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Eine Losung fehlt noch
Kurt Pätzold
Erfahrenen Zeitungslesern ist es schon in den vergangenen Wochen klar geworden, den flüchtigen dämmert es jetzt: Wir sind in ein gedenkreiches und jubiläenträchtiges Jahr hineingetreten. Es hob im Januar mit dem 90. Jahrestag der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs an, einem Ereignis, an das zu erinnern jedoch hierzulande wie üblich Minderheiten überlassen wurde. Die Volksgemeinschaft spart ihre Kräfte für ein anderes Datum. Bis dahin sind der neunzigsten, achtzigsten, fünfundsiebzigsten und siebzigsten Jahrestage viele zu passieren. Denkt man nur an jene, die nahezu ganz aus der Zeitgeschichte herausgerückt sind und in die Jahre 1919, 1929, 1934 und 1939 führen. Da ereigneten sich – es ist eine Auswahl – der Abschluß des Versailler Vertrages, der »schwarze Freitag«, durch den die Weltwirtschaftskrise eingeleitet wurde, an die zu erinnern es täglich mehr Anlaß und Ursache gibt, Hitlers Ernennung auch zum Staatsoberhaupt des Nazireiches, der Einmarsch der Wehrmacht in Prag (und der Francos in Madrid sowie der Mussolinis in Albanien), der Beginn des Zweiten Weltkriegs mit dem Überfall auf Polen. Journalisten und Historiker mögen die sich da ergebenden Themen und Gegenstände im Feuilleton erörtern, das sich manche Zeitungen und öffentlich-rechtliche Sender noch leisten. Zudem lassen sich letzte Zeitzeugen hervorholen. Nur der 1. September wird von diesen allein nicht bewältigt werden können. Da müssen ein paar Politiker schon mit in Aktion treten. Nicht vergessen sei freilich, da die anderen Tage wenig Vorwand bieten, gegen den Kommunismus Stellung zu nehmen, der »Hitler-Stalin-Pakt«.
Doch wenn sich der Sommer neigt, ist der Blick schon fest und diesmal freudig auf jenen Monat gerichtet, den Heinrich Heine den traurigen genannt hat. Diesmal soll er den Deutschen einen Freudentag bieten. Und der wird vorbereitet. Begangen, nein gefeiert werden wird der »Tag des Mauerfalls«, das Ereignis, mit dem sich das Ende der DDR unwiderruflich ankündigte. Was die Nation bisher angestellt hat, ihre Feste zu feiern, soll verblassen. Staatskundgebungen und Dankgottesdienste sind zu erwarten, Denkmäler, die errichtet oder projektiert werden, Wettbewerbe und Preisausschreiben, die schon in Gang gesetzt sind, und vieles, vieles mehr. Die beliebte Berliner Fan-Meile ist gemietet. Die Leipziger Montagsdemonstranten von einst rüsten zum Gedenkmarsch.
Vorfreude ohne Ende? Nicht ganz. Es gibt auf dem Wege dahin ein paar Klippen und Barrieren, auf die Besorgte schon aufmerksam gemacht haben. Zum einen ist da die Schwierigkeit, ein Ereignis, das den Osten und dessen Bewohner betraf, zu einem gesamtnationalen Heldengedenktag zu stilisieren und Schwaben und Bayern zu ungehemmtem Jubel zu bewegen. Gut oder nicht. Deren Zurückhaltung wird sich ertragen und verkraften lassen. Nicht aber die in Ländern, in denen »die Revolution« damals siegte. Die unzureichender Jubelbereitschaft Verdächtigen zwischen Ostsee und Erzgebirge und Thüringer Wald sind an Zahl durch Umfragen ermittelt. Und so besteht das Problem darin, soll das gewünschte Bild der glücklichen Nation keine Risse und Blindstellen aufweisen, jene zum Feiern zu bewegen, die nichts oder wenig zu feiern haben. Daher wurde von Veranstaltern schon zart angemerkt, die Festlichkeiten sollten nicht so gestaltet werden, daß sie ins Gegenteil des Beabsichtigten umschlagen und Volk und Führung gar weiter voneinander entfremden. Das richtige Maß also ist verlangt, zumal es im Osten einen 40. Jahrestag gab, an dem das den Oberen schon einmal fehlte.
Nur in einer Richtung sind den Plänen und Anstrengungen schon im Stadium des Planens Grenzen nicht gesetzt: im Kampf gegen die Nostalgiker. Wer sich nicht zur Bekehrung säubert, mag dauernd in Deckung gehen. Das soll das letzte Gefecht werden. Auf die biologische Lösung wird nicht gewartet. Die nach Vergangenem Süchtigen richten – altersweise – womöglich noch mehr Unheil an, als sich jetzt schon in den Köpfen ihrer Enkel bei jeder Befragung oder Prüfung auffinden läßt. Was für den Kampf freilich noch fehlt, ist eine Losung, eine Parole wie »Gott strafe England!« oder »Zerstampft den Kommunismus.« Neuerdings sind in Zeitungen bis in die Seiten der New York Times Fotos einer Wand gedruckt worden, auf der zu lesen ist: »Die DDR hat es nie gegeben.« Das paßt nicht gut. Zudem ist es verschieden verstehbar. Liegt die Betonung auf DDR, dann ist es schlicht unwahr. Wird sie hingegen auf das Die gelegt, kann der Satz gegen jene gewendet sein, die den Deutschen das DDR-Bild vermitteln, das auf dem Wege zum 9. November 2009 seinen Endsiegeszug antreten soll.
Erschienen in Ossietzky 3/2009
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