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Insolvenzverschleppung ist eine Straftat, wäre dies sogar auch in einem betriebswirtschaftlich gut geführten Sozialismus. Aber der jetzige Staat sorgt eilfertig für die Brechung seiner eigenen Gesetze. Und auch die Markt-Fundamentalisten der Europäischen Union sind plötzlich ganz flexibel von der Richtigkeit der Verfahrensweisen überzeugt, die sie bisher verteufelt haben. Manche KritikerInnen der Neoliberalen mußten nun erleben, daß die vermeintlichen Marktradikalen in Sekundenschnelle zu Staatsradikalen wurden und dabei offensichtlich keinerlei Argumentationsprobleme hatten. Man muß aber genauer hinsehen. In Wirklichkeit hat die neoliberale Wirtschaft unter Führung der Finanzakteure von vornherein auf die Vollkasko-Methode gesetzt: volle private Freiheit und volle staatliche Absicherung. »Als angemessene kalkulatorische Verzinsung des von den Privaten eingesetzten Eigenkapitals gilt die durchschnittliche Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen … zuzüglich eines jeweiligen, dem unternehmerischen Risiko angemessenen Risikozuschlags«, lautet Paragraph 3 Absatz 4 des Gesetzes über den Bau und die Finanzierung von Bundesfernstraßen durch Private, beschlossen 1994 vom Bundestag auf Initiative von CDU und FDP. Das gilt, wenn Baukonzerne und Banken den Bau und die Finanzierung von Straßen übernehmen. Staatlich garantierter Risikozuschlag! Eigentlich nicht nur nach neoliberaler Lehre der Widerspruch in sich selbst. Macht aber nichts. Ist genau das, was die Neoliberalen wollten. Und jetzt bekommen. Diese staatliche Gewinn-Garantie und Risiko-Absicherung findet sich standardisiert bei allen Privatisierungen, zum Beispiel in den Entsorgungsverträgen der Städte mit privaten Müllofenbetreibern. Für die Investoren RWE und Veolia, die im Jahre 2000 die Hälfte der Berliner Wasserbetriebe für 30 Jahre gekauft haben, gilt die selbe Garantie: Wenn die Preise und Gebühren für Trinkwasser und Abwasser nicht genug hergeben, dann muß aus dem Landeshaushalt nachgeschossen werden. Undsoweiter. Da haben halt auch die linken Kritiker des »Marktradikalismus« sich nur an der Theorie abgearbeitet und nicht an der Praxis. Ob die Chipwerke von Advanced Micro Devices in Dresden oder das Handywerk von Nokia in Bochum – welcher Investor baut noch irgendeine Fabrik, die nicht möglichst weitgehend vom Staat mitfinanziert wird, begleitet von Steuerermäßigungen, Lohnverzicht, bedingungslosen Infrastrukturvorleistungen? Staatliches Wohngeld, um die Mieten hochzuhalten, staatliche Zuschüsse für Kombilöhne, Zuschüsse für Vollzeit-Tagelöhner aus der Arbeitslosenkasse, staatliche Pensionszahlungen für die frühverrenteten Mitarbeiter der privatisierten Post – und das alles als Dauerleistung in zwei- und dreistelliger Milliardenhöhe. Gerade die lautesten Markt-Schreihälse sind nun die radikalsten Verstaatlicher. Der Chef der US-Investmentbank Goldman Sachs, die wie die anderen vier US-Investmentbanken mit ihren »Finanzinnovationen« hauptverantwortlich die Finanzkrise herbeigeführt hat, rettete sich rechtzeitig in die Regierung und gibt nun mit der Staatsmaske des Finanzministers den Bankenretter. Der Chef der Deutschen Bank, ebenfalls als Kreditgeber für Hedge Fonds, Private Equity Fonds und spekulative Hypothekenbündel führend unter den Verursachern der Krise, hat wesentlichen Einfluß auf das deutsche »Rettungspaket«: Die außerbilanziell geführten Briefkastenfirmen der Deutschen Industriebank vormals Industriekreditbank (IKB) in der US-Finanzoase