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Die Rente könnte sicher sein
Dietrich Antelmann
Die Rente war einmal sicher (s. »Muß die Rente unsicher sein?« in Ossietzky 1/09), und sie könnte auch wieder gesichert werden – aber nicht, wenn sich die Politiker weiterhin nach dem Konzept der kapitalgedeckten Rente richten, das ihnen die von Arbeitgeberverbänden gegründete »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« an die Brille geklebt hat. Seit dem Jahr 2000 wirbt diese Initiative mit einem jährlichen Propaganda-Aufwand von zehn Millionen Euro für eine kapitalorientierte Politik in Deutschland und für weitere Privatisierungen, zum Beispiel die der Krankenversicherung.
1973 in Chile gingen die Neoliberalen es robuster vor. Nach der Ermordung des Präsidenten Salvador Allende ersetzte die Militärregierung über Nacht das öffentliche Rentensystem durch ein privates. Ein Desaster, wie 30 Jahre später Präsident Ricardo Mercosur anläßlich eines Berlin-Besuchs in einem Interview der Frankfurter Rundschau sagte: »Wir bringen gerade ein Gesetz zur Verbesserung der Einkommenssituation alter Menschen ein, weil sich das individuelle Kapitaldeckungsverfahren als unzureichend erweist.«
Nach Angaben des ehemaligen Bundesarbeitsministers Norbert Blüm haben in der jetzigen Finanzkrise schon bis Ende Oktober 2008 von 112.000 privaten Rentenfonds in den USA nur 32.000 überlebt (junge Welt, 3.11.08).
Von der Möglichkeit des Abschlusses einer Riester-Rente haben bisher rund zehn Millionen Versicherte Gebrauch gemacht, ungefähr die Hälfte aller rentenversicherungspflichtig Beschäftigten, und zwar überwiegend solche mit einem durchschnittlichen oder höheren Verdienst.
Wenige Jahre nach dem Riester-Gesetz trat 2004 das Rentenreform-Nachhaltigkeitsgesetz in Kraft. Es dient dazu, bei der Berechnung der Rentenansprüche Veränderungen im Zahlenverhältnis zwischen Rentnern und Beitragszahlern zu berücksichtigen. Steigt die Anzahl der Rentner bei konstanter Zahl der Beitragszahler, erhöhen sich die Renten weniger, als nach der Einkommensentwicklung zu erwarten wäre. Zusätzlich ist den Rentnern ab 1. April 2004 der volle Beitrag zur Pflegeversicherung aufgebürdet worden. Nach Meinung der Regierung ist das eine gerechte Entscheidung, denn die Beschäftigten trügen durch den Verlust eines Feiertages seit der Einführung der Pflegeversicherung mehr als die Hälfte des Pflegeversicherungsbeitrags. So wurden Beschäftigte und Rentner gegeneinander ausgespielt. Daß die Unternehmer um ihren Arbeitgeberanteil entlastet wurden, blieb unerwähnt.
Eine weitere Verschlechterung kam mit dem 2007 verabschiedeten Altersgrenzenanpassungsgesetz. Es sieht vor, daß von 2012 an das Rentenalter schrittweise auf 67 Jahre angehoben wird. Der Jahrgang 1964 wird als erster die neue Regelaltersgrenze erreichen. Wer dann von der Möglichkeit Gebrauch macht, mit 63 in Rente zu gehen, verzichtet auf 14,4 Prozent seiner Altersbezüge. Frauen, die mit 60 in Rente gehen wollen, müssen einen Abzug von 18 Prozent verkraften. Schon heute muß jeder zweite Rentner hohe Abzüge hinnehmen, weil er vorzeitig in den Ruhestand geht. Die durchschnittliche Rente mindert sich dadurch um 100 Euro auf 745 Euro. Wird die Altersgrenze weiter heraufgesetzt, ist das eine Rentenkürzung durch die Hintertür.
Ergebnis aller sogenannten Reformen ist die Aussicht, daß in einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt bereits in 15 Jahren bis zu 20 Prozent aller Neurentner auf staatliche Zuschüsse angewiesen sein werden.
Konzepte, wie dem abgeholfen werden kann, werden von den Konzernmedien und der folgsamen Regierung ohne nähere Begründung als nicht finanzierbar zurückgewiesen. Prüfen wir sie besser selber. Ich stelle drei Konzepte vor: das des Deutschen Gewerkschaftsbundes, das der Linkspartei und schließlich das einer Gruppe in attac.
Annelie Buntenbach, Mitglied des geschäftsführenden Vorstands des DGB, stellte im Mai 2008 »Eckpunkte« des DGB zur Zukunft der Rente vor. Dieses Konzept geht über die bisherigen gewerkschaftlichen Forderungen nach Rücknahme der Rentenkürzungen und Rückkehr zum Renteneintrittsalter 65 hinaus und plädiert für ein Mindestrentenniveau oberhalb der sogenannten Altersgrundsicherung. Das System der beitragsbezogenen gesetzlichen Rente mit einem Zuschuß aus Steuermitteln sei am besten geeignet, Sicherheit und sozialen Schutz zu gewährleisten, stellte der DGB fest. Auch mit den niedrigen Verwaltungskosten von 1,5 Prozent sei das öffentliche Rentensystem dem privaten Vorsorgesystem bei weitem überlegen. Wenn dennoch in den nächsten Jahren eine Welle von Altersarmut drohe, liege das weniger an der Demografie als vielmehr an der Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre: »Je eher wir zu anständigen Mindestlöhnen für die Beschäftigten kommen und aus prekären Jobs wieder abgesicherte Arbeitsplätze werden, desto stärker wird auch die gesetzliche Rentenversicherung, desto stabiler bleibt der Beitragssatz und desto besser werden die Rentenleistungen für die Arbeitnehmer.« Zur Finanzierung einer Reform, die diesen Namen verdiene, müßten alle Erwerbstätigen herangezogen werden, also auch alle Selbständigen, Beamten und Politiker.
