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Obamas Lackmustest
Jürgen Rose
Schon am Tage nach seiner Amtseinführung verkündete US-Präsident Obama weltöffentlichkeitswirksam die Schließung des Folterlagers, das die soeben aus dem Amt geschiedene Bush-Junta in Guantánamo Bay errichtet hatte. Dort hatten die US-Streitkräfte willkürlich aufgegriffene und entführte Terrorverdächtige aus aller Welt konzentriert, um sie – ohne Rücksicht auf Menschenrechte – in hundekäfiggroßen Zellen zu halten, zu erniedrigen und zu quälen.
Der schöne Glanz jenes hochsymbolischen Aktes, mit dem die neue Regierung in Washington ihre Bereitschaft zu signalisieren schien, ihr Land in die Gemeinschaft zivilisierter Nationen zurückzuführen, wurde nicht allein durch den Vorbehalt getrübt, daß dieses Unterfangen allen Ernstes ein ganzes Jahr in Anspruch nehmen soll. Schon ertönen im Umfeld Obamas auch Stimmen, die warnen, eine Freilassung der Guantánamo-Häftlinge sei zu riskant für die nationale Sicherheit der USA, und die daher für eine fortgesetzte Inhaftierung plädieren. Zu den Befürwortern einer solchen Schutzhaft gehören zwei der juristischen Berater des neuen Präsidenten: der Harvard-Professor Jack Goldsmith sowie der Forschungsdirektor für öffentliches Recht bei der Politikberatungsgesellschaft Brookings Institution, Benjamin Wittes. Beide argumentieren, es sei doch nichts prinzipiell Neues, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit Personen in Gewahrsam zu nehmen, die nicht strafrechtlich verurteilt sind. Demgegenüber mahnen Bürger- und Menschenrechtler, es wäre eine Katastrophe für Recht und Moral, wenn sich die Regierung Obama die Argumentation der Bush-Administration zu eigen machte, daß es im Interesse der nationalen Sicherheit notwendig sei, Gefangene auf unbestimmte Zeit ohne Urteil und sogar ohne Anklage festzuhalten.
Zum Abbau solcher Bedenken trug es nicht gerade bei, daß Präsident Obama sich bisher lediglich zum Stammlager Guantánamo äußerte, während er zu den zahlreichen über den Globus verteilten Außenlagern, beispielsweise dem afghanischen Bagram, Camp Bondsteel im Kosovo oder dem »Schwarzen Loch der Folter« in Somalia, beredt schwieg. Unter Obamas Beratern wurde sogar ernsthaft erwogen, die Guantánamo-Insassen kurzerhand nach Bagram zu verbringen. Daher erscheinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Willens der neuen US-Regierung, sich nach den Exzessen in der Ära Bush vorbehaltlos auf den Boden des geltenden internationalen Rechts zu stellen, durchaus angebracht.
Ganz ohne symbolischen Aktionismus könnte Präsident Obama die künftige Selbstbindung der USA an die geltenden Normen des Völkerrechts beweisen, wenn er seine Unterschrift unter das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) leisten und hierdurch eine Schurkerei seines Amtsvorgängers revidieren würde. Diesen Vertrag hatte zwar bereits Präsident Bill Clinton kurz vor Ende seiner Amtszeit paraphiert, doch hatte der (schon 2002 in Zeit so titulierte) »Geisterfahrer des Völkerrechts« George W. Bush am 6. Mai 2002 in einem für die USA bis dahin präzedenzlosen Akt der Mißachtung völkerrechtlicher Gepflogenheiten die Unterschrift seines Vorgängers annullieren lassen.
Ungeachtet des massiven Widerstands aus den USA schritt jedoch die Globalisierung des Strafrechts weiter voran. Bis 11. April 2002 hatten 64 Staaten das Römische Statut zur Einrichtung des ICC ratifiziert, so daß der Vertrag am 1. Juli 2002 in Kraft treten konnte. Im Frühjahr 2003 nahm dann das Gericht in Den Haag seine Arbeit auf.
Der International Criminal Court, kurz ICC, bildet den krönenden Abschluß einer Entwicklung, die mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ihren Lauf genommen hatte. Damals war mit den Kriegsverbrechertribunalen von Nürnberg und Tokio ein erster, wenn auch unzulänglicher Versuch unternommen worden, Täter auf der Grundlage einer Londoner Vereinbarung der vier Alliierten über die Verfolgung von Verbrechen gegen den Frieden (Angriffskrieg), Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft zu ziehen. Kurz danach, 1948, wollten die gerade gegründeten Vereinten Nationen einen Ständigen Internationalen Strafgerichtshof einrichten, doch blockierte der einsetzende Kalte Krieg dieses Projekt. Erst zu Beginn der 1990er Jahre gewann der Kampf gegen die Straflosigkeit schwerster Verbrechen gegen Völker- und Menschenrecht neue Dynamik. Die USA zeigten sich plötzlich interessiert, Verantwortliche für »ethnische Säuberungen«, Massenvergewaltigungen, Völkermorde auf dem Balkan und in Ruanda von internationalen ad-hoc-Strafgerichten aburteilen zu lassen. Das Tribunal für das Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens arbeitet seit 1993 in Den Haag, das für Ruanda seit 1994 in Arusha. Beide Gerichte entstanden nicht auf Beschluß der UN-Vollversammlung, sondern mit einer zweifelhaften Legitimation des UN-Sicherheitsrats; die Kriegführung der NATO gegen Jugoslawien wird dort nicht behandelt.
