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Gefälschte Solidarität mit Israel
Hans Krieger
»Unsere Solidarität mit Israel« beteuern die Verfasser einer am 10. Januar in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Anzeige, die »gegen den Raketenterror der Hamas« protestiert und »eine Perspektive für die palästinensische Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen« fordert. Angeblich stammt diese Anzeige vom Zentralrat der Juden in Deutschland, aber nur, wer keine Ahnung hat von der tiefen Menschlichkeit des jüdischen Geistes, seiner durch Leiden geschärften ethischen Sensibilität, kann sich hier täuschen lassen: Eindeutig handelt es sich um eine Fälschung, und die Fälscher haben darunter die Namen der Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch und ihrer beiden Vizepräsidenten Salomon Korn und Dieter Graumann gesetzt. Das war keine Kunst. Echte jüdische Humanität hingegen läßt sich nicht simulieren.
Ganz ungeschickt ist die Fälschung nicht. »Jedes Menschenleben zählt. Jedes Opfer – gleichgültig auf welcher Seite – ist eines zu viel«, heißt es in der Anzeige, und da glaubt man tatsächlich die authentische Stimme des Zentralrates der Juden in Deutschland zu vernehmen. Doch schon im nächsten Satz decouvrieren sich die Fälscher: »Es gibt keinen sauberen und ehrenhaften Krieg, der die Zivilbevölkerung schützt, wenn man gegen Terroristen kämpft«, heißt es da. Mit anderen Worten: Wenn man seine Gegner erst einmal als Terroristen definiert hat, sind unsaubere und unehrenhafte Mittel erlaubt, und auf die Zivilbevölkerung muß keine Rücksicht genommen werden. So könnte ein SS-Obersturmbannführer gesprochen haben und wäre vielleicht noch stolz darauf. Der Zentralrat der Juden in Deutschland aber würde sich nie und nimmer die Sprache und Denkweise der deutschen Judenmörder zu eigen machen. Er kennt die moralische Unbeugsamkeit der Propheten des Alten Testaments und die große Tradition jüdischen Rechtsbewußtseins und würde jeden Krieg verdammen, der nicht sauber und ehrenhaft geführt wird und auf die Zivilbevölkerung keinerlei Rücksicht nimmt.
Der echte Zentralrat der Juden würde auch niemals schreiben, daß die »Terrororganisation« Hamas in acht Jahren mehr als 10.000 Raketen nach Israel verschossen habe, um »Männer, Frauen, Alte und Kinder« zu treffen, ohne hinzuzufügen, daß es dabei keine zwei Dutzend Todesopfer gegeben hat. Er wäre zu ehrlich, um nicht daran zu erinnern, daß in den gleichen acht Jahren mehr als 5.000 Palästinenser, darunter viele Frauen und Kinder, durch israelische Militäroperationen zu Tode gekommen sind und daß jetzt Bombardement und Bodenoffensive im Gazastreifen schon in den ersten zwei Wochen über 800 Palästinenser (inzwischen wohl an die 1.300) das Leben gekostet haben. Er wäre zu intelligent, um sich so leicht angreifbar zu machen, und viel zu erfüllt von jüdischem Gerechtigkeitsempfinden, um 800 getötete Palästinenser als angemessene und völlig normale Rache für kaum 20 getötete Israelis ausgeben zu können. Es war ja eine große zivilisatorische Errungenschaft, als sich die alten Juden darauf verständigten, für ein ausgeschlagenes Auge nur ein Auge, für einen ausgeschlagenen Zahn zu verlangen nur einen Zahn.
Schon gar nicht aber will es gelingen, dem Zentralrat der Juden in Deutschland den folgenden Satz zuzutrauen: »Die Hamas trägt die alleinige Verantwortung für die zivilen Opfer auf beiden Seiten.« Das ist das Niveau deutscher Bundeskanzlerinnen, aber gewiß nicht intelligenter Juden. Denn wenn die Hamas auch für die Opfer israelischer Militäraktionen verantwortlich sein soll, dann wird israelischen Politikern und Militärs der eigene Verstand und der eigene Wille abgesprochen. Es wird behauptet, daß sie auf Taten der Hamas nicht wie Menschen reagieren, die nach vernünftigem Abwägen eine verantwortliche Entscheidung treffen, sondern wie eine Billardkugel, die blind dem physikalischen Kausalitätsgesetz folgt und dorthin rollt, wohin sie gestoßen wird. Und ausgerechnet der Zentralrat der Juden in Deutschland sollte so töricht sein, israelischen Entscheidungsträgern zu unterstellen, sie hätten sich zu Automaten entmenschlicht?
Vor allem aber: Der echte Zentralrat der Juden wüßte, daß Israel dauerhafte Sicherheit nur durch Aussöhnung mit den Palästinensern erlangen kann und daß Militäraktionen diese Aussöhnung nur immer schwieriger und irgendwann völlig unmöglich machen, weil sie immer wieder neuen Haß schüren. Er wüßte, daß ein durch vier Jahrzehnte Besatzungsherrschaft traumatisiertes Volk seine ohnmächtige Wut irgendwie entladen muß und zum Frieden erst bereit sein kann, wenn es nicht mehr seiner Rechte und seiner Würde beraubt wird. Daß Terrorakte und Raketenbeschuß also nicht Ursache, sondern Folge israelischer Militärgewalt sind und die einzige Chance für Frieden darin besteht, das Besatzungsregime zu beenden, die Siedlungen aufzugeben und einen lebensfähigen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 möglich zu machen. Der echte Zentralrat wüßte also, daß sich Israel mit seiner Politik der Stärke auf einen selbstmörderischen Weg begeben hat und wahre Solidarität mit Israel darin bestehen würde, seine Politiker von diesem gefährlichen Irrweg abzubringen.
Und wenn all dies noch nicht genug sein sollte, um uns völlig davon zu überzeugen, daß es sich bei besagter Anzeige eindeutig nur um eine perfide Fälschung handeln kann, so muß eine Überlegung jeden Rest von Zweifel beseitigen: Ist es vorstellbar, daß die höchsten Repräsentanten des Judentums in Deutschland nicht wahrnehmen, in welchem Maß das brutale Vorgehen gegen ein eingesperrtes und ausgehungertes Volk das Gesicht Israels zur Fratze entstellt? Ist es vorstellbar, daß sie die Besudelung des Ansehens Israels und der jüdischen Identität gleichmütig hinnehmen oder gar billigen? Daß sie den Verrat an der großen Tradition jüdischer Humanität ignorieren oder sogar gutheißen? Nein, dies ist nicht vorstellbar, und hier wird endgültig zur Gewißheit, daß wir es mit einer Fälschung zu tun haben. Die Urheber dieser Fälschung wird man wohl in antisemitischen Kreisen zu suchen haben.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland wird es nicht hinnehmen dürfen, daß sein guter Name in so schändlicher Weise mißbraucht wird. Er muß sich mit allen juristischen Mitteln zur Wehr setzen. Frau Knobloch, erstatten Sie Strafanzeige!
Erschienen in Ossietzky 2/2009
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