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Heinrich Himmler contra Max Weber
Jörg Wollenberg
In einer Notiz über seine Vorlesung im Münchener Audimax vom 19. Januar 1920 hält der nationalliberale Professor für Nationalökonomie Max Weber (1864-1920), einer der herausragenden Intellektuellen des Kaiserreichs und entschiedner Gegner der Revolution von 1918/19, zum Fall des am 16. Januar 1920 zum Tode verurteilten, aber schon am Tage darauf nach massiven Protesten zu lebenslanger Haft begnadigten Eisner-Mörders fest: »Graf Arco hat zweifelsohne unter dem Gefühl der großen Schande gehandelt, welche der Mann über uns gebracht hat, gegen den er sich wendete. Er hat sich vor Gericht tadellos benommen. Es ist trotzdem eine schlimme Schwäche, ihn zu begnadigen, solange das bestehende Gesetz gilt, und ich hätte ihn erschießen lassen.« Denn, so Max Weber als entschiedener Gegner des am 21. Februar 1919 ermordeten sozialistischen Ministerpräsidenten Bayerns, nicht Arco, sondern Eisner werde so als Märtyrer in der Erinnerung fortleben. Vom Grafen Arco bleibe nichts anderes als eine »Kaffeehaussehenswürdigkeit«.
Die deutschnationalen und völkischen Studenten, die Arco als Helden verehrten, waren empört. Sie betraten unter Anführung von Heinrich Himmler – mit Mitgliedern der Reichswehr und des Freikorps – am nächsten Tag den Hörsaal mit einem »ohrenbetäubenden Pfeifkonzert«. Max Weber konnte sich »gegen die Macht der Dummheit« kein Gehör verschaffen. Der Wissenschaftler fühlte sich durch Zwischenrufe verletzt und mißverstanden. Hatte er doch schon am 1. Dezember 1918 Eisners konzessionsbereite Haltung in der Frage der Kriegsschuld scharf kritisiert: »Mit solchen Sklavenseelen, die als politische Masochisten in Schuldenthüllungen wühlen, kann keine aufrechte Demokratie gemacht werden.« Klammheimliche Erleichterung hatte in der Gelehrtenfamilie Weber geherrscht, als schon vor Eisners Ermordung andere Anhänger der Novemberrevolution umgebracht worden waren. So schrieb Marianne Weber am 29. November 1918 an die Schwägerin Helene: »Wenn man erst Liebknecht und Rosa los wäre! Sie sind eine furchtbare Gefahr.«
Weder in der jüngst erschienenen Biographie von Peter Longerich über Heinrich Himmler noch in der umfangreichen Weber-Biographie von Joachim Radkau findet sich ein Hinweis auf die Präsenz des damaligen Studenten und späteren SS-Reichsführers und Chefs der deutschen Polizei. Dabei war es Himmler, der als Mitglied des Studentenausschusses mit einem Zwischenruf den empörten Max Weber am 20. Januar 1920 zum Schweigen gebracht hat. Zitieren wir dazu einen Zeitzeugen:
In seinen unveröffentlichten Erinnerungen beschreibt der damals in München eingeschriebene Student Kurt Fritz Rosenberg aus Hamburg seine Begegnung mit Max Weber und Heinrich Himmler im Januar 1920. Im Mittelpunkt der Schilderung steht das Scheitern des Linksblocks, Webers Vorlesung vor dem angekündigten Protest zu schützen. Der Rechtsblock der Studenten, der nach Rosenbergs Angaben schon damals unter Himmlers Führung »auf weit über 4000 Mitglieder zurückgreifen konnte«, störte die Vorlesung. Zuvor hatte der ebenfalls anwesende Universitätsrektor Müller die Begnadigung des Grafen Arco als Sieg der Vernunft gefeiert. Ein Repräsentant der sozialistischen Studenten kritisierte den Rektor, weil er einen Mörder verteidigt habe. Darauf sprang Himmler auf und schrie in das Auditorium Maximum hinein: »Bande! Freispruch für den Grafen Arco!«