Um die mit der Einrichtung von ad-hoc-Tribunalen verbundenen Probleme und unübersehbaren Defizite zu vermeiden, hatten rund 160 UN-Mitgliedsstaaten die Initiative ergriffen, einen permanenten Internationalen Strafgerichtshof zu schaffen. Am 17. Juli 1998 nahm eine Zweidrittelmehrheit von Delegierten einer diplomatischen Bevollmächtigtenkonferenz der UNO in Rom das Statut für den ICC an – ungeachtet aller Bemühungen der USA, dieses Vorhaben zu sabotieren. Am Ende hatten neben den Vereinigten Staaten von Amerika nur noch die Volksrepublik China, der Irak, Israel, Jemen, Libyen und Qatar dagegen gestimmt – eine wahrhaft schillernde Allianz ausgewiesener Vorkämpfer für Menschen- und Völkerrecht! Nachdem die USA den Vertrag von Rom nicht hatten abwenden können, setzten sie in der Folgezeit alles daran, dessen Ratifizierung zu vereiteln. Denn erst nachdem mindestens 60 Staaten das ICC-Statut ratifiziert hatten, konnte es in Kraft treten.
Unter Federführung des erzkonservativen republikanischen Senators Jesse Helms initiierte der US-Kongreß mit Unterstützung des Weißen Hauses ein »Gesetz zum Schutz der Mitglieder der amerikanischen Streitkräfte«, um damit den ICC zu paralysieren. Dieses Gesetz aus dem Jahr 2002, von Kritikern sarkastisch als »Hague Invasion Act« apostrophiert, untersagt es allen US-Behörden, mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenzuarbeiten, und ermächtigt darüber hinaus den US-Präsidenten, jeden Bürger seines Landes, der vor dem Strafgerichtshof steht, mit militärischer Gewalt befreien zu lassen. Darüber hinaus zog das State Department alle Register, um kleinere und schwächere Länder davon abzuhalten, das Statut von Rom zu ratifizieren. Welch ein Widerspruch: Bis auf den heutigen Tag unterminiert dieselbe »Supermacht des Guten«, die sich selbstherrlich zum Vorkämpfer gegen den internationalen Terrorismus und für Menschen- und Völkerrecht aufgeschwungen hat, die Universalisierung des Rechts und sabotiert vorsätzlich das Weltstrafgericht!
Wo aber sind die Gründe für diese sture Blockadepolitik der USA gegenüber dem ICC zu suchen? Zuallererst wird immer wieder die Befürchtung ins Feld geführt, daß US-amerikanische Staatsbürger, besonders Militär-Angehörige, Opfer politisch motivierter Strafverfolgung werden könnten. Diese Sorge ist indes unbegründet, denn der Internationale Strafgerichtshof kann nur dann tätig werden, wenn nationale Strafgerichte nicht vorhanden oder unfähig oder nicht willens sind, schwerste Menschen- und Völkerrechtsverbrechen zu verfolgen. Die nationale Justiz besitzt also im Prinzip weiterhin Vorrang, solange sie ihrer Aufgabe gerecht wird. Der Völkergemeinschaft geht es bei der Schaffung des ICC im Kern darum, zu verhindern, daß Kriegsverbrecher, Folterknechte, Massenmörder getreu der Maxime »Wo kein Kläger, da kein Richter« ungestraft davonkommen können. Demgegenüber möchten die USA erreichen, daß ihre Staatsbürger prinzipiell Immunität gegenüber etwaiger Strafverfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof genießen – was dessen Statut ausschließt.
Auch darf der ICC nicht gegen Straftaten jeder Art vorgehen, sondern sein Kompetenzbereich bleibt eng umgrenzt, nämlich um die vier Kernverbrechen gegen das Völkerrecht: Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Vorbereitung und Führung eines Angriffskrieges – übrigens exakt die Tatbestände, für deren Verfolgung und Aburteilung die USA einst in Nürnberg und Tokio selbst den Grundstein im Völkerrecht gelegt haben. Freilich hatte das Verfahren schon damals den nicht unwesentlichen Schönheitsfehler aufgewiesen, daß potentielle Kriegsverbrechen auf alliierter Seite explizit nicht Gegenstand des Verfahrens waren. Einer derartigen Ungleichbehandlung schiebt das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs nunmehr einen Riegel vor. Mit der Universalisierung des Völkerstrafrechts unterliegen alle Staaten dieser Welt, gleich ob Supermacht oder Zwergstaat, identischen Regeln.
