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Berliner Bühnen-Späße
Lothar Kusche
Vor einigen Wochen wurde hier einer erfolgreichen Premiere der Tribüne am Knie applaudiert (Ossietzky 21/08). Ein Musical aus der Geschichte des Box-Sports erinnert an die Begegnungen von Max Schmeling und Joe Louis anno 1936 und 1938. Louis‘ sensationeller Sieg in weniger als zwei Minuten, so steht es in der Konzeption der Tribüne, wurde für viele Menschen ein Hoffnungsschimmer, daß nun auch Hitler besiegt werden könne.
Nun soll auch die Tribüne geschlossen werden. Das Schicksal der hiesigen Theater wird von göttlichen Entscheidungen bestimmt, welche die Regierung der Stadt beschließt und vollzieht. Die sich gegenseitig ernennenden Amtspersonen wissen genau darüber Bescheid, wie viele Raucher-Gaststätten, Flugplätze, Kinderhorte, Denkmäler, Briefkästen und Kuckucks-Ruf-Säulen es in einer größeren Kleinstadt geben muß. Oder wie viele Opernhäuser. Schon vor Jahren wurde erörtert, daß drei Opernhäuser (Staatsoper, Deutsche Oper, Komische Oper) zu viel seien für Berlin. Die Neuköllner Oper wurde ignoriert, weil keiner der offiziellen Kulturisten jemals in Neukölln war, einem durch seine Lage zwischen Lichtenrade und Borsigwalde als obskur geltenden fremden Stadtbezirk.
Solche Hudeleien zwischen Bürokratie und Kulturszene gab’s schon früher. In der Deutschen Tonkünstler-Zeitung stand am 5. April 1931: »Immer und immer wieder taucht die Frage auf: Sind nicht drei Opernhäuser für Berlin zuviel? Wie kommt es nun, daß eine Stadt, die dreißig Jahre lang immer drei Opern hatte, die oben gestellte Frage aufwirft? ... Ich glaube, daß Berlin von heute und morgen nicht nur drei Opern füllen kann, sondern auch drei Opernhäuser nötig hat und allabendlich füllen wird. Allerdings ... nur dann, wenn alle drei Opernhäuser künstlerisch ersten Ranges sind.« Der Autor des Artikels verstand natürlich nicht so viel von Opern wie die heute zuständigen Kanzleiräte. Es war der große Dirigent Otto Klemperer.
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Das von Horst-H. Filohn geleitete Renaissance-Theater mit seiner hübschen, eleganten art-déco-Ausstattung steht dauerhaft wie Helgoland in der Brandung aktueller Krisen und pflegt die gehobene Unterhaltung, welche nicht unbedingt erhaben sein muß, aber möglichst heiter. Alan Ayckbourn (seit 1997: Sir Alan Ayckbourn), seit 1969 künstlerischer Leiter des Theaters in Scarborough (250 Plätze, es gibt dort auch eine Freilichtbühne, 7000 Plätze) hat mehr als 70 Bühnenwerke verfaßt. »Frohe Feste« wird noch bis April im Renaissance-Theater gespielt.
Vielleicht ist Sir Ayckbourn selbst berühmter als dieses Stück: Wir erleben drei Weihnachtsfeiern, die drei Pärchen in drei aufeinander folgenden Jahren an drei verschiedenen Schauplätzen (hauptsächlich in Küchen) mehr oder weniger verlogen absolvieren. Es kommt in bunter Folge zu Streitereien, Albernheiten, versuchtem Suizid und gemeinsamer Verhinderung desselben, denn Ayckbourn ist, dramaturgischem Urteil zufolge, »ein Meister der todernsten Komödie«. Der niederländische Regisseur Antoine Uitehaag hat das Stück weder todernst noch saukomisch inszeniert, sondern flott, dem ernsten Hintergrund sich nähernd, streckenweise philosophisch, dann mal wieder von alkoholisierter guter Laune. Die sechs Rollen sind sechs Hauptrollen und trefflich besetzt mit sympathischen und humorigen Charakterdarstellerinnen wie Anna Böttcher, Katherina Lange und Julia Stemberger. Es wird auch viel gelacht von und mit dem brillanten Guntbert Warns und Thomas Limpinsel. Und es gibt ein Wiedersehen mit David Bennent, der einst die Blechtrommel rührte und hier den Mr. Hopcroft vorführt: vom spießigen Streber zum rücksichtslosen Emporkömmling. Dieser Hopcroft zeigt seinen früheren Gönnern mal so richtig, wer hier die erste Geige spielt. Ein fast sadistischer Freistil-Karrierist, der in vielen »freien Rechtsstaaten« gedeiht und keinem eine Zierde ist.
Alan Ayckbourn empfindet »das Lachen im Theater als Zeichen der Zuneigung, als einen Ausdruck der Liebe für die Charaktere, daß man ihnen nicht einfach in höflichem Schweigen zusieht. Blicken Sie niemals auf die Komödie als arme Verwandte des Dramas herab.« Würde ich kaum tun. Meiner Erfahrung nach sind die meisten Dramen eher arme Verwandte der Komödie. Es gibt leider nur wenige moderne Kömödien.
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Dem Berliner Kabarett-Theater Distel möchte ich im 55. Jahr seiner erfolgreichen Existenz zum 117. und fast rundum gelungenen Programm in alter Freundschaft gratulieren! Die »musikalische Geiselnahme« heißt »Findet Köhler«. Sie stammt von Regisseur Peter Kube und Silke Riemann – »mit Textbeiträgen von Peter Ensikat, Dieter Lietz, Stefan Schwartz und Bernd Wefelmeyer«. Wefelmeyer (Komponist und musikalischer Leiter) und Lietz (berühmter Schlagertext-Experte) sind bei einer musikalischen Show unentbehrliche und (wie man mit Vergnügen hört) glänzende Mitarbeiter für die nicht nur durch ihr Stimmvolumen bezaubernde Dagmar Jaeger, die sportliche Dorina Pascu, den jugendlichen Brettl-Helden Timo Doleys, die ungedopten Giganten diverser satirischer Friedensfahrten Edgar Harter, Stefan Martin Miller – und Michael Nitzel. Sagte mir jemand, er wolle Kabarettist werden, würde ich ihn zu Nitzel schicken. Da könnte er alles lernen.
Welcher Köhler gefunden werden soll, sei nicht verraten. Der, an den Sie vielleicht denken, jedenfalls nicht. Gehen Sie in die Distel, um sich an der Belcanto-Antwort zu erheitern.
Erschienen in Ossietzky 1/2009
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