahlen, sind andere als diejenigen, die von ihm profitieren. Dieses Argument ist so offensichtlich, daß verwundert, wie wenige Menschen es wahrnehmen. Die exorbitanten Kriegskosten in Afghanistan und dem Irak werden vom Steuerzahler getragen. Von den direkten und indirekten Folgen der Kriege profitieren dagegen einzelne Branchen und Firmen, die man sehr genau ausmachen kann.
Politisch eng vernetzte Baukonzerne wie Bechtel, Parsons, KBR (die oft ohne öffentliche Ausschreibung zum Zug kommen), Ölkonzerne, vor allem die drei profitstärksten Unternehmen weltweit: Exxon, Shell und BP mit einem Gesamtreingewinn von 80 Milliarden Dollar (im Jahre 2007), selbstverständlich die Rüstungsbranche (Pentagon-Etat 2009: über 500 Milliarden Dollar, die höchste Summe seit dem Zweiten Weltkrieg) und »Private Equity«-Unternehmen vom Schlage Carlyle, zu dem der Guardian 2001 schrieb: »Das Besondere an Carlyle ist die Art, mit der es seine politischen Kontakte benutzt. Als Carlucci (Ex-US-Verteidigungsminister) dort 1989 begann, brachte er eine Riege von ehemaligen CIA- und Pentagon-Untergebenen mit sowie ein Bewußtsein für die Größe des Geschäfts, das ein Unternehmen wie Carlyle in den Washingtoner Korridoren entfalten könnte. Über 15 Jahre hat die Firma eine Rendite von 34 Prozent erwirtschaftet und ist nun nach eigener Aussage das größte ›Private Equity‹-Unternehmen der Welt.« Sieben Jahre nach diesem Bericht spielt Carlyle immer noch in der Oberliga und gehört zusammen mit gefürchteten Branchenriesen wie KKR zu denjenigen, die mit eisernen Renditedogmen die Globalisierung vorantreiben.
Würden sich derartige Entwicklungen in einem Drittweltland abspielen, spräche man wohl von Korruption. Doch leider sind es die USA, unsere führende Weltmacht, die mit großer Selbstverständlichkeit unter dem Einfluß solcher Netzwerke regiert werden. Großbritannien ist dabei ein verläßlicher Partner. Und Deutschland läuft mit auf dem Weg in die erste Liga der Großmächte. Die scheinbar regelmäßigen Terroranschläge sind so vielleicht nur der Begleit-Theaterdonner für eine Inszenierung, in der es mehr um Geldflüsse geht als um Ideologien.
Fast vergessen scheint inzwischen auch, wie es zum Krieg in Afghanistan gekommen ist. Ein Blick ins Zeitungsarchiv hilft weiter. Bereits in den letzten Tagen der Regierung Clinton berichtete zum Beispiel die Washington Post, die Vereinigten Staaten hätten »still begonnen«, sich mit jenen Kräften in der russischen Regierung zu verständigen, die ein militärisches Vorgehen gegen Afghanistan forderten. »Bevor man unter lokalem Druck zurückwich, ging man so weit zu erkunden, ob ein zentralasiatisches Land sein Territorium für einen solchen Zweck zur Verfügung stellen würde«, so die Zeitung weiter. Rußland und die USA diskutierten, »welche Art von Regierung die Taliban ersetzen sollte«.
Es stellt sich die Frage: Warum wollten die USA »die Taliban ersetzen«? Wegen der Frauenrechte? Wegen des 11. September? Die zitierte Zeitungsmeldung erschien, wie gesehen, neun Monate vor dem Anschlag.
Vielleicht sind die Gründe doch eher in schnöder Geostrategie zu suchen. Ein Denksport, der den meisten Menschen fremd ist. Doch Legionen von Sicherheitsberatern und Think Tanks werden exakt dafür bezahlt, solche langfristigen Planungen und Modelle auszuarbeiten. Truppen in Zentralasien, um China einzudämmen? Den Iran zu kontrollieren? Strategische Basen im Land der Pipeline-Routen? Dazu eine globale Machtdemonstration, schlicht zur Einschüchterung unwilliger Regime?
Verteidigungsminister Jung scheint das nicht zu interessieren. Auch sein Vorgänger Struck oder die Kanzler Schröder und Merkel stellten solche Fragen nie. Alles scheint einem blinden Automatismus zu folgen, auf den auch die regierungsnahe »Stiftung Wissenschaft und Politik« 2008 in einer Studie hinwies: »Unter den Bedingungen einer Operation zur Aufstandsbekämpfung wie in Afghanistan (...) wird die politische Führung zukünftig vermehrt offensive Operationen unterstützen müssen.« Aufstandsbekämpfung – man hat richtig gelesen – ist demnach der neue Kernauftrag der Bundeswehr in Zentralasien. Das klang Ende 2001 noch ganz anders. Im damaligen UNO-Mandat war von einer »Sicherheitsbeistandstruppe« für einen Zeitraum von sechs Monaten (!) die Rede gewesen.
