Zweiwochenschrift
10/2017 9/2017 8/2017 7/2017 6/2017 5/2017
Archiv
Abonnement
Impressum
Plattform SoPos
|
|
|
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können.
Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror.
Den Aufsatz kommentieren
Bemerkungen
Der Bock als Gärtner
Verfassungsschutzamtspräsident Heinz Fromm, so meldet dpa, habe die weitere Beobachtung der Linkspartei für notwendig erklärt, und zwar, was die Angelegenheit interessant macht, mit folgender Begründung: In programmatischen Aussagen der Linken sei »nach wie vor von einer Veränderung der Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse die Rede«.
Das Grundgesetz und die erläuternden Aussagen des Bundesverfassungsgerichts lassen keinen Zweifel daran, daß sowohl die Rede von Veränderungen dieser Verhältnisse als auch die Anstrengung, solche Veränderungen herbeizuführen, verfassungskonform sind, vorausgesetzt, der Kernbestand des Grundgesetzes (s. Artikel 79, 3 GG) wird dabei nicht angetastet. Dies dürfte dem Amtspräsidenten bekannt sein. Wenn wir davon ausgehen, daß die Agenturmeldung zutrifft, ergibt sich also folgender Sachverhalt: Der höchste staatliche Verfassungsschützer hat bei seinem Amtshandeln nicht das Grundgesetz, sondern eine andere, abweichende oberste Norm im Sinne. Er sollte sie ausformulieren und bekanntgeben, damit seine Klienten wissen, woran sie sind.
Aktuell stellen sich folgende Fragen: Läßt Fromm jetzt Regierungsmitglieder wegen der Verstaatlichung von Banken überwachen? Hätte er sie nicht besser bei der Privatisierung öffentlichen Eigentums observieren sollen? A. K.
Kriegsidealismus
Kürzlich trafen sich Wissenschaftshistoriker, Vertreter einer nicht eben blühenden Wissenschaftsdisziplin, in Berlin zu einer Arbeitstagung, um das Thema »Feder und Schwert« zu erörtern. Debattiert wurden die Beziehungen zwischen Militär und Wissenschaft. Ein Teilnehmer, der an der Berliner Freien Universität lehrende Historiker Rüdiger Hachtmann, ein Mann, der sich an den Grundsatz hält, daß ein Wissenschaftler, dem es um die Sache geht, auch Partei ergreifen müsse, kam in seinem Vortrag auf den Nationalismus zu sprechen, der deutsche Wissenschaftler im Kaiserreich auf dem Weg in den Weltkrieg leitete und dann ihr Verhältnis zum Völkermorden bestimmte. Er erinnerte an den Nobelpreisträger Walter Nernst, der bei Beginn des Krieges sogleich mit seinem privaten Automobil sich zum einschlägigen Korps begeben wollte, um am Kampfe teilzunehmen.
Die Schilderung löste allgemeine Heiterkeit aus. Die bewertete der Berichterstatter der Frankfurter Allgemeinen so: »Man muß sagen, daß dieses Lachen etwas Unappetitliches hatte.« An die Rüge schloß er die Frage an: »Liegt darin denn keine Größe, daß jemand für seine Ideale, ohne zu zögern, mit seinem Leben einzustehen bereit ist?«
Wesen und Inhalte eines Ideals beiseite zu lassen, hilft dabei, eine lange Reihe von Gestalten deutscher Geschichte außer Kritik zu stellen, und auch bei der Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch hilft es über die fragende Betrachtung eigenen Tuns hinweg. Doch darf vermutet werden, daß die hier propagierte Haltung Ausnahmen kennt. Sozialistische Ideale dürften nicht einbegriffen sein. Kurt Pätzold
Ehrenschutz
Franz Müntefering, um einen kernigen Spruch meist nicht verlegen, ist in jüngster Zeit am Schlagwortabtausch der Spitzenkräfte im Parteienbetrieb verhältnismäßig wenig beteiligt. Mag sein, daß ihm die Milliardensummen, in denen Politiker jetzt herumtapsen, auf das sauerländische Gemüt geschlagen sind, oder die nach wie vor tristen Umfragewerte seiner Partei machen ihn wortkarg. Aber nun hat er doch mal wieder zugelangt, mit einem bösartigen Schlag gegen die linke Konkurrenz. Diese betreibe »nationale soziale Politik« (NSDAP, ick hör dir trapsen), sie sei »ökonomisch ignorant, sozial romantisch, ablehnend gegenüber Europa«, und deshalb komme eine Koalition mit ihr auf Bundesebene keinesfalls in Frage. Bündnisse in Ländern schloß Müntefering allerdings nicht aus (da sind auch wirtschaftsfremde nationale Sozialromantiker als Helfer in den Regierungssattel notfalls willkommen).
