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Nachdem er bereits 2002 auf dem Stützpunkt der britischen Luftwaffe in Thumrait (Oman) eingesetzt gewesen war und 2003 zunächst in Ali Al-Salem (Kuwait) und danach in Al-Udeid (Qatar) Dienst getan hatte, sollte er 2005 zum Einsatz nach Basra (Irak) verlegt werden. Aufgrund seiner Erfahrungen aus den vorangegangenen Einsätzen hatte er sich intensiv mit dem Irak-Krieg und den dafür vorgebrachten Rechtfertigungen seiner Regierung auseinandergesetzt und war zu der Erkenntnis gelangt, daß die Invasion des Iraks rechtswidrig war und daß auch die nachfolgende Besetzung sich nicht durch UN-Resolutionen rechtfertigen ließ. Von vornherein stellte er klar, daß er nicht grundsätzlich den Kriegsdienst verweigern wollte, sondern daß es ihm ausschließlich um die Ungesetzlichkeit des Irak-Krieges ging. In der Folgezeit verglich er in öffentlichen Äußerungen die Invasion im Irak mit einem Kriegsverbrechen der Nazis und zog Parallelen zwischen der modernen westlichen Welt und Nazi-Deutschland. Eben weil er sowohl den Angriff auf den Irak als auch die darauf folgende Besetzung durch die ausländischen Koalitionstruppen für illegal hielt, weigerte sich Kendall-Smith wiederholt, ihm erteilten Befehlen zur Teilnahme an der einsatzvorbereitenden Ausbildung und zur Verlegung in den Irak nachzukommen. Im Oktober 2005 wurde daher wegen Gehorsamsverweigerung in fünf Fällen ein Militärgerichtsverfahren gegen ihn eingeleitet, der Prozeß gegen ihn begann im April 2006. Kategorisch lehnte es das Gericht ab, die Frage der Rechtmäßigkeit des Angriffs auf den Irak im Jahr 2003 überhaupt zur Diskussion zuzulassen. Das Argument der Verteidigung, daß es sich bei der Invasion des Iraks um einen illegalen Angriffskrieg gehandelt habe und der Marschbefehl für den Militärarzt deshalb rechtswidrig gewesen sei, wurde folgendermaßen abgefertigt: Da die britischen Truppen zum Zeitpunkt der Befehlsausgabe an Kendall-Smith im Juni 2005 nach völkerrechtlichen Kriterien völlig legal im Irak stationiert gewesen seien, laufe dessen Argumentation, er hätte sich zum Komplizen bei einem Verbrechen des Aggressionskrieges gemacht, wenn er an Kriegshandlungen im Irak teilgenommen hätte, ins Leere. Ohnehin hätte er aufgrund seines niedrigen Ranges als Flight Lieutenant für eine entsprechende Straftat keinesfalls zur Verantwortung gezogen werden können, denn: »Das Verbrechen des Angriffskrieges stellt ein Verbrechen dar, das ausschließlich von denjenigen verübt werden kann, die an der Spitze von Regierung oder Streitkräften für die Politik eines Staates verantwortlich sind, und diese Verantwortlichkeit schlägt nicht auf diejenigen Soldaten durch, die in der Befehlskette auf niedrigeren Stufen stehen. Deshalb kann der Ihnen erteilte Verlegungsbefehl nach Basra Sie in Anbetracht Ihres niedrigen Dienstgrades und Ihrer Funktion als Arzt gar nicht zum Komplizen eines derartigen Verbrechens gemacht haben.« Flight Lieutenant Dr. Kendall-Smith wurde wegen »geplanten und vorsätzlichen Ungehorsams« in fünf Fällen zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und aus dem Dienst entlassen, darüber hinaus erlegte ihm das Gericht 20.000 Britische Pfund Prozeßkosten auf. Seinen Schuldspruch kommentierte Malcolm Kendall-Smith mit den Worten: »Ich bin überführt und verurteilt worden, eine sehr bedrückende Erfahrung. Aber ich glaube nach wie vor, daß es richtig von mir war, Stellung zu beziehen und mich zu weigern, Befehle zu befolgen, mich in den Irak verlegen zu lassen – Befehle, die meines Erachtens