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Kriminalität in Krisenzeiten
Sergej Guk
Zeiten der Wirren spornen die Erfindungskraft und Überlebenskunst der Menschen an. Vor allem belebt sich die Phantasie der Unterwelt. Bis vor kurzem machten die Bauernfänger ihre krummen Finanzgeschäfte überwiegend mit schnellen Krediten. In Zeitungsinseraten stellten sie den Leichtgläubigen hohe Summen binnen einer Stunde in Aussicht. Ohne Bürgschaft. Ohne überprüfte Einkommensangaben. Aber wehe dem, der anbiß: Ihm wurde mit Sicherheit das Fell über die Ohren gezogen.
Nun lese ich von einer neuen Masche: Lästige Verbindlichkeiten, die Sie nicht begleichen können/wollen? Wir helfen Ihnen, sämtliche Schulden loszuwerden. Verläßlich bei angemessener Vergütung.
Wen mögen die Kriminellen zum Opferlamm bestimmt haben – den Gläubiger oder seinen faulen Kunden? Oder vielleicht beide?
Aber auch phantasielose Verbrechen haben schon wieder Konjunktur. Bewaffnete Täter überfallen Abholer von Bargeld aus den Banken oder Kaufhäusern und knallen sie nieder. Auch in den Banken und Sparkassen lauern die Gauner auf die Kunden, die Cash kassieren, und erleichtern draußen deren Portemonnaies. Nicht selten werden Rentner mit ihren kläglichen Altersgeldern zum Opfer. Gastarbeiter aus den ehemaligen Sowjetrepubliken und Russen aus der Provinz, die in Moskau ihr Glück suchen und stattdessen das Arbeitslosenheer mehren, kommen immer öfter in die polizeiliche Statistik. Als Straßenräuber, als Einbrecher in Wohnungen und Landhäuser, als Taschendiebe, als Gewalttäter.
Die Kriminalität der »weißen Kragen« bereitet den Untersuchungsrichtern nach wie vor Kopfschmerzen. »Eigentumswohnungen – problemlos, rasch und unter Preis«: eine sichere Mausefälle, besonders beim heutigen Wertverlust des Geldes. Manche Schwindelbaufirmen bringen es fertig, eine und dieselbe Wohnung zwei- bis dreimal an verschiedene ahnungslose Kunden zu verkaufen. Dadurch verdienen die Gauner Hunderte Millionen Rubel. 13.000 nicht unerfahrene Unternehmer fielen vor kurzem auf das verlockende Angebot herein, in die Goldminen in der Türkei und in Peru zu investieren. Der Betrüger hatte das Geschäft groß aufgezogen und überall in Rußland Filialen eröffnet. Sein Erlös betrug mehr als 500 Millionen Rubel. Über die Dauer des Knastaufenthalts wird nun das Gericht entscheiden.
Meldungen über falsche Bankrotterklärungen oder über Diamanten- und Devisen-Diebstahl aus der Wohnung eines Tycoons lassen die normalen Menschen längst kalt. Sie empfinden sich selbst als die Hauptopfer des neoliberalen Raubtierkapitalismus mit seinen alltäglichen Preistreibereien, schrumpfenden Lohneinkommen und der lauernden Arbeitslosigkeit.
Erschienen in Ossietzky 4/2009
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