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Namens-Züge
Conrad Taler
Seit Hartmut Mehdorn die Deutsche Bahn leitet, werden ICE-Züge nach Orten benannt, beispielsweise dem sächsischen Oschatz und dem niedersächsischen Jever. Beide Städte sind vom ICE-Verkehr abgehängt.
Früher gab es bei der Bahn Züge, die »Stauffenberg« hießen oder »Sophie Scholl« oder die nach Friedensnobelpreisträgern benannt waren: »Carl von Ossietzky« und »Ludwig Quidde«. Bis 1999 Hartmut Mehdorn kam. Symbolgestalten des Pazifismus und des Widerstandes gegen das Naziregime konnte er auf dem Weg an die Börse anscheinend nicht gebrauchen. Jedenfalls beschloß der Bahnvorstand kurz nach Mehdorns Amtsantritt, die Namen von Personen der Zeitgeschichte durch Städtenamen zu ersetzen.
Beginnen sollte die Umbenennung mit dem Fahrplanwechsel am 15. Dezember 2002. Aber die Beteiligten hatten es eilig. Bereits sechs Wochen vor diesem Termin wurde der erste ICE auf den Namen »Berlin« getauft. Die Namen Stauffenberg und Sophie Scholl sowie Carl von Ossietzky und Ludwig Quidde wurden ohne Wissen der Öffentlichkeit nach und nach entfernt. Eingesammelt und entsorgt wurden auch die in den Zügen ausliegenden Informationsblätter über das Leben und Wirken der zeitweilig geehrten Menschen. Niemand sollte sich mehr daran erinnern, mit welchem Aplomb einst etwa die Taufe eines ICE auf den Namen »Carl von Ossietzky« in Szene gesetzt worden war. Sogar Ossietzkys Tochter Rosalinde, die damals noch lebte, hatte man aus Stockholm zu dem Festakt nach Berlin eingeladen.
Auf ähnlich feierliche Weise wurde am 31. Mai 1999 in Bremen ein ICE nach Ludwig Quidde benannt. Der Präsident des Bremer Senats, Klaus Wedemeyer, rühmte den Sohn der Stadt aus diesem Anlaß als mutigen Kämpfer gegen den Militarismus, als großen Historiker und streitbaren Demokraten. Auch das war bald nur noch Schall und Rauch. Den kenne doch sowieso keiner, scherzte Wedemeyers Amtsnachfolger Henning Scherf über den Friedensnobelpreisträger, als am 12. Dezember 2002 im Bremer Hauptbahnhof der einstige ICE »Ludwig Quidde« den Namen »Bremen« bekam.
Die vorerst letzte Taufe eines Inter-City-Express-Zuges fand am 18. Oktober 2008 in Jever statt. Wieso Jever? Nach offizieller Lesart spielt bei der Auswahl einer Patenstadt deren historische oder aktuelle Verbundenheit mit der Bahn eine wesentliche Rolle. Aber Jever steht nicht einmal mehr im Streckenplan der Bahn AG. Sie überließ den Personenverkehr, weil er nicht mehr genug abwarf, vor sieben Jahren einem regionalen privaten Unternehmen. Die eingleisige alte Nebenstrecke von Oldenburg nach Jever, die nur für eine Geschwindigkeit bis zu 80 Kilometern in der Stunde zugelassen ist, wurde für die Hin- und Rückfahrt des ICE gesperrt. Zudem ging ein Lotse an Bord, der den Hochgeschwindigkeitszug immer dann halten ließ, wenn der ortskundige Begleiter aussteigen mußte, um die eine oder andere Schranke zu schließen oder zu öffnen.
Unterdessen stärkten sich in Jever tausend Schaulustige aus Nah und Fern bei Freibier und Schnittchen für den Taufakt. Nach den üblichen Reden und nachdem der Name »Jever« enthüllt und ein Glas Jever-Pils über den Triebkopf des Zuges geschüttet worden war, rollte das 100 Meter lange Gefährt auf Nimmerwiedersehen von dannen. Nach einem Bericht der Nordwest-Zeitung war das Ganze durch Zufall auf einer privaten Geburtstagsfeier zustande gekommen. Die Ratsvorsitzende von Jever, Margot Lorenzen, habe dort einen Bahnbevollmächtigten aus Berlin kennengelernt und sei mit ihm ins Gespräch gekommen.