illegal waren. Ich habe mich damit abgefunden, was in den nächsten paar Monaten mit mir geschehen wird. Ich werde standhaft bleiben und meinen Überzeugungen treu, die, wie ich glaube, von vielen anderen geteilt werden. (...) Als Offizier bin ich verpflichtet, jeden Befehl, der mir erteilt wird, zu überprüfen. Weiterhin bin ich verpflichtet, die Rechtmäßigkeit eines solchen Befehls nicht nur bezüglich seiner Auswirkung auf das heimische, son-dern auch auf das internationale Recht zu prüfen. Ich war, genau wie die gesamte Bevölkerung, einer Propaganda ausgesetzt, die Gewaltanwendung gegen den Irak als rechtmäßig darstellte. Ich habe mit großer Sorgfalt die verschiedenen Lageberichte studiert, darunter einen des Kronanwalts und besonders den Hauptbericht an den Premierminister vom 7. März 2003. Ich bin davon überzeugt, daß die Aktivitäten der Streitkräfte zur Truppenentsendung einen illegalen Akt darstellten – genauso wie der Krieg selbst. Einem Befehl nachzukommen, der mich, wie ich glaube, ungesetzlicherweise dazu anstiftet, heimisches oder internationales Recht zu brechen, ist etwas, was ich nicht zu tun bereit bin. Der Einmarsch in den Irak und seine Besetzung stellen eine Kampagne imperialer militärischer Eroberung dar und fallen unter die Kategorie krimineller Akte. Mich träfe eine stellvertretende strafrechtliche Haftbarkeit, wenn ich in den Irak gegangen wäre. Nach wie vor gibt es zwei große Lieben in meinem Leben – die Medizin und die Royal Air Force. Die Entscheidung zu treffen, die ich traf, verursachte mir großen Kummer, aber ich hatte keine andere Wahl.« Bis Mitte Juni 2006 saß Dr. Kendall-Smith seine Freiheitsstrafe ab, anschließend wurde er mit einer elektronischen Fessel versehen und unter der Auflage einer täglichen Ausgangssperre ab 18.30 Uhr bis einschließlich September 2006 nach Hause entlassen. Darüber hinaus galt für ihn bis Dezember 2006 ein Kontaktverbot mit den Medien. Der Fall Kendall-Smith löste in Großbritannien eine intensive politische Debatte über die Kriegspolitik des Premierministers Tony Blair und deren Auswirkungen in den Streitkräften aus. Zentraler Punkt in der öffentlichen Diskussion war die brüchige völkerrechtliche Legitimationsbasis des gegen den Irak geführten Angriffskrieges. Die britische Regierung stellte sich offiziell auf den Standpunkt, die Resolution 1441 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen habe eine hinreichende Grundlage für den Einmarsch im Zweistromland geboten. Im britischen Parlament wurde über ein Gesetz gestritten, das Militärangehörigen verbieten sollte, die Teilnahme an der befohlenen Besetzung eines fremden Staates zu verweigern. Außerdem wurde erörtert, ob nicht die Definition des Tatbestandes der Desertion neu gefaßt werden müßte, damit fürderhin auch Soldaten erfaßt würden, die ihre Truppe mit der Begründung verlassen haben, nicht an der militärischen Besetzung eines anderen Landes oder Territoriums teilnehmen zu wollen. Am Ende der Debatte stimmten die Parlamentarier mit überwältigender Mehrheit dafür, weiterhin die lebenslange Freiheitsstrafe für Desertion beizubehalten. Die Friedensbewegung protestierte und warf der Regierung vor, sie wolle die Soldaten davon abschrecken, sich der Teilnahme an künftigen Präventivkriegen zu widersetzen. Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung des Angriffskriegs, die in Ossietzky 1/08 begann, wird fortgesetzt. Der Autor, Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.
Erschienen in Ossietzky 25/2008 |
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