Ist dem sozialdemokratischen Parteichef Schlimmeres über die Linke nicht eingefallen? Doch, dies: »Die Partei Oskar Lafontaines stellt alle Bundeswehrsoldaten, die wir in die Welt entsenden, als aggressive Krieger dar.« Donnerwetter, wie kommt Münte darauf, derartiges über die harmlosen Linksparteiler zu erfinden? Als während des 1. Weltkrieges Kritiker des deutschen Militarismus in den Reihen der Arbeiterbewegung auftraten, waren sozialdemokratische Führer äußerst besorgt, dadurch könne die Ehre des deutschen Soldaten in Existenzgefahr geraten. Der heutige Vorsitzende der Partei hat, was diesen Punkt angeht, Sinn für Tradition.
M. W.
Schlechte Laune in Gütersloh
Sechshundert MitarbeiterInnen sollten sich Ende März im Kongreßzentrum am Berliner Alexanderplatz zum »Managementmeeting« des Bertelsmann-Konzerns versammeln – jetzt sind die meisten von ihnen wieder ausgeladen; achtzig Führungskräfte, so entschied der Vorstandsvorsitzende Hartmut Ostrowski, reichen für diesen repräsentativen Auftritt hin. Augenscheinlich ist die Stimmung in der Gütersloher Zentrale des Weltunternehmers nicht so freudig, wie es sich in der Mohn-Gemeinschaft eigentlich gehört. Die Wirtschaftskrise kann auch für Bertelsmann-Geschäftsfelder zum Problem werden, und ein Pilotprojekt der Bertelsmann-Tochterfirma Arvato verläuft nicht so, wie es geplant war: Die Teilprivatisierung der Würzburger Stadtverwaltung ist ins Stocken geraten. Außerdem breitet sich öffentliche Kritik am »System Bertelsmann« aus, daran also, daß die mit dem Konzern aufs engste verflochtene, als »gemeinnützig« anerkannte und steuerbegünstigte Bertelsmann-Stiftung per Politikberatung einen Bedarf produziert, den dann die Sparten der Bertelsmann Aktiengesellschaft profitabel bedienen können.
Reges Presse-Echo fand die vierte bertelsmannkritische Tagung, die diesmal direkt in Gütersloh, in der Höhle des Löwen, stattfand. Die Stiftung, bisher gegenüber Kritikern eher gelangweilt scheinend, beteuert nun eifrig, ihre Gemeinnützigkeit sei doch, weil von zuständigen Behörden regelmäßig geprüft, gar nicht zu bestreiten. Diese Abwehr-Argumentation wirft den Verdacht auf, daß ausgerechnet in Gütersloh Leseschwäche besteht – die Kritiken unterstellen ja nicht, daß die Stiftung die Finanzämter hinters Licht führe, sondern sie stellen heraus, daß angesichts der Erfahrungen mit dem Netzwerk Bertelsmann die Kriterien für Gemeinnützigkeit neu definiert werden müssen. Weshalb denn sollen Steuerpflichten einem Gebilde erlassen sein, in dem Beratungsmacht, Medienmacht und Marktmacht auf geschäftstüchtige Weise zusammengefügt sind?
Eine Körperschaft verfolge gemeinnützige Zwecke, so heißt es im Abgaberecht, »wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit ... selbstlos zu fördern.« Ein anspruchsvolles Gebot. Es sei an der Zeit, so wurde auf der bertelsmannkritischen Tagung formuliert, durch öffentlichen Druck den Gütersloher Politikstiftern die Gelegenheit zu geben, dem Ideal der Selbstlosigkeit ein bißchen näher zu kommen. Arno Klönne
Karl Gass
Den am 29. Januar in Kleinmachnow gestorbenen Karl Gass nur als verdienten Dokumentarfilmregisseur zu würdigen, greift zu kurz. Sein Aktionsradius war weit. Sicher, er hat eine große Zahl bedeutender Streifen gedreht. Mir fallen »Feierabend« und »Asse« ein, »Das Jahr 1945« und »Eine deutsche Karriere«. Daß der 1917 in Mannheim Geborene als Wirtschaftsjournalist beim Radio angefangen hat, schulte seine Formulierungsgabe und sein stimmliches Ausdrucksvermögen. Wie er journalistische Qualitäten ins Künstlerische zu steigern vermochte, war eine Frage der Entwicklung und des Durchsetzungsvermögens. Hinzu kam ein ausgeprägtes Bilddenken. Die filmischen Möglichkeiten dokumentarischen Arbeitens zu erweitern und aus dem Nischendasein des Genres ins Zentrum gesellschaftlicher Vorgänge vorzustoßen – das war sein Ziel.
