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Deutschland in der Spitzengruppe
Werner René Schwab
Die Bundesrepublik Deutschland hat in der weltweiten Konkurrenz um soziale Ungleichheit eine Spitzenposition erreicht, ganz nah bei den USA. Denn die Armen werden immer ärmer, wenige Reiche immer reicher. Und die Einkommensschere wird sich weiter öffnen – das ist keine Behauptung von links, sondern eine Feststellung der internationalen Wirtschaftsorganisation OECD. Doch Kapital und Kabinett werden sicher wie bisher die Einführung eines Mindestlohns ablehnen oder zumindest erschweren.
Nach Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes würde der Mindestlohn sofort einen Nachfrageschub von zehn Milliarden Euro auslösen, die vor allem der inländischen Konsumwirtschaft zugute kämen. Und wenn die erbärmliche Hartz-IV-Unterstützung auf 470 Euro im Monat erhöht würde, brächte das sieben Milliarden Euro im Jahr. Angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise und der zurückgehenden Exporte wäre eine Stärkung der Massenkaufkraft genau das richtige Mittel gegen die Rezession. Das weiß jeder. Dennoch wettern Unternehmerverbände und ihnen hörige Politiker gegen die Einführung eines Mindesteinkommens und die Überwindung der Hungerlöhne. Dadurch könnten sich ja die Profite verringern. Was kümmert es das Kapital, daß hierzulande 5,5 Millionen Beschäftigte weniger verdienen als den von dem Gewerkschaften geforderten Mindesttarif von 7.50 Euro pro Stunde (in den meisten anderen Ländern der Europäischen Union gilt ein höherer Mindestlohn), 1,9 Millionen gar noch unter fünf Euro. Was kümmert es das Kapital, daß mehr als 1,35 Millionen Erwerbstätige zusätzlich zum Lohn noch Hilfe nach Hartz IV benötigen, um überleben zu können? Was kümmert es das Kapital, daß kürzlich in einer Umfrage 70 Prozent der Deutschen die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn unterstützen, darunter auch die Hälfte der FDP-Anhänger?
Und um wen kümmern sich die regierenden Politiker? Sie sorgen sich um die Banken und erfüllen deren Wünsche: Dürfen es noch ein paar Milliarden mehr sein? »Der Staat muß notfalls Zwang anwenden, daß Banken, denen Illiquidität droht, staatliche Gelder annehmen«, forderte Hans-Werner Sinn, Chef des Ifo-Instituts, schon kurz nach Beginn der Finanzkrise. Aber auch dann müsse sich die Politik aus den Banken-Geschäften heraushalten, fügte er sogleich hinzu – in voller Übereinstimmung mit allen Bankiers, die sich jedoch nicht ernsthaft vor staatlicher Einmischung zu fürchten brauchen. »Der Staat ist zwar der größte Anteilseigner bei Telekom, aber er redet der Führung ja auch hier nicht ins operative Geschäft hinein«, beruhigte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Unternehmer, Börsianer, Spekulanten und sonstigen Nutznießer des staatlichen »Rettungsschirms«. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ergänzte: »Der Staat darf sich im Bereich der Wirtschaft nicht dauerhaft mehr Aufgaben aneignen. Wir brauchen nicht mehr Staat.« Die Fürsorge der baden-württembergischen FDP-Landesvorsitzenden Birgit Homburger für die Unternehmerherrschaft geht sogar so weit, daß sie sie von der Verantwortung für die Krise freispricht: »Nicht etwa das Wirtschaftssystem selbst hat versagt, sondern die Politik, die nicht genau hingesehen hat.« Ja, was denn nun? Eigentlich verlangt sie unisono mit ihren Parteifreunden, die Politiker sollten der Wirtschaft nicht in ihr Tun und Lassen hineinreden. Also hinsehen, ohne hineinzureden?
Aber nein, der Staat soll nicht untätig danebenstehen. Wenn es den Bankiers und Industriellen an Geld fehlt, weil sie es verzockt haben, soll der Staat ihnen frisches zuschieben. Woher nehmen? Der Bundestagsabgeordnete Philipp Mißfelder (CDU). Bundesvorsitzender der Jungen Union, weiß es: »Der Staat muß das Skalpell bei den ausufernden Gesundheitskosten und Renten ansetzen.« Kurz: Die Armen müssen einfach noch ärmer werden.
Erschienen in Ossietzky 4/2009
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