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Angriffswaffe Medienpropaganda
Jürgen Rose
Die politischen und militärischen Entscheider brauchen, wenn sie Bürger – und immer zahlreicher auch Bürgerinnen – in den Krieg schicken wollen, eine starke, möglichst wenig angezweifelte Legitimation. Denn Menschen sind nun einmal nicht ohne weiteres bereit, andere zu töten oder zu verstümmeln und gegebenenfalls selbst das gleiche Schicksal zu erleiden. Sie dazu bereit zu machen, war schon während des Kalten Krieges nicht einfach, als es angeblich immer nur um die für jedermann einsichtige Verteidigung des eigenen Gemeinwesens ging. Doch wenn jetzt Interventions- und Angriffskriege in aller Welt propagandistisch orchestriert werden sollen, ist dafür ein vielfach größerer Kommunikationsaufwand erforderlich. Demokratische Öffentlichkeiten, die den Krieg eigentlich nicht als legitimes Mittel der Politik betrachten, lassen sich nur durch geschickte Propaganda von dessen Notwendigkeit überzeugen, und dazu wird, wie Cora Stephan in ihrem Buch vom »Handwerk des Krieges« schreibt, »der allergarstigste Gegner« gebraucht. Je virtuoser dies den Verantwortlichen an den Schalthebeln der Macht mit Hilfe der üblicherweise zahlreich vorhandenen Kollaborateure in den Rundfunk- und Presseredaktionen gelingt, desto mehr erfüllt sich Cora Stephans verstörende These, daß »das gefährlichste Kriegsmittel ... der von der Moral der Sache überzeugte Bürger in Waffen [ist].«
Die Entscheidung zum Krieg bedarf in Demokratien mittlerweile der Beschwörung von Menschheitsbedrohungen wie Massenvernichtungswaffen, Terrorismus, Völkermord. Ein Lehrstück, wie hierzulande die StaatsbürgerInnen in Uniform psychologisch für potentielle Angriffskriege aufgerüstet werden, lieferte im Frühjahr 2008 die bundeswehreigene Desinformations- und Propagandaplattform Intranet aktuell. Am 14. März 2008 erschien dort ein Beitrag von ihres Redakteurs Bernd Weber mit dem reißerischen Titel »Iran: Atomare Bedrohung Israels«.
Um den Mindeststandards eines seriösen Journalismus zu genügen, hätte der Artikel eigentlich zwingend die drei folgenden Tatsachen berücksichtigen müssen, die er aber samt und sonders unterschlug:
– Es steht zweifelsfrei fest, daß der Staat Israel über Nuklearwaffen verfügt. Neben anderen haben das der bisherige und künftige US-Kriegsminister Robert Gates und Israels bisheriger Ministerpräsident Ehud Olmert bestätigt. Das nukleare Arsenal Israels umfaßt klassische Kernspaltungs-, thermonukleare Fusions- sowie Neutronenwaffen, insgesamt schätzungsweise 400 bis 500 Sprengsätze mit einer Gesamtsprengkraft von etwa 50 Megatonnen. Um die Nuklearwaffen zum Einsatz bringen zu können, verfügt die »Israeli Defense Force« über ein breites Spektrum von Trägersystemen zu Lande, zur See und in der Luft.
– Ebenso zweifelsfrei steht fest, daß der Staat Iran über keine einsatzfähigen Atomwaffen verfügt. Genau dies ist die zentrale Erkenntnis und Aussage von 16 US-Geheimdiensten in dem von ihnen gemeinsam verfaßten »National Intelligence Estimate« aus dem Jahre 2007. Dort heißt es: »We continue to assess with moderate-to-high confidence that Iran does not currently have a nuclear weapon.« Zum gleichen Ergebnis war zuvor bereits die Internationale Atomenergiebehörde in Wien gelangt. Zudem bescheinigten die Washingtoner Geheimdienstler dem Mullah-Regime, äußerst rational und besonnen agiert zu haben, als es nicht zuletzt auf internationalen Druck hin sein Nuklearwaffenprogramm bereits im Jahr 2003 einstellte. Um so deutlicher trat hervor, wer die Fäden im Globalisierungskrieg gegen den Rest der Welt zog: die Bush-Cheney-Junta im Weißen Haus. CIA & Co. blamierten den Kriegsherrn im Oval Office bis auf die Knochen, indem sie unter anderem offenlegten, daß Präsident Bush bereits im August 2007 über den Inhalt des Berichts informiert war. Zuvor jedoch hatte »Dirty Dick« Cheney alle Register gezogen, um zu verhindern, daß die Geheimdienste den Kriegsplanungen gegen Iran die legitimatorische Grundlage entzogen. Ex-CIA-Mann McGovern gab diesbezüglich zu Protokoll, Cheney sei »sehr mißvergnügt gewesen«, als er schon Anfang 2007 einen Entwurf des Berichts gesehen habe. Letztlich ließ sich die Wahrheit über das iranische Atomprogramm nicht unterdrücken.