Genau dies aber betrachtet die einzig verbliebene Supermacht als Affront, denn sie ist nicht geneigt, ihre nationale Souveränität durch eine universelle Jurisdiktion aushebeln zu lassen. Ihre außen- und sicherheitspolitische Entscheidungs- und Handlungsfreiheit betrachten die USA als sakrosankt. Der hinhaltende Widerstand der USA gegen den Internationalen Strafgerichtshof ist daher prinzipieller Natur: Ein Weltstrafgericht, welches der Arroganz der Macht die Universalität des Rechts entgegensetzt, stellt für die Entfaltung globaler Hegemonie ein lästiges Hemmnis dar. Die Vereinigten Staaten betrachten ganz selbstverständlich die Anwendung militärischer Gewalt als legitime Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln und machen daher von diesem Mittel auch geradezu gewohnheitsmäßig Gebrauch. Konsequenterweise muß den USA die Idee kurios erscheinen, sie sollten zulassen oder gar zustimmen, daß einer internationalen Institution wie dem ICC das Recht zukommen soll, die Ausübung dieser Gewalt nach dem Kriterium der Legalität zu überprüfen und zu beschränken. Nichtsdestoweniger wird auch die einzige Weltmacht USA sich der normativen Kraft der faktischen Existenz des nunmehr ins Leben gerufenen Internationalen Strafgerichtshofs auf Dauer nicht entziehen können.
Die politischen Entscheidungsträger in den USA machen sich nicht grundlos Sorgen über den zukünftigen Internationalen Strafgerichtshof. Ihnen liegt schwer im Magen, daß der schon länger bestehende Internationale Gerichtshof in Den Haag die USA wegen der Verminung nicaraguanischer Häfen sowie der Entsendung von Terroristen, sogenannten Contras, von Honduras nach Nicaragua verurteilte. Nach dem Ende des Interventionskriegs gegen Jugoslawien ermittelte die Chefanklägerin des Sondertribunals, Carla del Ponte, auch gegen die verantwortlichen politischen Entscheidungsträger der NATO und auch gegen die Kampfflugzeugpiloten der NATO-Luftstreitkräfte. Zu einer Anklage kam es, wen wundert’s, nicht, peinlich war der Vorgang allemal.
Gehen wir noch einen Schritt weiter zurück: Während des Vietnam-Krieges begingen die US-Streitkräfte eine Vielzahl von Massakern an der Zivilbevölkerung, die zumeist ungeahndet blieben. Einzig im Falle des Leutnants William Calley, Hauptakteur des Massakers von My Lai, kam es zu einer Verurteilung, indes entließ die US-Regierung Calley schon nach kurzer Haftzeit in eine wohlsituierte Existenz. Schon die schiere Existenz des ICC wird der US-Regierung zukünftig einen derartig zynischen Umgang mit von ihren Soldaten verübten Kriegsverbrechen verbieten.
Schließlich zeigten die Bestrebungen, den ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger wegen seiner Verwicklungen in den Vietnam-Krieg vor ein Strafgericht in Belgien zu zitieren, ebenso wie die Strafanzeigen gegen den zeitweiligen US-Kriegsminister Donald Rumsfeld, daß selbst Washingtoner Regierungsangehörige ins Fadenkreuz der internationalen Strafjustiz geraten können. Das gilt nach dem Abgang der Bush-Junta auch für deren Mitglieder – schon ist nämlich in den USA die Debatte um die Frage entbrannt, ob der Massenmörder und Kriegsverbrecher George W. Bush sowie seine regierungskriminellen Helfershelfer mit und ohne Uniform sich strafrechtlich werden verantworten müssen. Wenngleich Amtsnachfolger Barack Obama bislang lieber abwiegelt und nach eigener Aussage nicht in die Vergangenheit, sondern nach vorn blicken möchte, wird doch exakt diese Entscheidung über eine Anklageerhebung gegen jene Bande von Politkriminellen, die allem Anschein nach mindestens drei der vier im Römischen Statut inkriminierten völkerrechtlichen Schwerstverbrechen – nämlich Aggressionsverbrechen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – verwirklicht haben, der Lackmustest für die Glaubwürdigkeit des von ihm im Wahlkampf so groß angekündigten »Wandels« sein, zumindest was die Völkerrechtstreue der USA angeht. Denn wie hatte Robert H. Jackson, Hauptankläger der USA beim International Militärtribunal in Nürnberg 1945, einst formuliert: »Die Vernunft der Menschheit verlangt, daß das Gesetz auch die Männer erreicht, die eine große Macht an sich reißen und sich ihrer bedienen, um ein Unheil auszulösen, das kein Heim in der Welt unberührt läßt. Der letzte Schritt, um periodisch wiederkehrende Kriege zu verhüten, muß dahin führen, die Staatsmänner vor dem Gesetz verantwortlich zu machen. Dieses Gesetz wird hier zwar zunächst auf deutsche Angreifer angewandt, aber es muß auch, wenn es von Nutzen sein soll, den Angriff jeder anderen Nation einschließen und verdammen.« Now it’s your turn, Mr. President!
Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung des Angriffskriegs, die in Ossietzky 1/08 begann, wird fortgesetzt. Der Autor, Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.
Erschienen in Ossietzky 3/2009
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