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Ihre Notizen aus der Zeit unmittelbar nach der Kapitulation Nazideutschlands dienten als Vorlage für den kürzlich angelaufenen Film »Anonyma – Eine Frau in Berlin«. Da es, wie Voltaire in seinem »Candide« meint, keine Wirkung ohne Ursache gibt, wird in dem Film an die vorausgegangenen Grausamkeiten deutscher Besatzer gegenüber der sowjetischen Zivilbevölkerung erinnert. Zu diesen Grausamkeiten gehörten zwar auch Vergewaltigungen, aber kennzeichnend für das Auftreten der Eroberer waren die bestialischen Massenerschießungen. Gelegentlich kam es auch zu intimen Beziehungen zwischen deutschen Herrenmenschen und einheimischen Frauen. Von einem solchen Fall und seinem dramatischen Ende soll hier die Rede sein. Das Geschehen wurde der Nachwelt überliefert, weil sich die deutsche Nachkriegsjustiz – auf unrühmliche Weise – in einem Strafverfahren damit befaßt hat. Im Mittelpunkt steht ein SS-Obersturmführer, der ein Verhältnis mit einer jungen Sowjetbürgerin angefangen hatte. Unglücklicher Weise verliebte sich die Frau in den Deutschen und mußte dafür mit ihrem Leben bezahlen. Das Verbrechen brachte den SS-Mann nach Kriegende vor Gericht. Den Ablauf des Geschehens beschrieb der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 29. Oktober 1969 so: »Der Angeklagte war vom Dezember 1941 bis Mai 1942 als Führer einer Polizeikompanie im Range eines Oberleutnants und SS-Obersturmführers in und bei Charkow eingesetzt. Er unterhielt dort intime Beziehungen zu einer 20jährigen Ukrainerin namens Vera M., deren Beruf mit Tänzerin, Akrobatin oder Schauspielerin angegeben wurde. Da er später befürchtete, daß ihm im Falle einer Überprüfung Veras durch die Sicherheitspolizei erhebliche Unannehmlichkeiten sowohl wegen des dienstlich verbotenen Geschlechtsverkehrs mit Landeseinwohnern wie auch wegen einer denkbaren Spionagetätigkeit Veras erwachsen könnten, beschloß er, die ihm durch ihre Anhänglichkeit unbequem gewordene Frau beseitigen zu lassen. Er gab deshalb im Anschluß an eine von ihm provozierte Weisung des Bataillonskommandeurs einem Angehörigen seiner Kompanie den Befehl, Vera zu erschießen. Dieser führte darauf die Frau ab und meldete anschließend dem Angeklagten die Exekution.« Das Verbrechen blieb ungesühnt. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung einer Vorinstanz, wonach der Beschuldigte wegen inzwischen eingetretener Verjährung nicht belangt werden könne. Tatsächlich war die damals geltende Verjährungsfrist von 20 Jahren für Mord und Mordversuch am 23. März 1962 abgelaufen. Allerdings gab es da ein Problem. Um den Beschuldigten ungeschoren davonkommen zu lassen, mußte der Bundesgerichtshof sich über eine eigene Entscheidung hinwegsetzen, wonach Unrechtstaten aus der Nazi-Zeit nicht verjähren, wenn sie von den Machthabern nicht als Straftaten angesehen und entsprechend verfolgt worden sind. Im vorliegenden Fall kam es also darauf an, die Sache so darzustellen, daß der SS-Obersturmführer damals vor Gericht gestellt worden wäre, wenn die für ihn zuständige SS-Justiz von dem Vorfall erfahren hätte. Der Bundesgerichtshof entledigte sich dieser schwierigen Aufgabe folgendermaßen: »Soweit es um die Tötung von Juden geht, deren Ausrottung ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht sich Hitler zum Ziel gesetzt hatte, darf die Nichtverfolgung von Tötungsverbrechen jeder Art durch die Organe des NS-Staates in der Regel als sicher gelten. Im Falle von Ukrainern, die in großem Umfang als sogenannte Hilfswillige und schließlich sogar als Soldaten im Verband der Waffen-SS Verwendung fanden, war von vornherein eine andere Lage gegeben.« Den sogenannten »Barbarossa«-Erlaß der Naziführung vom 13. Mai 1941, der Morde an feindlichen Zivilpersonen im Zusammenhang mit Kampfhandlungen und »Tätlichkeiten anderer Art« für straffrei erklärte und damit den Verjährungsablauf zwangsläufig hemmte, legte der Bundesgerichtshof zu Gunsten des ehemaligen SS-Obersturmführers so aus: »Rein kriminelle, ausschließlich dem eigenen Vorteil des Täters dienende Akte wie die Tat des Angeklagten hatte er nicht im Auge. Sie zu verfolgen blieb auf jeden Fall im Sinne jenes Erlasses im Interesse der Manneszucht geboten, erst recht dann, wenn sie wie hier begangen wurde, um sich gegen die Ahndung eines eigenen militärischen Vergehens abzusichern.« Mit dieser Argumentation machte der Bundesgerichtshof den Weg frei für den ungehemmten Ablauf der Verjährung und somit für die Straffreiheit eines SS-Führers, der sich seine lästig gewordene ukrainische Geliebte durch deren Ermordung vom Halse geschafft hatte. Soweit so schlecht, aber nicht schlecht genug, als daß der Bundesgerichtshof dem Ganzen nicht noch eine bezeichnende Fußnote hinterher geschickt hätte. Anders als in den Verfahren wegen NS-Verbrechen kannte der BGH in den Verfahren gegen SED-Funktionäre und ehemalige Richter der DDR in Sachen Verjährung kein Pardon. Zustatten kam ihm dabei das »Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten« vom 26. März 1993, wonach bei der Berechnung der Verjährungsfrist die Zeit vom 11. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 »außer Ansatz« bleibt. Was ergibt sich daraus für die deutsche Erinnerungskultur? Zum Beispiel dieses: Sie möge doch endlich auch die Vergewaltigung des Rechts durch die bundesdeutsche Nachkriegsjustiz auf die Tagesordnung setzen.
Erschienen in Ossietzky 25/2008 |
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