Das Konzept der Partei Die Linke stimmt in den Grundzügen mit den Gewerkschaftsforderungen überein. Die Vorstellungen von einer gerechten Verteilung des erwirtschafteten Reichtums und der Gedanke der Solidarität werden allerdings konkreter ausgestaltet. Zuerst analysiert die Partei, daß der neoliberale Angriff auf die gesetzliche Rente nicht nur die einseitige Entlastung der Arbeitgeber bezweckt, sondern gleichzeitig auch die Privatisierung immer größerer Teile der Alterssicherung, um sie dem Kapitalmarkt zu überantworten – einem Kapitalmarkt, der in den letzten 30 Jahren die Geldmengen in der Welt gegenüber den realen Werten vervierzigfacht habe und damit für die jetzige Krise ursächlich sei. Als solidarische Alternative zur weiteren Ausbreitung des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus auf das Rentensystem fordert sie nicht nur, alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, sondern auch, die 2001 eingeführte private Riester-Rente abzubauen. Neuversicherte sollen nur noch in die allgemeine Rentenversicherung aufgenommen werden. Es sei auch nicht einsehbar, daß Besserverdienende nur bis zu einer bestimmten Grenze beitragspflichtig seien. Deshalb müsse die Beitragsbemessungsgrenze zunächst an- und längerfristig aufgehoben werden. Damit verbundene Steigerungen der Rentenansprüche sollen abgeflacht werden. Für die schnellstmögliche Anpassung des Rentenwerts Ost an das Westniveau fordert die Linkspartei eine Steuerfinanzierung. Um Lücken in den Rentenbiographien zu schließen, seien Kindererziehungszeiten für vor dem 1. Januar 1992 geborene Kinder ebenso anzuerkennen wie schulische, akademische und berufliche Ausbildungszeiten. Ziel dieser Vorschläge ist es, die gesetzliche Rente als tragende Säule der Alterssicherung zu stärken und den Rentnern die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Dazu wird ein Rentenniveau von rund 70 Prozent des durchschnittlichen Nettoarbeitseinkommens aller Versicherten angestrebt.
Die attac-Gruppe will eine »Solidarische Bürgerversicherung«, die alle Versicherungsbereiche umfaßt: die Rentenversicherung, die Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Zur Entlastung niedriger Einkommen ist ein »Sozial-Solidaritätsbeitrag« vorgesehen: Bezieher niedriger Einkommen würden dann nichts oder nur sehr wenig einzuzahlen brauchen, für andere stiege der Beitrag entsprechend der Steuer. Die Bürgerversicherung, wie sie hier verstanden wird, beruht auf dem Prinzip, alle Bürgereinkommen beitragspflichtig zu machen, nicht nur das Arbeitsentgelt, sondern auch Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Die gesamte gesetzliche Sozialversicherung wäre auf eine solide Grundlage gestellt, wenn nicht mehr nur die Arbeitnehmereinkommen beitragspflichtig wären.
2007 flossen in die Rentenversicherung 400 Milliarden Euro aus Arbeitnehmereinkommen, die 1.184 Milliarden Euro betrugen. Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen beliefen sich auf 644 Milliarden Euro. Würden diese zur Beitragsleistung herangezogen, wäre die Bemessungsbasis um mehr als 50 Prozent erhöht. Attac rechnet die sogenannten Arbeitgeberanteile zu den Bruttolohn-Einnahmen der Arbeitnehmer; das steht in Einklang mit dem Europäischen System volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung von 1995.
Wenn die Steueroasen geschlossen, Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung konsequenter bekämpft würden, ließe sich die Bemessungsbasis weiter vergrößern. Ziel des Konzepts ist ein zweifaches: eine existenzsichernde Mindestrente und eine Höchstrente, die auf das Doppelte der Mindestrente begrenzt ist. Die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung soll von allen Privatisierungselementen befreit werden, und mit dem Geld der Arbeitslosenversicherung sollen nicht zuletzt neue Arbeitsplätze in einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor geschaffen werden.
Allen drei Konzepten ist das Ziel eines solidarischen Rentensystems gemeinsam. Es soll die gesamte Bevölkerung einbeziehen, und die jetzt vorherrschenden Privatisierungstendenzen sollen zu Gunsten einer allgemeinen Versicherung zurücktreten.
Soweit tragfähige Ideen, um »die Rente sicher« zu machen – aber wie sind sie durchsetzbar?
Mit der Bildung einer Opposition wie zu Kaisers Zeiten wäre das zu schaffen.
Erschienen in Ossietzky 2/2009
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