Was Oschatz betrifft, so ist den Bahnoberen offensichtlich eine Panne passiert. Im Internet wird der Ort nämlich als »Sozialistische Gedenkstätte« vorgestellt. Eine Gedenktafel erinnert dort an den von den Nazis ermordeten Kommunistenführer Ernst Thälmann. Auf der Tafel ist zu lesen: »Seine Treue zur Arbeiterklasse und seine Standhaftigkeit müssen uns Vorbild und Verpflichtung sein.« Die Gedenkplatte hängt an einem Gasthaus, das den Gestapohäftling Thälmann – wie aus der Inschrift weiter hervorgeht – 1943 bei der Überführung vom Gefängnis Hannover zum Zuchthaus Bautzen für eine kurze Rast beherbergt hat.
Welche Gründe aber hatte die Bahn, Leitfiguren des Widerstandes gegen Faschismus und Militarismus beiseite zu schieben? Mehdorn behauptete allen Ernstes, die Umbenennung sei aus Platzgründen notwendig gewesen. Aber Namen wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg entfernt man nicht aus Platzgründen. Dahinter stecken wohl eher politische oder ideologische Motive. Zwar versicherte die Bahn, der Verzicht auf die Namen von Personen der Zeitgeschichte habe nichts mit einer »Nichtanerkennung dieser Personen« zu tun; aber sie hielt ungeachtet aller Kritik an dem Argument einer »vereinfachten Namensgebung« fest.
Ein Blick auf die Liste der 185 bisher verwendeten Städtenamen bestätigt, daß weder Platzgründe noch ein vermeintlicher Zwang zu vereinfachter Namensgebung den Ausschlag gegeben haben. Inzwischen fahren nämlich durch das vereinte Deutschland ICE-Züge mit Namen wie »Freie und Hansestadt Hamburg« oder »Ostseebad Warnemünde«, die nicht weniger Platz einnehmen und keineswegs einfacher zu lesen sind als »Sophie Scholl« oder auch »Carl von Ossietzky«.
Nein, diese Namen mußten weg, weil sie der Bahn bei der Verdrängung der Nazi-Vergangenheit im Weg standen – so wie sich das Unternehmen später gegen jene Ausstellung stellte, die an die Mitschuld der Reichsbahn an der Deportation jüdischer Kinder in die Vernichtungslager erinnert.
Das ist es, was die Umbenennung zum andauernden politischen Skandal macht, den die deutsche Spaßgesellschaft allerdings noch nicht wahrgenommen hat. Wie sollte sie auch. Der damals politisch verantwortliche Verkehrsminister Manfred Stolpe verschanzte sich hinter dem Aktiengesetz, das jede Einflußnahme der Bundesregierung auf unternehmerische Entscheidungen der Bahn verbiete, und der SPD-nahe Verein »Gegen Vergessen – Für Demokratie« raffte sich 2003 erst nach einem Anstoß von außen zu der gequälten Äußerung auf: »Daß auch wir diese Entscheidung zu bedauern haben, steht außer Zweifel.« Zu einem öffentlichen Protest fehlte ihm bis heute der Mut.
Inzwischen hat die Bahn ungewollt bestätigt, daß die angeblichen Platzgründe nur vorgeschoben waren, um die tatsächlichen Beweggründe für die Entfernung von Personennamen zu verschleiern. Seit 2006 gibt es nämlich einen ICE mit dem Namen »Fontanestadt Neuruppin«. Warum dann nicht auch »Quidde-Stadt Bremen« oder »Sophie-Scholl-Stadt Ulm«, und warum sollte man nicht auf Esterwegen als Leidensort des KZ-Häftlings und Nobelpreisträgers Ossietzky hinweisen?
Erschienen in Ossietzky 2/2009
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