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Beim diesjährigen Auftakt hatte allerdings auch die US-amerikanische Gesellschaft Fox die Hand im Spiel, die schon die russischen Fantasy-Blockbuster »Wächter der Nacht« und »Wächter des Tages« in unsere Kinos gebracht hatte. Und wie diese erzielt der erst im Oktober in Rußland gestartete neue Film »Admiral« bereits mit sechs Millionen Zuschauern einen Besucherrekord – gewiß auch wegen des heftig umstrittenen Themas. Hinter der Titelfigur verbirgt sich nämlich eine Ikone des antibolschewistischen Kampfes im Bürgerkrieg: Admiral Alexander Wassiljewitsch Koltschak. Regisseur Andrej Krawtschuk stilisiert ihn zu einem Helden, der sich erst als Befehlshaber eines Kriegsschiffs in der Ostsee gegen die Deutschen bewährt und dann eine zarentreue Armee gegen die Roten führt. Zur Publikumsattraktivität trägt mit einem Hauch von »Doktor Schiwago« eine Liebesgeschichte bei. Der verheiratete Admiral verliebt sich in die Frau eines anderen Offiziers, die ihm sogar als Krankenschwester für die Weißen nach Sibirien folgt und bis zu seiner Erschießung durch die neuen Machthaber in Irkutsk treu zur Seite steht. Koltschaks Leiche wird in einen Fluß versenkt, dessen Eis in Form eines Kreuzes aufgehackt wurde. Schon vorher dient die orthodoxe Kirche ausgiebig zur Staffage. Popen, Beten und Sich-Bekreuzigen sind freilich schon fast zu Stereotypen des neuen russischen Kinos geworden. Kritisch wird die wiederhergestellte unheilige Allianz zwischen Staat und Kirche in Form einer absurden Parabel reflektiert: »Uzas, kotory J Vsegda S Toboj« (Horror which is always with you) von Arkadij Jachnis (2007). Einen Universitätsdozenten irritiert da die plötzliche Besetzung seiner Wohnung durch ein Kommando von vier Soldaten in »besonderer Mission«. Kaum hat er sich den unerwünschten Gästen angepaßt, werden sie vom Popen samt Anhang abgelöst, bei dem schon seine Ehefrau zur reuigen Sünderin konvertierte. Er setzt nun auf die vorigen Besetzer die Hoffnung, daß sie ihre Nachfolger aus der Wohnung werfen, aber vergeblich: Die Truppe gibt sich als alte Freunde der neuen Okkupanten im Priestergewand zu erkennen. In der Filmwoche liefen zehn Beiträge aus der diesjährigen Produktion: von der Liebeskomödie bis zum Thriller. In »Passaschirka« (Frau an Bord) von Stanislaw Goworuchkin verdreht eine junge Witwe, die aus Gefälligkeit 1882 von San Francisco ins heimatliche Rußland mitgenommen wird, der ganzen Besatzung eines russischen Kriegsschiffs die Köpfe, und in »Pljus odin« (Plus eins) von Oksana Bytschkowa verliebt sich eine spröde Übersetzerin in einen englischen Puppenspieler, dem sie in Moskau als Dolmetscherin dient. Andrej Libenson läßt in »Tot, kto gasit svet« (Er löscht das Licht) einen Petersburger Kriminalkommissar in einem Provinzstädtchen einem Serienmörder auf die Spur kommen, während in Roman Prygunows reichlich diffusem Thriller »Indigo« mit übernatürlichen Kräften ausgestattete Jugendliche von einem geheimnisvollen Fremden in den Selbstmord getrieben werden. Zielpublikum sind hier wie oft Zwanzig- bis Dreißigjährige. Sie machen ein Drittel der Kinogänger aus. Die überzeugendsten Beiträge der Filmwoche standen in der Tradition russischer Filme über den Zweiten Weltkrieg. »Schyvi i pomni« (Lebe und erinnere) von Alexander Proschkin nach einer Novelle von Walentin Rasputin berührt ein Tabuthema. Im Mittelpunkt steht ein Deserteur, der sich 1944 in der Nähe seines heimatlichen Dorfes in einer Waldhütte versteckt, wo er nur von seiner Frau besucht wird. Eindringlich verknüpft Andrej Maljukowa »My is buschewo« (Wir kommen aus der Zukunft) Gegenwart und Vergangenheit: Vier Freunde wühlen in Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges, um die gefundenen Orden und Waffen gewinnbringend zu verscherbeln. Als sie auf Papiere mit ihren eigenen Fotos stoßen, werden sie ins Jahr 1942 zurückversetzt und erleben selbst alle Schrecken des Krieges. Wobei sie die Soldaten von damals mit ihrem Wissen von der Zukunft verblüffen. Die Vorhersage des siegreichen Kriegsendes am 9. Mai 1945 stößt auf ebenso ungläubiges Staunen wie ihre Vermittlung eigener Erfahrung, daß sechzig Jahre später junge Leute in Moskau mit »Heil Hitler« grüßen und Hakenkreuze tragen. In den Köpfen der Vier aus der modernen Spaßgesellschaft hat die Zeitreise etwas verändert, und des Regisseurs experimentelle Variation eines klassischen russischen Kinosujets gewinnt so ganz aktuelle Bedeutung. Auch der heutige Tschetschenienkrieg wird in russischen Filmen immer wieder einmal thematisiert. Für die dabei in letzter Zeit zu beobachtende differenziertere Sicht liefert Alexej Utschitels »Plenny« (Der Gefangene) ein Beispiel: Zwei russische Soldaten sollen einen jungen Tschetschenen durch unwegsames Berggelände zu ihrer Einheit bringen, wobei sich Freund und Feind menschlich näherkommen. Zum künstlerischen Höhepunkt der Woche wurde Michail Kalatosischwilis Regiedebüt »Dikoe Pole« (Wildes Feld): Die Geschichte eines einsam in einer primitiven Behausung mitten in der kasachischen Steppe lebenden Arztes fasziniert nicht zuletzt durch grandiose Naturbilder. Zum 100. Jubiläum des russischen Kinos war schließlich die Retrospektive »Deutschland im russischen Film der 1930er Jahre« von besonderem historischen Interesse. Die vom damaligen Schema des Sozialistischen Realismus geprägten Filme zeichneten ein leider ganz realitätsfernes, idealisiertes Bild der deutschen Arbeiterklasse. Aber besonders Filme, die den nazistischen Antisemitismus anprangerten (»Familie Oppenheim« und »Professor Mamlock« nach Vorlagen von Lion Feuchtwanger und Friedrich Wolf), waren einem humanistischen Antifaschismus verpflichtet. Es war auch die Zeit, wo »Tschapajew« zum Kultfilm wurde. Daß einmal Koltschak, der weiße Gegner jenes roten Bürgerkriegshelden, ein Denkmal auf der Kinoleinwand erhalten würde, hätte sich damals wohl niemand vorstellen können.
Erschienen in Ossietzky 25/2008 |
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