Delaware wurden mit zehn Milliarden Euro gerettet, nur damit die Deutsche Bank und andere Institute ihre Kredite, die sie der IKB für die »giftigen« Spekulationsprodukte gegeben haben, zurückgezahlt bekommen. Erst danach wurde die IKB für 120 Millionen Euro an eine US-Heuschrecke beziehungsweise deren Niederlassung in Deutschland verscherbelt. Ähnlich ist es bei der mit 50 Milliarden Euro immer noch nicht geretteten Hypo Real Estate, dort stellt die Deutsche Bank inzwischen den neuen Vorstand und kann die staatlichen Gaben nach eigenem Gusto und in aller Heimlichkeit verteilen. Der Staat ist hier kein Staat nach den Vorgaben des Grundgesetzes fürs Gemeinwohl. Der Bundestag gab der neuen Finanzmarkt-Stabilisierungs-Anstalt (FMSA) einen 500-Milliarden-Blankoscheck. Diese Anstalt und ihre staatlichen Finanzen sind aus der parlamentarischen Prozedur und aus dem Bundeshaushalt ausgegliedert. Mit der Schlußbilanz in einigen Jahren werden wie bei der alten Treuhand-Anstalt, die das DDR-Vermögen privatisierte, die Schulden dann auf die öffentlichen Haushalte übertragen. Der Staat setzt hier also mit ausgelagerten Zweckgesellschaften und Schattenbudgets auf dieselben Praktiken, die zur Finanzkrise geführt haben. Die FMSA ist eine staatliche Behörde, doch darin walten uneingeschränkt die private Bankenlogik und die private Selbstbedienung. Welchen volkswirtschaftlichen Sinn hat es, diese Finanzakteure zu subventionieren, ihnen ihre zerstörerischen Werkzeuge zu belassen und alles nur ein bißchen besser zu überwachen? Und zwar überwachen zu lassen durch Institutionen wie Weltbank, Weltwährungsfonds, Europäische Zentralbank, die die Krise nicht vorhergesehen und verhindert, sondern mitorganisiert haben? Weiterverkauf von Krediten in einer endlosen Kette (Verbriefung), Wetten auf Aktienkurse, Wetten auf Ausfälle, Auslagerung solcher Transaktionen in außerbilanzielle »Zweckgesellschaften«, Auslagerung versteckter Operationen in Steueroasen: Alle diese reinen Interbanken-Geschäfte machen neun Zehntel aller gegenwärtigen Bankgeschäfte aus und haben in die Finanzkrise geführt. So haben es aber nicht nur Banken praktiziert, sondern auch Konzerne. Alle Automobilfirmen etwa betreiben Banktöchter, die zunächst nur Kredite für Autokäufe vergeben und diese Kredite und sonstige Forderungen an Dritte dann ebenfalls zu Spekulationsobjekten gemacht haben. Deshalb haben auch die extrem kreditabhängigen Autokonzerne jetzt kein Eigenkapital und sind der von ihnen selbst mitverursachten Krise ausgeliefert. Diese Praktiken haben in der Tat nicht nur das vielbeschworene Vertrauen, sondern auch die Gemeinschaft zerstört, das ökonomische Eigentum ausgezehrt, sei es privat oder öffentlich. Schwer geschädigt und entwürdigt wurden vor allem die abhängig Beschäftigten und die Nicht-mehr-Beschäftigten. Ist es da sinnvoll, jetzt durch die staatlichen »Rettungspakete« das Vertrauen in die giftigen Instrumente und gemeinschaftsschädlichen Akteure wieder aufzubauen? Nein. Es kommt darauf an, diese gemeingefährlichen Praktiken nicht zu vergesellschaften, sondern sie zu eliminieren. Die Bankrotterklärung der Finanzakteure muß ernst genommen, muß angenommen werden. Der perverse, staatlich garantierte Risikozuschlag darf nicht weiter regieren. Sonst geht die direkte und schleichende Enteignung weiter. Und sonst ist nicht nur die nächste Finanz-, sondern auch die nächste Wirtschafts- und Demokratiekrise vorprogrammiert.
Erschienen in Ossietzky 25/2008 |
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