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Rosa Luxemburg im Grips-Theater
Ernst Schumacher
Daß politisches Theater auch sogenannte postsozialistische junge wie ältere Zuschauer sowohl informieren als auch inflammieren kann, beweist die Aufführung eines »Schauspiels mit Musik« mit dem intimen Titel »Rosa« im Grips-Theater. Volker Ludwig, Begründer dieses Westberliner Kinder- und Jugendtheaters, 2008 mit dem deutschen Theaterpreis geehrt, und seine Mitautorin wie -regisseurin Franziska Steiof stellen darin die Lebensgeschichte von Rosa Luxemburg auf solche Weise dar, daß das Vergangene als unabgegolten, also in die Gegenwart und Zukunft weisend erscheint.
Den emotionalen wie ideellen Zugang zu Herzen und Hirnen junger Leute von heute erschließen sie sich gerade dadurch, daß sie die Heldin als Frei-Frau zeigen, die sich von den im großbürgerlichen Milieu assimilierten jüdischen Eltern in Warschau unter der Zarenherrschaft löst, sich als Studentin in Zürich im illegalen Kampf der linken polnischen Sozialdemoratie engagiert, sich auf Anhieb in deren führenden Kopf, den schönen Leo Jogiches, verknallt, im Fortgang den Kampf um Sozialismus auch und gerade als Befreiung der Frau versteht, eine Scheinehe mit dem viel jüngeren Sohn eines deutschen Emigranten eingeht, um die preußische Staatsbürgerschaft zu erhalten und in der SPD wirken zu können, sich schließlich den schönen Leo aus dem Herzen reißt, den viel jüngeren Sohn Clara Zetkins, der Chefredakteurin der sozial-demokratischen Frauenzeitschrift Die Gleichheit, Kostja, zu ihrem Liebhaber macht und dann auch mit ihrem Verteidiger in den Prozessen, mit denen die politische Justiz sie als wirksamste Agitatorin gegen Militarismus und Krieg überzieht, Paul Levi, ein Verhältnis anfängt. Kurz, Rosa Luxemburg wird nicht nur als politische Kämpferin, sondern auch als Frau aus Fleisch und Blut gezeigt, die auch mal vom gemütlichen Heim mit Mann und Kindern träumt – eine Seite, mit der sich orthodoxe marxistische Geschichtsschreiber nie befaßten.
Die Darstellung hat die Form der szenischen Revue. Tun und Lassen der Akteure werden von einer Combo begleitet, rhythmisiert und kommentiert. Gefühle wie Gedanken der Heldin, aber auch ihrer Freunde und Feinde werden in »Songs« gehoben, die vom Sentimentalen bis zum Ironisch-Bissigen und Polemischen reichen. Die Spieler tragen sie solistisch oder in Gruppen dem Publikum vor, das auf- und herausgefordert wird, selbst Partei zu nehmen. Die schwierigen politischen Probleme, vor die sich Rosa gestellt sah, die Alternativen Reformismus oder Revolution, Nationalismus oder Internationalismus, Krieg oder Frieden, Massenstreiks oder parlamentarische »Wahlvereins«-Arbeit, schließlich Einheit der Partei oder Gründung einer neuen, der Kommunistischen Partei Deutschlands, erhalten auch und gerade durch alte politische Kampflieder der Arbeiterbewegung eine historische Deutung und Bedeutung (Musik: Thomas Kaufke).
Zum Verständnis des politischen Spannungsverhältnisses in der deutschen Sozialdemokratie vor und während des ersten Weltkriegs tragen die historisch sehr getreuen Masken ihrer Protagonisten August Bebel, Karl Kautsky, Ignaz Auer, Julian Marchlewski und der ihr besonders nahestehenden Frauen Clara Zetkin, Sonja Liebknecht, Louise Kautsky und Sekretärin Mathilde Jacob (die letztgenannten sollten Opfer der »Endlösung der Judenfrage« durch die Nazis während des zweiten Weltkriegs werden) bei. Um uns an die Schauplätze zu führen, ob Emigrantenwohnung, Barrikaden im revolutionären Warschau von 1905, Kongreß- oder Reichstagstribünen, genügt es, auf der arenaförmigen Bühne einige Podeste hin- und herzuschieben. Die Dialoge sind kurz gehalten und durch Zeitsprünge gebrochen. Was sich entfaltet, ist »totales Theater«, vielsichtig wie ein Kaleidoskop, vielschichtig wie ein Roman oder eine heroische Saga aus alter Zeit, deren volle Bedeutung sich erst im Bewußtwerden der Unabgegoltenheit von Geschichte, des Fortwirkens bis ins Heutige und Zukünftige erschließt.
Die Hauptrolle der Rosa bewältigt Regine Seidler mit Bravour. In Maske und Kostüm der historischen Figur angenähert, mit einem Bein hinkend, verkörpert sie erotische Hingabe so gut wie agitatorische Beredsamkeit, Gemütsweichheit so gut wie Gesinnungstreue, Leidenschaft so gut wie standhafte Verteidigung der Revolution, deren Wesen sie in ihrem letzten Artikel in der Roten Fahne vom 14. Januar 1919 auf die Losung bringen sollte: »Ich war, ich bin, ich werde sein« – einen Tag, bevor die weiße Soldateska, die auf Weisung der SPD-Regierung unter Ebert, Scheidemann, Noske nach Berlin beordert worden war, um »Ruhe und Ordnung« wiederherzustellen, sie erschoß.
Ihre Mitspieler haben sich in mehreren Rollen zu bewähren. So ist Sebastian Achilles nicht nur ein blendend aussehender, aber auch rigoroser Jogiches, sondern auch noch ein anklägerischer Staatsanwalt; Thomas Ahrens nicht nur ein schwankender, schließlich reformistischer Karl Kautsky, sondern auch noch Rosas Scheinehemann Karl Lübeck; Dietrich Lehmann nicht nur August Bebel, der als Vorsitzender der SPD die Einheit der Partei zu wahren versucht, sondern auch Robert Seidel und ein Hausbewohner. Das Gleiche gilt für die weiblichen Darsteller. Kajta Götz spielt neben der Emigrantenglucke in Zürich, Olympia Lübeck, auch noch die Sonja Liebknecht; Michaela Hanser ist sowohl Clara Zetkin als auch Mathilde Jacob, Rosas Mutter, polnische Arbeiterin und Hausbewohnerin. Ein gutes Dutzend Schauspieler bringt auf diese Weise das Proletariat als Klasse, unüberbrückbare politische Gegensätze unter Gesinnungsgenossen, den bis heute nicht ausgestandenen Kampf um richtige Strategie und Taktik im Kampf um eine gerechtere und friedlichere menschliche Gesellschaft zu Anschauung wie Verständnis. Hier bewährt sich das Grips-Theater als Ort und Hort undoktrinärer Aufklärung vor allem für die nachwachsenden Generationen. Die Enkel sollen es ja einmal besser ausfechten.
Erschienen in Ossietzky 2/2009
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