– Zweifelsfrei steht auch fest, daß Israel im Verbund mit seiner Schutzmacht USA dem Iran unverhohlen mit Krieg droht und zur Begründung weiterhin behauptet, Iran verfolge ein militärisches Atomwaffenprogramm. So hatte Bush bereits während einer Südasien-Tour Anfang 2006 verkündet, eine iranische Atombombe sei »das Destabilisierendste, was der Region und der Welt passieren könnte«, und hinzugefügt: »Iran darf keine Atombombe haben.« Dieses kategorische Verdikt ließ sich gewiß nicht zu Unrecht als Plädoyer für einen weiteren Präventivkrieg im Mittleren Osten deuten. Und so konnte es kaum erstaunen, daß Israel seine Angriffsvorbereitungen im Sommer 2008 intensivierte. Der Spiegel berichtete: »In Wahrheit herrscht in der israelischen Regierung mittlerweile Konsens, daß ein Luftangriff gegen die iranischen Atomanlagen unausweichlich geworden ist. ... Lediglich über den richtigen Zeitpunkt eines Militärschlags sind die politischen Lager Israels noch uneins. ... Doch in Israel geht es längst nicht mehr um das Ob, sondern bereits um das Wie eines Militärschlags. Klar ist, daß der Angriff ausschließlich aus der Luft erfolgen soll.« Der deutsch-iranische Politikwissenschaftler Mohssen Massarat erläuterte: »Es existieren detaillierte Pläne in Washington, Iran aus der Luft zu bombardieren. Es geht hierbei darum, Teheran die Möglichkeit zum Zurückschlagen zu nehmen. Aus dem Umfeld des Pentagons wurde bekannt, daß es an die 2000 bereits ausgewählte Ziele in Iran gibt, die zerstört werden sollen.« Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete unter der Überschrift »Bush: Alle Optionen in der Iran-Krise offen«: »Im Atomstreit mit Iran schließt Präsident Bush einen Krieg nicht aus.« In Anbetracht der unverhohlenen Aggressionsdrohungen aus den USA und Israel sah sich der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohamed El Baradei, zu einer Warnung vor den Folgen von Militärschlägen gegen mutmaßliche Atomanlagen veranlaßt: »Mit einseitigen Militäraktionen unterminiert man das internationale Vertragswerk (Atomwaffensperrvertrag) – wir stehen an einer historischen Wende.«
Neben den stetig wiederholten politischen Drohgebärden fanden auch Militärmanöver statt, in denen die operative Umsetzung der ausgetüftelten Angriffspläne geübt wurde. So berichtete Spiegel Online über eine solche Großübung der israelischen Luftwaffe Anfang Juni 2008 über dem östlichen Mittelmeer und Griechenland: »Israel übte Angriff auf iranische Atomanlagen. Hundert Kampfjets, Hubschrauber, Tankflugzeuge: Die israelische Luftwaffe hat in einem Großmanöver einen Schlag gegen iranische Atomanlagen geprobt. Es soll ein Zeichen an Teheran sein, aber auch eines an die Verbündeten im Westen – Israel ist bereit zu einer militärischen Aktion.« Gegenüber der New York Times erklärte ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums, Israel habe mit dem Großmanöver ein klares Zeichen setzen wollen. »Sie wollten, daß wir es wissen, sie wollten, daß es die Europäer wissen, und sie wollten, daß es die Iraner wissen.« Israel habe eindeutig einen Angriff auf iranische Atomanlagen simuliert und die entsprechende Flugtaktik, das Auftanken in der Luft und andere Details einer solchen Operation geübt. Die Helikopter und Tankflugzeuge seien etwas mehr als 900 Meilen weit geflogen – was ungefähr der Distanz zwischen Israel und Irans Atomanreicherungsanlage in Natanz entspricht.
Die beschriebene militärische Drohkulisse gegen den Iran dauert bereits seit Jahren an. Allein dies stellt einen permanenten Bruch des Völkerrechts dar, denn gemäß Artikel 2 Absatz 4 der Satzung der Vereinten Nationen sind alle UN-Mitglieder kategorisch verpflichtet, »in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt [zu unterlassen]«.