Vergessen auch dies: Nachdem Flugzeuge in die Türme des World Trade Center gestürzt waren und die US-Regierung umgehend die Auslieferung des Verdächtigen Bin Laden gefordert hatte, reagierten die Taliban überraschend rational. Sie erklärten sich zur Auslieferung bereit, forderten aber Beweise für die Verwicklung des Gesuchten in die Anschläge. Die USA wollten – oder konnten – diese nicht liefern. Bis auf ein unscharfes Video, Wochen später vom Pentagon veröffentlicht, auf dem Bin Laden angeblich seine Planung erläutert, liegt bis heute nichts vor, worauf man einen Gerichtsprozeß stützen könnte.
Die Regierung in Washington gibt zwar vor, inzwischen die beiden Hauptplaner der Anschläge vom 11. September gefangen zu haben (Ramzi Binalshibh und Khalid Sheikh Mohammed). Doch verweigert sie ihnen zugleich – nun schon mehr als fünf Jahre lang – einen öffentlichen und transparenten Prozeß. Ob sich dies unter Obama ändert, bleibt abzuwarten.
Die Indizien allerdings zeigen inzwischen in eine ganz andere Richtung. Zwei der wichtigsten Flugzeugentführer des 11. September etwa hatten vorher unter intensiver geheimdienstlicher Überwachung gestanden. Die CIA protokollierte ihre Teilnahme an einem Terror-Meeting 2000 in Malaysia und die anschließende Einreise in die USA. Dort lebten die beiden direkt bei einem Informanten des FBI. Dessen Aussage vor der »9/11 Commission« wurde allerdings vom US-Justizministerium blockiert. Senator Graham, dem Vorsitzenden einer parlamentarischen Untersuchungskommission, wurde mitgeteilt, daß die Regierung »ein Interview der Quelle nicht erlaube«. Parallel dazu erhielt eben dieser Informant vom FBI eine Prämie von 100.000 Dollar, wie ein interner Revisionsbericht der Behörde in einer Fußnote (auf Seite 252) erwähnt. Diese Information wurde fast noch besser versteckt als der Zeuge selbst. Wieder ein kleiner Konfettischnipsel, der zu Boden fällt – vergessen nach nur wenigen Tagen.
Wie die Lieferanten der Zünder im Sauerland. Kleinigkeiten eben.
»Deep Politics«, Tiefenpolitik, nennt es der kalifornische Professor Peter Dale Scott. Unter der medial gespiegelten Oberfläche laufen Prozesse ab, deren Langfristigkeit das Aufnahmevermögen und die Vorstellungskraft manchen Beobachters sprengt.
Zum Beispiel Indonesien, ein Land mit über 200 Millionen Einwohnern, US-amerikanischer Einflußbereich seit Jahrzehnten. Erst holländisch, Ende des zweiten Weltkriegs japanisch, dann unabhängig. 1965 putschte das Militär, unterstützt von den USA. Eine Million Tote. Der indonesische Geheimdienst agiert seitdem mit tatkräftiger Unterstützung der CIA. Diktator Suharto, ein enger Verbündeter der USA im Kalten Krieg, tritt erst in Folge der Wirtschaftskrise 1998 zurück. Danach gibt es freie Wahlen. Die neue Präsidentin verweigert nach dem 11. September 2001 ihre Gefolgschaft im »War on Terror« und wird von der Bush-Regierung deshalb unter Druck gesetzt. Auf der anderen Seite nimmt auch das Nachbarland Australien die neue Terrorgefahr nicht so ernst wie gewünscht.
Dann die Auflösung: Der Bombenanschlag auf Bali am 12. Oktober 2002 fordert nicht nur über 200 Tote, zumeist australische Touristen, sondern beseitigt auch eben diese Probleme. Indonesien folgt nun den USA, genau wie Australien, das nach der Bomben-Attacke eine besonders scharfe Einschränkung der Bürgerrechte in Form von »Anti-Terror«-Gesetzen beschließt. Doch bald wird deutlich: Die Attentäter hatten Kontakte zum indonesischen Geheimdienst.
New York 2001, Bali 2002, Madrid 2004, London 2005, Deutschland 2007 – was geschieht wirklich? Ein aufmerksamer Beobachter kommt nicht umhin, ein Muster zu erkennen. Viele der Terroranschläge der letzten sieben Jahre erscheinen, so betrachtet, nicht mehr nur als Angriff eines globalen militanten Islamismus (den es unbestreitbar gibt), sondern zugleich als Druckmittel einer globalen Machtclique gegenüber eigenständigen Regierungen – oder einem unwilligen Volk. »Wer nicht für uns ist, ist für die Terroristen«, dieses berühmte Zitat von Präsident George W. Bush ist mehr als eine markige Floskel – nämlich der Ausdruck einer gewollten Polarisierung.
Die aktive Unterwanderung islamistischer Terrorzellen durch amerikanische Geheimdienste und ihre Verbündeten ist für diese Form von »Deep Politics« womöglich nur ein folgerichtiger Schritt.
Die diesem Artikel zugrunde liegenden Quellen sind unter www.paul-schreyer.de/recherchen.html online verlinkt.
Erschienen in Ossietzky 4/2009
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