Weber forderte »mit Bezug nicht etwa nur auf jenen Herrn, sondern auf eine ganze Gruppe von Studierenden« sofortige »Remedur, um derartige Beschimpfungen gegen machtlose Minderheiten durch eigene Zurücknahme ritterlich« zu erledigen. Und er fügte hinzu: »Ein Hundsfott, wer das nicht täte.« In dem folgenden Kolleg, so Rosenberg, gab Max Weber eine Erklärung ab: »Im Hörsaal sei Politik getrieben worden. Politik gehöre nicht in den Hörsaal. Einer politischen Minderheit innerhalb der Studentenschaft sei eine schwere Beleidigung (mit dem Wort »Bande«; J.W.) zugefügt worden. Er habe zweimal mündlich und einmal schriftlich gefordert, daß diese Beleidigung durch eine geeignete Entschuldigung wieder gut gemacht werde, jedoch vergeblich. Wer eine solche Beleidigung ausspreche und dann noch die Entschuldigung verweigere, sei ein Hundsfott … Solange man von rechts und links mit Wahnsinnigen in der Politik zu tun hat, ziehe ich mich aus der Politik zurück. – Kommen wir zum Thema der heutigen Vorlesung zurück.«
Die nächste Vorlesung, zu der Max Weber krankheitsbedingt nicht mehr erschien, endete im Tumult und mit der Forderung: »Werft den Juden raus!« Die Deutschnationalen und Völkischen rechneten selbst den als protestantischen Religionssoziologen ausgewiesenen Max Weber als prominentes Mitglied der von ihnen als »Judenpartei« diffamierten Deutschen Demokratischen Partei (DDP) zu den »Kohnsorten«, die es zu schlagen gelte; Rosenberg belegt das mit einem Flugblatt der Rechten.
Weber sah sich gezwungen, eine öffentliche Erklärung zum Fall Arco vor dem Akademischen Senat abzugeben, die die Münchener Neuesten Nachrichten am 23.1.1920 veröffentlichten; sie endete folgendermaßen: »Für selbstverständliche Pflicht eines akademischen Lehrers – gerade eines solchen, der Universität und Armee jeder Politik entzogen zu sehen wünscht – hielt und halte ich es, solche lächerlichen, aber leider vielleicht nicht folgenlosen studentischen Torheiten, wie die Proklamation eines ›angeblich‹ hergestellten Einverständnisses politisierender Akademiker mit Teilen der Reichswehr, rücksichtslos als das zu bezeichnen, was sie sind: Die Macht der Dummheit.«
Ausführlich dokumentiert Kurt Fritz Rosenberg diesen nicht nur ihn prägenden »Skandal in der Universität mit Prügelszenen und Pfeifkonzerten«, und er fügt hinzu: »Das war der Anfang!«.
Der Weg war vorgezeichnet, der zu 1933 führte und nicht nur Rosenbergs Lebensschicksal prägen sollte; der renommierte Rechtsanwalt und Kunsthistoriker konnte sich und seine assimilierte jüdische Familie 1938 durch rechtzeitige Flucht in die USA retten. Früh hatte Rosenberg mit den bürgerlichen Demokraten in der DDP vor dem Aufstieg der Völkischen und der NSDAP gewarnt.
Der von ihm häufig zitierte Repräsentant der deutschen Friedensbewegung, Hellmut von Gerlach, hatte dazu als Journalist in der Welt am Montag und in der Weltbühne das Motto geliefert, dem sich Rosenberg verpflichtet wußte: »Nicht aus Liebe zum Sozialismus, sondern aus Vernunft und aus Liebe zu unserem Volk muß für jeden bürgerlichen Demokraten die Losung lauten: Front gegen rechts! Bündnis mit links!«
Erschienen in Ossietzky 1/2009
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