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Kalter Krieg gegen Russen und Linke
Gerhard Zwerenz
In der FAZ, dem mainischen Comic-Gesangbuch der weiland Adenauerianer samt postmoderner SPD, entdecken ein paar frühere Rothäute längst vergessen geglaubte Marx-Sätze, zumal auch ein Bischof so heißt. Linkerhand druckt die junge Welt seit Menschengedenken zum Wochenende eine halbe Seite Marx, deren intellektuelle Anforderungen den kulturellen Wasserstand der Elite haushoch übersteigen. In geradezu weiser Erkenntnis der Lage trat Neues Deutschland seine flotte Glosse Links unten vorübergehend an den Urvater der Lehre ab, indem er jeweils zwölf Sätze lang präsentiert wurde. Die Genossen hätten auch den Mann im Mond zitieren können. Was soll Astronomie, wenn Astrologie gefragt ist. Hermann Göring wird der Rat an Hitler zugeschrieben, den Ostkrieg zu beenden. Der größte Feldherr aller Zeiten soll wahrheitsgemäß geantwortet haben: Selbst wenn das möglich wäre, würde ich die Bolschewisten bei nächster Gelegenheit doch wieder angreifen – ich kann nicht anders.
Der Führer ging. Geblieben sind seine Generäle und Unterführer. Die können nicht anders. 1989 erschien »Die Rückkehr der Führer« (herausgegeben von Martina Kriftel und Walter Oswalt, Vorwort von Robert Jungk, Europaverlag Wien – Zürich), eine hellsichtig-scharfsinnige Anthologie der Warnung vor einem »Gemüts- und Technofaschismus«. Dann geschah die friedliche deutsche Vereinigung samt Nachfolge-Kriegen. Seither werden alle unsere Warnungen vergessen gemacht. In den unzähligen TV-Talks singen zwei Dutzend Hellseher dieselben Volkslieder wie zuvor, nur mit dem Refrain vornedran. Das Publikum applaudiert. Hauptsache: vereint gegen die Linke.
Im letzten Ostkrieg mißlang die Abspaltung der Ukraine von Moskau. Nun steht sie schon zur Hälfte mit uns gegen die Russen. Und Georgien erst! Damals stand Stalins Geburtsland mit Stalin selbst gegen uns – jetzt marschiert der Fortschritt zur Verteidigung der Freiheit, die durch Russen »vom Schlag Putins« bedroht wird: »Jetzt packt er die Ukraine an der Kehle.« (FAZ-Leitartikel vom 15. Januar) Es drohen also Gefahren. »Das neue Jahr beginnt mit einem Trommelfeuer …« Schießt dieser Putin schon? Viel schlimmer, es geht ums liebe Geld und um »unvorstellbare Beträge. Allein zehn betroffene Banken in Deutschland könnten 1000 (tausend) Milliarden Euro in der ›Bad Bank‹ abladen.« Bad Bank ist die finanzielle Schutthalde der vereinten deutschen Nation. Das kapitale Geldscheißhaus. Man sollte es in die gigantischen Vereinigungsfeiern des Jahres einbeziehen wie den Bundespräsidenten und die Kanzlerin. Jedem nach seinen Fähigkeiten, denn: »Sobald eine Bank verstaatlicht ist, haftet der Bund auch für deren Schuldverschreibungen; davon sind weit mehr als eine Billion Euro am Markt.«
Na schön, wenn Putin der Ukraine an die Kehle geht, werden unsere deutschen Banker auch ihren Volksgenossen an die Börse dürfen: »Vielleicht müssen nach den Aktionären auch noch die Anleihegläubiger ihren Krisenbeitrag leisten.« Wir ahnen, diese Herren können gar nicht anders. Die FAZ war am 15. und 17.1.09 so ungewohnt mitteilsam, Tätern wie Opfern die nahe Zukunft aus der Hand zu lesen. Inzwischen fand am 18.1.09 die erste Unwahl des Jahres statt. Südhessens SPD wollte sich per Ypsilanti zur früheren Größe aufrichten. Das erschreckte die Zentralen. Der Untergrund mobilisierte. Die FDP spielte den Kellner, um den Koch zu retten. Der Rest war eine Wahl als Qual. Quälen statt wählen? fragten sich 40 Prozent unwohle Hessen und blieben daheim. Der Linkspartei wurden genüßlich nur vier Prozent vorausgesagt, sie brachte es auf 5,4. Es könnten mehr werden, ließen sich die lieben verängstigten Linken nicht sowohl einschüchtern wie chaotisieren. Da bewies Sahra Wagenknecht bei Anne Will im Wortgefecht mit dem CDU-Arbeiterführer Rüttgers ein anderes Kaliber. Am Freitag zuvor hatte schon Scholl-Latour im bis dahin dahinblödelnden 3 nach 9 Klartext gesprochen.
Die junge Revolutionärin und der alte Konservative. Es gibt noch Glücksfälle.
Erschienen in Ossietzky 2/2009
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