An diesem Bruch der UN-Satzung beteiligt sich auch die Bundesregierung seit Jahren. Die schwarz-rote Großkoalition scheint prinzipiell zur uneingeschränkten Unterstützung der israelischen Pläne bereit. Anläßlich der sogenannten »Münchner Sicherheitskonferenz« im Februar 2006 assistierte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der psychologischen Kriegsvorbereitung, als sie anmerkte, der Iran habe »mutwillig die ihm bekannten ›roten Linien‹ überschritten«. Darüber hinaus hielt sie »die militärische Option ausdrücklich offen«. Zu den von der Bundesregierung bereits pauschal gewährten Unterstützungsleistungen für das von den USA und Israel offenkundig geplante Verbrechen des Angriffskrieges gegen den Iran und seine Menschen zählt wiederum die umfassende Nutzung des deutschen Territoriums, des deutschen Luftraumes, sämtlicher Verkehrswege, der militärischen Führungsinfrastruktur et cetera.
Die genannten Tatsachen wurden in dem Intranet aktuell-Artikel schlichtweg ignoriert. Stattdessen suggeriert er dem Leser durch die gewählte Überschrift »Iran: Atomare Bedrohung Israels« sogar das genaue Gegenteil, nämlich daß der Iran an Atomwaffen arbeite, daß er möglicherweise schon welche besitze und daß er mit ihnen den Staat Israel zu vernichten drohe.
Mit keinem Wort erwähnt er zudem, daß der Iran mit seinem Atomprogramm die ihm nach dem Atomwaffensperrvertrag zustehenden Rechte auf friedliche Nutzung der Kernenergie wahrnimmt, während die den Iran mit Krieg bedrohenden Staaten, namentlich die USA, selbst seit Jahren eklatant vertragsbrüchig sind, indem sie ihren bindend eingegangenen Verpflichtungen zur kompletten nuklearen Abrüstung nicht nachkommen, und daß Israel dem Vertrag erst gar nicht beigetreten ist. Unterschlagen wird das Faktum, daß der Iran in den letzten 200 Jahren niemals einen Angriffskrieg geführt hat – im Gegensatz zu den Mächten, die ihn jetzt erneut mit einem Angriffs- und Präventivkrieg bedrohen. Der Iran wurde vielmehr immer wieder selbst Opfer von Aggressionen, beispielsweise als die USA den irakischen Diktator Saddam Hussein 1980 zum Angriff gegen den Iran trieben und acht Jahre lang bei diesem Verbrechen gegen das Völkerrecht unterstützten.
Indem der zitierte Intranet aktuell-Artikel wahrheitswidrig suggerierte, daß der Iran die atomare Vernichtung Israels anstrebe, erfüllte er – sprachlich und inhaltlich – den Tatbestand von Propaganda und Desinformation. Unter dem Terminus Propaganda lassen sich alle Methoden der Meinungssteuerung, Beeinflussung, Werbung, Zensur, Manipulation und Desinformation subsumieren, deren Sinn und Zweck darin besteht, eine bestimmte Haltung oder Meinung herbeizuführen oder zu unterdrücken. Regierung und Militär können beispielsweise Mittel der klassischen Propaganda anwenden, um die Bevölkerung in Kriegsstimmung zu versetzen, aber auch Zensurmaßnahmen, um eine mögliche Anti-Kriegsstimmung zu unterbinden. Propaganda-Techniken gehören bis heute – auch in Friedenszeiten – zum Arsenal der staatlichen und militärischen Informations- und Pressepolitik. Die Propagandamittel sind weit gefächert; sie reichen von der Verbreitung von Schriften und Flugblattaktionen über Radio- und Fernsehsendungen, die Produktion von Werbefilmen bis hin zur Organisation von Großveranstaltungen und anderen Public-Relations-Aktivitäten. Mit Desinformation ist gemeint, daß bewußt verfälschte oder komplett erfundene Darstellungen in den Medien lanciert werden.
Der Intranet aktuell-Artikel – leider kein vereinzelter Ausrutscher – ist einseitig proisraelische Kriegspropaganda gegen den Iran, dessen gar nicht existierende Nuklearwaffen angeblich eine Bedrohung Israels darstellen, während von den real existierenden Massenvernichtungswaffenpotentialen Israels selbstredend nicht ein Hauch von Gefahr ausgeht. Wir dürfen gespannt sein, wann unsere solchermaßen psychologisch gerüstete Truppe Seite an Seite mit den NATO-Verbündeten in den Iran einmarschiert – sorry, letzteres müssen wir streichen, denn das muß ja jetzt heißen: humanitär interveniert –, um vor den Toren Teherans präventiv Tel Aviv zu verteidigen ...
Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung des Angriffskriegs, die in Ossietzky 1/08 begann, wird fortgesetzt. Der Autor, Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.
Kontext:
Erschienen in Ossietzky 2/2009
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