Ob er eine eigene Produktionsgruppe unter dem großen Dach der DEFA schuf oder die Internationale Dokumentar- und Kurzfilmwoche Leipzig ins Leben rief – er war weder lediglich Teil eines Teams noch Einzelgänger. Konzepte ausdenken, Leute motivieren, Drehbücher formulieren, ja, im besten Sinne »leiten« war seine Stärke. Neun Jahre währte sein Ausflug ins unterhaltsame Bildungsfernsehen als kluger Moderator der Sendung »Sind Sie sicher?« Mit seiner ganz persönlichen Meinung hielt er nie hinter dem Berg. Im Alter wurde er noch streitbarer Sachbuchautor zu Themen der brandenburgisch-preußischen Geschichte; für Ossietzky steuerte er zum Beispiel eine Artikelserie über die preußischen Könige bei – voller Wut über den Militarismus, der heute wieder das Andenken an sie prägt.
Bitter für ihn als Künstler war die Beobachtung, wie bereits gesichert geglaubte Qualitätsmaßstäbe verloren gehen und wie das dokumentarische Genre allzu oft abgewertet und kommerziellen Interessen dienstbar gemacht wird. Seine reichen Erfahrungen kamen manchen jüngeren Kollegen zugute. Auch einem auf ganz anderem Gebiet um publizistische und künstlerische Werte besorgten Menschen wie mir machte er viel Mut, mich auf ein so kompliziertes Unterfangen wie die Dokumentation über Kleinmachnow als Künstlerort einzulassen. Als kontaktfreudiger Nachbar nahm er regen Anteil an dieser Arbeit und war wohl der glücklichste Empfänger des ersten Exemplares des Buches »Paradies der Begegnungen«, als ich es ihm im September überreichen konnte.
Harald Kretzschmar
Eine Trauerfeier findet am Samstag, 21. Februar, um 11 Uhr im Filmmuseum Potsdam statt
Paradies Kleinmachnow
Harald Kretzschmar, der auch in diesem Blatt gelegentlich zu Wort kommt, ansonsten aber der Karikatur obliegt, muß mal überall dabei gewesen sein. In jenen Jahren, als das sozialistische Kunst- und Kulturleben breit entwickelt wurde, flach emporschoß und schließlich abnippelte. Als nämlich die einstigen Protagonisten aus Konkurrenzgründen von ihren westlichen Kollegen »Arschlöcher« tituliert wurden.
Viele dieser »Arschlöcher« wohnten merkwürdigerweise geballt in Kleinmachnow. Dessen Grenzlage zu Westberlin mochte in den Fünfzigern paradiesisch gewesen sein, ab 1961 war sie umständlich. Denn in Berlin (Hauptstadt, nun eine Stunde S-Bahn außenrum mit Umsteigen) spielte die Musik, lagen Theater und Redaktionen, trafen sich Kunstfunktionäre und widerständelte der Prenzlauer Berg. Ein »Paradies der Begegnungen« blieb die Fünfzehntausend-Einwohner-Gemeinde für Kretzschmar dennoch: Er traf an seinem Wohnort fast alle, die sich bei der DEFA ihre Honigbrötchen verdienten oder unbeirrbar den Bitterfelder Weg beschritten und dies später in Memoiren erklärten. Kretzschmar hat sie alle karikiert – und zu jeder und jedem ein Kapitelchen geliefert. Mal nackte Fakten, mal bei Nachkommen intensiv recherchierte Lebenswege. Hie persönliche Treffs, Klatsch dort.
