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Die Wirtschaft demokratisieren!
Heinz-J. Bontrup
Eine Ursache der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise ist, wie ich in Ossietzky 2/09 ausgeführt habe, das Ungleichgewicht zwischen Produktion und Konsum. Hinzu kommt als Krisenursache ein zweites weltweites Ungleichgewicht, das sich zwischen der Real- und der Finanzmarktsphäre entwickelt hat. Die massive Umverteilung von unten nach oben hatte zur Folge, daß sich die Finanzmärkte gewaltig aufblähten. Betrug das weltweite Finanzvermögen 1990 noch zwölf Billionen US-Dollar, so lag der Wert 2006 bei rund 140 Billionen US-Dollar – eine Steigerung um mehr als 1000 Prozent! Obwohl das Platzen der »New Economy«-Blase Anfang des Jahrzehnts dieser Entwicklung entgegenwirkte, wuchs das Transaktionsvolumen auf den Finanzmärkten erheblich stärker als die Realwirtschaft. Im Jahr 1980 hatte das von den Reichen angehäufte Finanzvermögen noch nicht die Höhe des Weltsozialprodukts (die Summe der in diesem Jahr produzierten Güter und Dienstleistungen) erreicht. Im Jahr 2006 hätte die Weltbevölkerung dann schon dreieinhalb Jahre arbeiten müssen, um Güter und Dienstleistungen im Gegenwert des kumulierten Finanzvermögens zu produzieren. Da sich aber das Einkommenswachstum in der realen Wirtschaft aus Produktivität und Beschäftigung ergibt, lagen die erreichten Werte auf den Finanzmärkten jenseits jedes realistisch zu erwartenden realen Einkommenswachstums.
Zwischen den beiden globalen Ungleichgewichten besteht eine enge Beziehung. Wer mehr konsumiert, als er produziert, muß die Differenz über Kredite finanzieren. Umgekehrt sammeln sich bei denen, die weniger verbrauchen, als sie produzieren, Überschüsse an, für die sie rentierliche Anlagemöglichkeiten suchen. In jeder Volkswirtschaft gilt aber das ökonomische Gesetz, daß hinter jedem ersparten Überschuß nach Abzug der Investitionen, also hinter jeder aufgemachten Forderung, Schulden beziehungsweise Verbindlichkeiten stehen müssen. Wenn ich einen Euro spare, muß ich einen Schuldner finden, der mir dafür Zinsen zahlt. Der Saldo aus Ersparnissen und Schulden in einer Volkswirtschaft ist daher immer gleich Null. Wenn aber auf Grund der Umverteilung zuviel erspartes Geld nach profitablen Anlagen sucht, treibt das die Vermögenswerte in unrealistische Höhen und die Anleger wie auch die vermittelnden Banken in immer riskantere Anlagen, weil die Grenzleistungsfähigkeit des eingesetzten Kapitals abnimmt. Und dieser Effekt verstärkt sich noch, wenn die Bankenmanager an den riskanten Anlagen kurzfristig verdienen können.
Deutschland ist einer der Gläubiger, die in der Vergangenheit gewaltige Überschüsse erzeugt haben. Die Reallöhne waren niedrig, wodurch sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit verbesserte. Davon profitierte zum einen das Ausland in Form günstiger Preise, Nutznießer waren aber auch, wie schon gezeigt, die Bezieher von Besitzeinkommen. Gleichzeitig entstand hierdurch in Deutschland eine gespaltene Konjunktur. Die Binnenwirtschaft lahmte auf Grund der Umverteilung, der private Konsum, das größte Aggregat der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, fiel nahezu aus. Selbst im letzten Konjunkturaufschwung von 2006 bis 2008 lagen die Wachstumsraten des privaten Konsums weit unter den realen Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts. Das geringe Wachstum kam fast ausschließlich aus dem Außenhandel. Zusätzlich wurden die privaten Haushalte zu weiterem Sparen ermuntert, da angeblich die Alterssicherung sonst nicht mehr sicher sei; dazu waren vor allem die Besserverdienenden in der Lage. Die so entstandenen Ersparnisse suchten Anlagemöglichkeiten.
Deutschland hat eine gesamtwirtschaftliche Sparquote von gut elf Prozent bezogen auf das verfügbare Einkommen. Die Ersparnisse sind aber völlig ungleich verteilt. Viele private Haushalte haben gar keine Ersparnisse, sondern sind im Gegenteil hoch verschuldet. Da der Staat in den vergangenen Jahren seinen Haushalt konsolidierte, also weniger Kredite aufnahm, blieben als Abnehmer der Ersparnisse nur der Unternehmenssektor oder das Ausland übrig. Die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse führten zu weiterem Kapitalexport. Die Unternehmen brauchten aber nicht so viele Kredite, da ihre Ertragslage gut und ihre Expansion durch die viel zu geringe Binnennachfrage behindert war. Im Gegensatz zu den USA war das deutsche Finanzsystem auch kaum geneigt, weniger gut verdienenden Haushalten oder kleinen Unternehmen sowie Unternehmensgründern ohne größere Sicherheiten Kredite zu gewähren. So boten sich die scheinbar sicheren und ertragreicheren neuen »Finanzprodukte« als Ausweg an, der dann erst recht in den Abgrund führte. Dabei hätte man wissen müssen, daß eine volkswirtschaftliche Ersparnis nur so viel wert ist wie die zusätzliche Wirtschaftsaktivität, die sie finanziert. Wenn ihr keine direkten Investitionen gegenüberstehen und keine zusätzliche Nachfrage zusätzliche Beschäftigung auslöst, bleiben nur aufgeblasene (fiktive) Vermögensbuchwerte, die irgendwann wieder auf den Boden der Realwirtschaft zurück müssen. Dieser Ausgleich wird jetzt in Form einer Bereinigungskrise vollstreckt.
