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Henrico stolz und glücklich
Jürgen Malyssek/Klaus Störch
Zwei Jahre sind vergangen, seit Henrico Frank als Hartz-IV-Opfer auf dem Wiesbadener Weihnachtsmarkt 2006 dem damaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck entgegentrat und prompt in der Boulevardpresse zu »Deutschlands frechstem Arbeitslosen« ernannt wurde. Über die Wochen danach berichtet er uns: »Als die Stimmung gegen mich schlug und die Hetztiraden in der Presse zunahmen, fühlte ich mich beschissen. Ich wurde verfolgt von Interview zu Interview, vor der Haustür abgepaßt von der Presse und war dann regelrecht auf der Flucht vor den Verfolgern.« Diese öffentliche Aufmerksamkeit und diesen Medienrummel habe er nie gewollt, und er sei davon überrascht gewesen. Aber den SPD-Vorsitzenden wegen Hartz IV anzumachen, das sei durchaus seine Absicht gewesen, weil er einfach einen großen Zorn auf die Verantwortlichen gehabt habe. Er habe gemeint, nicht schweigen zu dürfen. Dafür habe er sich schon ein bißchen Mut antrinken müssen.
»Waschen und rasieren Sie sich …!« Das sei beleidigend gewesen, aber am härtesten getroffen und gekränkt hätten ihn Beck Worte: »So wie Sie aussehen, haben Sie noch nie viel gearbeitet.« Damit habe Beck allen Arbeitslosen generell unterstellt, daß sie zu faul zum Arbeiten seien. Das habe er nicht auf sich und seinen Leidensgenossen sitzen lassen wollen. Daraus sei bei ihm eine kämpferische Einstellung entstanden: »Denen zeig‘ ich’s, daß die Arbeitslosen keine Schmarotzer und faulen Schweine sind.«
Becks Angebote habe er weder annehmen wollen noch können – aus gesundheitlichen Gründen, die in den Hetz-Medien unerwähnt blieben. Nach seiner Anstellung im Februar 2007 bei dem Fernseh-Musiksender iMusic1 in Frankfurt seien öffentlich Wetten abgeschlossen worden, wie lange er diesen Job durchhalten werde. Ihm aber sei es darauf angekommen, auf die wirkliche Lage der Arbeitslosen aufmerksam zu machen: »Der Großteil will arbeiten.«
Wie er denn den politischen Sturz von Kurt Beck vom SPD-Vorsitz erlebt habe, fragen wir ihn. »Nach der eigenen öffentlichen Demütigung spüre ich schon eine gewisse Genugtuung. Jetzt hat er auch mal erlebt, wie das ist, öffentlich eingeseift und abgespeist zu werden. Vielleicht kann er das jetzt nachvollziehen, auch mit der Erfahrung eines Karriereknicks!«
Zu seiner eigenen Karriere aber sagt er: »Ich bin ganz stolz, daß ich es in meinem Job geschafft habe und daß ich jetzt anfangen kann, meine hohen Schulden abzuzahlen, ohne in eine Privatinsolvenz gehen zu müssen. Ich möchte es schaffen. Ich bin auch stolz und froh, jetzt den längsten Job seit der Wende zu haben. Dafür gekämpft zu haben, daß ich heute noch an diesem Arbeitsplatz bin!«
Frank hat sich für die damalige öffentliche Demütigung inzwischen musikalisch mit seinem Song »Wasche und rasiere dich!« revanchiert. Der Sender, der ihn als Punk- und Rockkenner haben wollte, hat die CD mit seiner Geschichte produziert – stellvertretend für die Geschichten vieler Arbeitsloser. Wir haben über Internet in das Stück reingehört und Gefallen daran gefunden.
Dieser Henrico Frank, der uns in einem Wiesbadener Café gegenübersitzt, soll also der Arbeitsscheue und Sozialschmarotzer sein, über den die Presse und die Politik herzogen, als wieder mal ein Sündenbock gebraucht wurde. Wir gewinnen einen anderen Eindruck. Ihn macht es glücklich, daß er in der Musikbranche arbeiten kann, wo er sich zu Hause fühlt. Eine ehrliche Haut. Er sagt seine Meinung über die fatale gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahre, möchte sich aber von keiner politischen Gruppe vereinnahmen lassen.
Was wissen wir noch über ihn?
Frank ist 1969 in Gotha geboren, machte in der DDR eine Lehre als Baufacharbeiter, mußte den Beruf aber wegen einer Schulterverletzung aufgeben. Danach jobbte er als Schaffner, Straßenbahnfahrer, Fliesenleger. Im Westen wurde er nach der Wende nicht als Facharbeiter anerkannt. Das führte nach Inkrafttreten von Hartz IV dazu, daß er Arbeiten hätte annehmen sollen, die nicht seiner Qualifikation entsprochen hätten oder die er körperlich nicht hätte bewältigen können. Es blieben Jobs bei Zeitarbeitsfirmen und in einem Seniorenheim. Eine Umschulung zum Altenpfleger versagte ihm die Arbeitsagentur. Wegen eines Bandscheibenvorfalls verlor er einen Ein-Euro-Job beim Gartenbauamt. Er erfuhr auch, was es bedeutet, als Obdachloser in Deutschland zu leben. Aber er bettelte nie und nahm auch nur selten das offizielle Hilfesystem für Wohnungslose in Anspruch. Gut vier Jahre lebte auf der Straße. Wer wäre je auf ihn aufmerksam geworden?
Jürgen Malyssek und Klaus Störch haben soeben im Lambertus-Verlag Freiburg/Breisgau das Buch »Wohnungslose Menschen – Ausgrenzung und Stigmatisierung« herausgebracht (22 Euro).
Erschienen in Ossietzky 3/2009
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