Erstaunlich viele Einwohner waren Autoren der Weltbühne, Kretzschmar selber beispielsweise, und der gute Geist vieler Redaktionsjahre, Ursula Madrasch-Groschopp, lebte in der Max-Reimann-Straße 10. So kamen Programme mit Texten des C. v. Ossietzky just am Ort zur Aufführung. Der Film- und Kleinkunstschreiber Lothar Creutz, alter Lothar-Kusche-Freund, wandelte mit seinen »Sächsischen Miniaturen« weniger auf Max als auf Hans Reimanns Spuren und setzte auch dessen »Literazzia« mit der »Literatouristik« im Eulenspiegel fort. Creutz wohnte Am Johannistisch 42 und versuchte gelegentlich einen ganzen Kasten Bier per Fahrrad nach Hause zu transportieren. Im Lande brandenburgischen Mahlsands schon für nüchterne Menschen schier unmöglich.
Auch äußerlich ist das Buch wohlgelungen. Warum aber die Zitate der Porträtierten im eingerückten Flattersatz und kursiv, also wie Lyrik dargeboten werden, müßte Layouter Torsten Kaiser mal erklären. Matthias Biskupek
Harald Kretzschmar: »Paradies der Begegnungen – Der Künstlerort Kleinmachnow«, Faber & Faber, 304 Seiten, 19.90 €
Eva Strittmatter im Gespräch
Zwei Frauen suchen im Gespräch gemeinsam nach Gründen für eine bestimmte Entscheidung, für ein spezielles Gefühl. Das hat solchen Sog, daß ich nicht aufhören konnte zu lesen.
Ein Buch über Eva Strittmatter: wie sie zum Dichten kam und wie sie Worte findet, wie sie mit und für Erwin Strittmatter und sein literarisches Werk lebte und mit den Söhnen. Wie sie sich gebraucht und geliebt haben und sich aneinander rieben, wie jeder für sich litt – an der Untreue, am Ungenügen, an der zu großen Last.
Ein Frauenbuch über das Leben, nicht nur das von Eva Strittmatter. Man vergleicht, wägt ab. Wo anderen oft die Worte fehlen, hat Eva Strittmatter ein Gedicht parat.
Christel Berger
Irmtraud Gutschke, Eva Strittmatter: »Leib und Leben«, Verlag Das Neue Berlin, 220 Seiten, 16.90 Euro
Über Kuba
»Der revolutionäre kubanische Sieg des 1. Januar 1959 war eine Neuigkeit von epochalem Ausmaß, selbst für jene, die nur wenig von diesem Land wußten. Für Viele war es die Entdeckung einer neuen Welt. Und wie in der Zeit der großen Seefahrer war diese Entdeckung umwölkt von Unwissen und Vorurteil ...« Mit diesen Worten beginnt Ricardo Alarcón de Quesada (geb. 1937) seinen eindrucksvollen Rückblick auf den »Langen Marsch der kubanischen Revolution«. Alarcón, Präsident der kubanischen Nationalversammlung, zuvor Diplomat und Vizepräsident der UNO-Vollversammlung, zählt zu den frühesten Mitstreitern von Fidel Castro Ruz. Sein Lebensgang ist der des sozialistischen Kuba. Nützlich ist auch sein Blick auf die vorrevolutionäre Geschichte der »auf ewig treuen« spanischen Kolonie: ihre versäumte Revolution im frühen 19. Jahrhundert, ihre Sklavenerhebungen und ihr schwieriges Hinfinden zu eigenem Nationalbewußtsein und intellektueller Emanzipation. Nur um Haaresbreite war die Insel nach ihrer Loslösung von Spanien nordamerikanischen Annektionsabsichten entgangen, die sich auf jene Oligarchien stützten, deren letzter Exponent, Fulgencio Batista, 1959 entmachtet wurde.
Zitate aus den 1991 freigegebenen Dokumenten des State Department beleuchten die US-amerikanische Embargostrategie gegenüber Kuba, die den Steuerzahler teurer zu stehen kam als die gesamte Entwicklungshilfe für Lateinamerika.
Mit diesem knappen Hinweis sei die im Januar erschienene Kuba-Sonderausgabe des monthlyreview.org zur Lektüre empfohlen.
Wolf Gauer
Heinz Reichwaldt
war ein treuer Sozialdemokrat und ein gewissenhafter niedersächsischer Landesbeamter, der es bis zum Staatssekretär im Sozialministerium brachte. Seit er feststellen mußte, daß seine Partei ihren Beschlüssen untreu wurde, rieb er sich heftig an ihr. Vor allem empörten ihn die Berufsverbote, mit denen auch die SPD-geführte niedersächsische Landesregierung in den 1970er Jahren junge Kommunisten zum Abschwören zwingen wollte. Er engagierte sich dagegen, vertrat einige der Opfer anwaltlich und gründete mit anderen den Heinrich-Heine-Fonds, der es den Opfern finanziell erleichterte, sich gegen das Unrecht zu wehren. 87jährig ist er jetzt gestorben. Die Trauerfeier: 12. Februar um 13 Uhr in Hannover-Lahe.