Die Auswirkungen sind grausam. Es wird zu großen Wachstumseinbrüchen und damit zur Vernichtung von Arbeitsplätzen, also zum Anstieg der schon bestehenden Massenarbeitslosigkeit und zu noch größerer Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich sowie zur Vernichtung von Kapital kommen. Am Ende der Krise wird die Real- und Finanzwirtschaft noch stärker konzentriert und vermachtet sein als jetzt. Die Steuereinnahmen werden einbrechen, und durch die notwendigen staatlichen Interventionen in die versagenden Märkte (Bürgschaften, Konjunkturprogramme) wird die Staatsverschuldung heftig steigen. Dazu gibt es keine marktwirtschaftliche Alternative. Der Staat muß jetzt gegensteuern.
Der drohende starke Wachstums- und Beschäftigungseinbruch verlangt kurzfristig nach einem kreditfinanzierten staatlichen Konjunkturprogramm. Dieser antizyklische staatliche Impuls sollte auf EU-Ebene koordiniert werden. Das Programm für die nächsten zwei Jahre müßte jährlich etwa vier Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts ausmachen. Für Deutschland wären dies um die 100 Milliarden Euro pro Jahr. Das von der Bundesregierung gerade beschlossene Konjunkturprogramm greift dagegen viel zu kurz. Dringend notwendig ist außerdem zur Unterstützung der Fiskalpolitik eine expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Leitzinsen sollten fast auf Null abgesenkt werden. Die amerikanische FED hat diesbezüglich bereits richtig reagiert.
Diese kurzfristigen fiskal- und geldpolitischen Interventionen müssen aber durch langfristige, system-strukturell wirkende ergänzt werden. Darüber wird bisher nur unzureichend diskutiert. So sind die internationalen Finanzmärkte aus ihrer in der Vergangenheit vollzogenen Liberalisierung wieder in staatlich regulierte Märkte zu überführen. Aber eine solche notwendige staatliche Regulierung der Finanzmarktsphäre allein reicht für die Zukunft nicht aus. Hinzu kommen muß die Beseitigung der beschriebenen Ungleichgewichte in der weltweiten Wirtschaft. Für Deutschland bedeutet dies konkret: Bei der Primärverteilung ist zu einer produktivitätsorientierten Reallohnpolitik zurückzukehren. Echte Gewinnbeteiligungen für Arbeitnehmer als »On-Top-Modelle« zum Tariflohn sind flächendeckend umzusetzen. Im Niedriglohnsektor sind gesetzliche Mindestlöhne einzuführen. Die Produktions-Produktivitätslücke ist durch kollektive Arbeitszeitverkürzungen zu schließen. Für leistungsschwache und ältere sowie gesundheitlich eingeschränkte Erwerbspersonen ist ein öffentlicher Beschäftigungssektor einzurichten. Bei der Sekundärverteilung sind die gewinnträchtigen Unternehmen und die Spitzenverdiener im Vergleich zu heute wesentlich höher zu besteuern. Die unteren und mittleren Einkommen dagegen sind steuerlich zu entlasten. Das Ehegattenspitting ist zu modifizieren. Die völlig ungleich verteilten Vermögenswerte sind durch adäquate Vermögens- und Erbschaftsteuern teilweise an die Gesellschaft zurückzugeben. Erben haben für ihre Erbschaft nichts geleistet. Umgehend ist eine Börsenumsatzsteuer einzuführen. Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung sind radikal zu bekämpfen, internationale Steueroasen sofort zu schließen. Die gesamte Steuerpolitik muß in Europa endlich harmonisiert werden. Das heute von den Unternehmen gegen Nationalstaaten angewandte Erpressungspotential muß von der EU abgeschafft werden. Die Sozialpolitik muß uneingeschränkt zum Prinzip der Solidarität in Form eines öffentlichen Gutes zurückkehren. Mit Leistungskürzungen und Privatisierungen ist hier Schluß zu machen. Die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung sind zu erhöhen, die Arbeitnehmerbeiträge zu senken. Die Staatsverschuldung ist mittel- und langfristig antizyklisch abzubauen. Und über diesem Ganzen steht noch eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit: Die private Wirtschaft muß demokratisiert werden. Die gesellschaftliche Dichotomie zwischen demokratisch verfaßtem staatlichen Überbau und einer zutiefst autokratisch/paternalistisch angelegten Unternehmensverfassung mit einem alles entscheidenden kapitalzentrierten Investitionsmonopol muß überwunden werden.
Wie sagte Willy Brandt 1969: Wir sollten in Deutschland endlich mehr Demokratie wagen. Die Demokratisierung der Wirtschaft ist überfällig.
Erschienen in Ossietzky 3/2009
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