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Gedaljes in Rio
Walter Kaufmann
Als der junge Schwarze, gut ausgestattet in blauem Anzug und blütenweißem Hemd, die Gangway hoch an Deck kam und an die Mannschaft Reklamekarten zu verteilen anfing, auf die mit feinstem Zwirn Achatsplitter genäht waren, sprangen mir gleich die sieben fetten Buchstaben ins Auge: Gedalje. Bis der Mann seine Sache erledigt hatte und wieder an Land ging, verknüpften sich in mir die Erinnerungen: Ich sah mich, zwölfjährig, auf der Strandpromenade in Egmont an Zee ein Glöckchen schwingen und hörte mich erst deutsch, dann englisch rufen: »Seht die Brüder Gedalje – kommt her und seht die tollen Tricks von X und Ypsilon ... kommt und seht!«
Die Gedalje-Brüder, Schmuul und Jitzchak, beide um wenige Jahre älter als ich, waren aus Polen geflüchtete Judenjungen, die sich in dem holländischen Seebad mit akrobatischen Kunststücken ein Zubrot verdienten. Sie vermieden es, ihre Vornamen zu nennen (»wegen der Deutschen, verstehst du!«), und traten als die Brüder X und Ypsilon auf. Die Buchstaben prangten groß auf ihren Trikots. Mich hatten sie als »Ausschreier« geworben (so nannten sie das), der nach jeder Vorstellung die Spenden der Urlauber in seiner Mütze zu kassieren hatte. In den Pausen durfte ich zum Gaudium des Publikums gängige Schlager zum besten geben: »Veronika , der Lenz ist da« und »Erika, brauchst du nicht einen Freund«, und das ging gut, bis mich eines Nachmittags das Mitleid einer Engländerin so beschämte (»poor Jew boy – it must be hard for you under Hitler«), daß ich prompt den Posten aufgab ...
»Gedalje – Juwelen für Jedermann« war auf den an Bord verteilten Reklamekarten in deutscher und vier weiteren Sprachen zu lesen, und eine Skizze zeigte, wo der Juwelierladen von Schmuul und Jitzchak Gedalje sich befand. Schmuul und Jitzchak Gedalje – wer anders als meine einstigen Gefährten aus Holland konnten das sein, die Brüder Gedalje! Anscheinend hatten sie es in den zurückliegenden fünfundzwanzig Jahren from rags to riches gebracht, von verschwitzten Turntrikots zu ... nun, das würde sich zeigen.
Nach Arbeitsschluß – ich war damals schlicht und einfach Decksmann auf dem Schiff, lebte aber längst vom Schreiben – machte ich mich auf die Suche nach der Adresse in Copacabana, die auf der Reklamekarte angegeben war. Im Juweliergeschäft die zwei dürren Herren mit dem schütteren Haar, die mich durch blitzende Brillengläser musterten, erinnerten schon irgendwie an den Schmuul und den Jitzchak von damals. Ich dagegen weckte in ihnen offenbar keine Erinnerung. In ihren trefflich geschneiderten Nadelstreifenanzügen, feinen Hemden und blankem Schuhwerk standen sie da und warteten, daß ich sie aufklärte. War ich kein Kunde, wer war ich dann?
»Egmont an Zee«, sagte ich, »X und Ypsilon auf der Strandpromenade. Ordnet mich ein. Wer bin ich?«
Ihre Mienen erhellten sich. »Der Ausschreier«, riefen sie, »der Schlemihl, was hat aufgegeben ein gutes Geschäft – großer Gott, warst du ein Schlemihl!«
Davon kamen sie auch jetzt nicht ab. Hereingeschneit, wie ich war, in verblichenen Jeans, Jeanshemd und Sandalen, konnte ich es in dem Vierteljahrhundert seit damals nicht weit gebracht haben. Darin fühlten sie sich bestätigt, als sie erfuhren, ich sei als Decksmann auf einem ostdeutschen Schiff nach Rio gelangt.
»Decksmann! Großer jüdischer Gott«, riefen sie, und Schmuul fragte vorsichtig: »Was verdienste da?«
Als ich es ihm sagte, wiegte er bedenklich sein nahezu kahles Haupt. »Was macht ein Jud‘ auf einem deutschen Schiff, noch dazu aus dem Osten?« Er wartete die Antwort nicht ab. »Hab‘ ich einen Vorschlag. Du wirst lassen das Schiff und anfangen bei uns – bist doch auch damals gut gefahren.« Er führte den eleganten jungen Schwarzen mit den Reklamekarten ins Feld, der mit seinen zwanzig Jahren doppelt so viel verdiente wie ich auf dem Schiff. »Plus Provision, verstehste.« Er ließ den Blick durchs Geschäft schweifen, deutete auf die mit Schmuck gefüllten Vitrinen und nahm wahr, daß ich mich beeindruckt zeigte. »Überleg es«, sagte er. »Bloß nicht zu lange.« Er wandte sich ab und gab Hinweise an ein Mulattenmädchen, das gerade das Schaufenster dekorierte. Dann wandte er sich wieder mir zu. »Nun, was?« Er zog ein Geldbündel aus der Tasche, zählte ein paar Scheine ab und hielt sie mir hin. »Ein Vorschuß – wirst dir kaufen einen guten Anzug und suchen ein Zimmer. Mehr als jener schwarzer Bursche verdienste sicher. Hör ich was?«
Er meinte es gut, das stand außer Frage. Die Gedaljes meinten es so gut mit mir wie damals in Holland, und daß ich abwinkte, entsprang keinem Hochmut. Es war, wie so oft in meinem Leben, a clash of two worlds – der Widerstreit zweier Welten.
Walter Kaufmann, im Januar 85 geworden, schreibt an seinen Memoiren. Von ihm erscheint in diesen Tagen die Geschichtensammlung »Die Zeit berühren« (Verlag Wiljo Heinen, 300 Seiten, 14 Euro).
Erschienen in Ossietzky 3/2009
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