Red.
Werbung darf – fast – alles
Das Warenhaus Karstadt warb dieser Tage in einem massenhaft versandten Prospekt für ein bei sofortiger Bestellung (innerhalb von 24 Stunden) besonders günstiges Angebot mit den fettgedruckten Worten: »Sonderkommando Preis«. Erschrak niemand darüber?
Das Präfix Sonder- erscheint in einer verschleiernden Behördensprache oft im Zusammenhang mit Sterben und Tod (»Sonderbehandlung«, »Sondergericht« oder auch »Sondermüll« = Giftmüll); das »Sonderkommando« des KZ Auschwitz Birkenau bestand aus jungen jüdischen Häftlingen, die gezwungen wurden, die Ermordung von Mithäftlingen vorzubereiten. Nach der Vergasung mußten sie die Ermordeten aus den Gaskammern herauszerren, ihnen die Goldzähne herausreißen, den weiblichen Leichen die Haare abschneiden und dann die Leichen verbrennen. Viele verloren den Verstand. Nach mehreren Arbeitsgängen wurden sie erschossen – oder schon vorher, falls sie sich weigerten – und durch andere Häftlinge ersetzt.
Im normalen Sprachgebrauch ist das Wort »Sonderkommando« unbekannt. Wie kam Karstadt darauf?
Ossietzky-Autor Helmut Kramer erschrak, wurde aktiv, informierte viele Journalisten – bis Karstadt die Werbung zurückzog. »Eine Panne«. Wie, bei wem, warum? Weil reißerische Werbung glaubt, ihr sei alles erlaubt?
Red.
Press-Kohl
Nicht erst seit gestern wird lang und breit, allerdings nicht gerade tiefschürfend erörtert, ob man die Schulkinder im Unterricht mit der Religion oder mit der Ethik vertraut machen solle. Genauer ausgedrückt: entweder mit der Religion oder mit der Ethik. Eine nicht nur äußerst naive, sondern alberne, lächerliche, blödsinnige und verhängnisvolle Alternative. Die frommen Disputanten verzieren ihre lautstarken und fettgedruckten Reklame-Feldzüge mit dem niedlichen Slogan PRO RELI!
Eine Volksabstimmung soll stattfinden.
Also man muß mit allem rechnen.
Wenn’s so weit ist, erkläre ich mich für die Ethik. Gewissermaßen PRO ETHI. Dies aber nicht, weil ich etwas gegen Religion habe, die ich ein bißchen besser kenne als die meisten Pro-Reli-Trommler. Sondern weil mich deren Entweder-Oder nach und nach davon überzeugt, daß ihre Religion mit Ethik nichts gemein hat.
Dann ist mir die pure Ethik doch sympathischer.
*
Die Zeit ist bekanntlich unaufhaltsam. Die Verhältnisse ändern sich. Wer wird sich da noch wundern über die Schlagzeile »Bahnchef Mehdorn läßt Staatsanwälte ermitteln«, mit der die Berliner Zeitung aus dem Verlag DuMont-Schauberg am 31.1.2009 erschien. »Der in der Datenschutzaffäre bei der DB unter Druck geratene Vorstandsvorsitzende Mehdorn hat zur Untersuchung der Vorgänge die Berliner Staatsanwaltschaft eingeschaltet.« Bisher gehörten die Berliner Staatsanwälte noch nicht zur Bahn und konnten daher nicht von deren Chef zu Untersuchungen von Vorgängen »eingeschaltet« werden. »Einen Rücktritt lehnte der Bahnchef ab.« Vielleicht befiehlt er dem Minister Tiefensee, die defekten ICE-Achsen zu untersuchen und gleich zu reparieren.
Mehdorn hat in seiner Eigenschaft als Schienen-Papst das Recht, immer Recht zu haben und sich selbst mit seiner rechten Hand zu applaudieren. Man darf ihm nie widersprechen. Insofern ähnelt er dem Fernseh-Feldwebel Dieter Bohlen, dem er übrigens sehr ähnelt.
Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 3/2009
|