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Bei dem mäßigen Papier handelt es sich um die 2004 geschriebene »Ehrensache« von Lutz Hübner, eine deutsch-türkische Kriminalgeschichte, realitätsgerecht erzählt, aber ohne poetische Kraft, die sie gebraucht hätte, um theatergemäß wirken zu können. In eine gänzlich andere Welt führt uns der »Amphitryon« von Peter Hacks. Die Frage der antiken Vorlage hat Hacks auf neue Weise gestellt: Was geschieht, wenn eine Gottheit, in diesem Falle Jupiter, sich in die Ehe eines mittleren Helden einmischt, moderner ausgedrückt: wenn eine außergewöhnliche Persönlichkeit unter bescheidene Menschen des Alltags gerät? Logischerweise geht dann erst einmal alles und durcheinander. Im Wechselspiel von Göttern und Helden auf der einen Seite und dem Götterboten Merkur sowie dem Diener Sosias auf der anderen werden die nötigen Fragen jeweils anders gestellt, und am Ende ist manches anders als vorher. Die mögliche tragische Wendung ist eine komische geworden, und Jupiter kann das Stück enden lassen mit den Worten: »Und lobt das Spiel, zu dem ich euch erkor / ging auch nicht alles auf, es ging was vor.« Den philosophischen Kernsatz des Stückes erhält der schwer gebeutelte Amphitryon: »Es ist von solchem Ernst die Welt beschaffen / daß nur ein Gott vermag, ein Mensch zu sein.« Immerhin erhält der Held ein wenig von dieser göttlichen Kraft, um sein Problem wenigstens annähernd zu lösen, und am Ende siegt die Liebe. Das kleine Ensemble der fünf Schauspieler hat sich vom dialektischen Humor und der Eleganz Hacksscher Verse tragen lassen, Regisseur Rainer Behrend hat auf der Basis dieses Textes den Schauspielern gegeben, was zu geben ist; der leicht antikisierende Bühnenraum von Olga Lunoff trug zu der menschlich schönen Heiterkeit des Abends bei. Auch das Teatr Studio am Salzufer, ebenfalls ein kleines freies Theater, hat sich an ein großes Stück gewagt: »Die alte Frau brütet« von Tadeusz Rozewicz, inzeniert von Janina Szarek, die auch die Titelrolle spielt. Eine alte Frau sitzt in einem obskuren Bahnhofscafé und brütet über den Sinn der Welt, über tatsächliche Unordnung – sie sitzt umgeben von Müll – und mögliche Ordnung. Entsetzt registriert sie die Gleichgültig der meisten Menschen um sie herum. Der Schmutz wächst. Ihre Lösung ist Fruchtbarkeit, neues Leben, Mütterlichkeit. In einem jungen Mann erkennt sie ihr »Söhnchen«, das wieder verloren geht, sie sucht es bis zuletzt im Müll. Die Szene bricht ab. Scheinbar bleibt alles offen – doch die Hoffnung nach einer möglichen Zukunft bleibt – Brüten ist Metapher des Lebens. Ich sah das Stück seinerzeit in Leipzigs Neuer Szene und bei Henryk Baranowski im Berliner transform Theater. Die Leipziger war die lichteste, die im Studio die prophetischste – so nah sah man die tödliche Gefahr noch nie. Eine beklemmende Aufführung. Nun zu den großen festen Häusern, zuerst zu dem massiven Mendelssohn-Bau der Schaubühne am Lehniner Platz. Ach wie gern war ich früher in diesem Haus, als hier Welttheater stattfand und die Welt zu Gast war. Dem jetzt wirkenden Ensemble kann man bemerkenswerte Einfälle im Herangehen an bittere Realität zubilligen, doch selten einen überzeugenden ästhetischen Zugriff. Eine der neueren Produktionen ist von Marius von Mayenburg: »Der Hund, die Nacht und das Messer«. Eine Figur namens M. sucht nach einem entlaufenen Hund, ein Mann will M. helfen, versucht dann aber ebenso plötzlich, ihn von hinten zu töten, stattdessen tötet M. diesen Mann und flieht dann durch die nächtliche Stadt. Ihm begegnen sonderbare Leute wie Patient und Arzt, Anwalt und Verbrecher, ein Polizist, eine Krankenschwester, und merkwürdigerweise greifen alle diese Figuren nach dem Fleisch von M. Von da an wird das Stück dunkel, nähert sich einem Albtraum. Man weiß nicht recht, was eigentlich gewollt wird. Die mehr oder weniger dunkle Szene, eingerichtet von Benedict-Andrews aus Sydney, erinnert manchmal an Stummfilme der Zwanziger Jahre: Damals gab es nur bescheidene technische Möglichkeiten der Ausleuchtung, die aber inzwischen zu ästhetischen Symbolen geworden sind, auf geistige Verdunklung zielen. Ratlos verließ ich die Theaterburg. Tschechows »Kirschgarten« findet jetzt in einer Art Disko statt – absurd wie die ganze Aufführung. Tschechow beschreibt in seinem letzten Stück den zerstörerischen Einbruch des Kapitalismus in die verklingende Welt der russischen Aristokratie, die kaum noch Widerstandskraft hat. Den Untergang des Kirschgartens unter den Äxten der neuen Herren des Geldes, vertreten durch Lopachin (Bruno Cathomas) hat Tschechow auf eindringlichste Weise beschrieben. Regisseur Falk Richter zerstört Tschechows Bilder, indem er sie durch blanke Effekte des modernen Wirtschaftslebens noch übertreibt, zugleich zerstört er Dramaturgie und Poesie des Stückes. Selbst vor solchem Text hat man keinen Respekt mehr, vergröbert ihn mit lumpigen Schnoddrigkeiten, andererseits kittet man ihn durch Gedichte von Ingeborg Bachmann, Rilke und Goethe. Als hätte Tschechow das nötig. Und wenn Ranjewskaja, eine der begehrtesten großen Frauenrollen europäischer Dramatik, durch Bibiana Beglau auf das Niveau von Küchenmädchen, Verkäuferin und Model reduziert wird, kann sich das Theater frohgemut die Hände reiben, vom Baum der Theatergeschichte wieder einen der besten Äste abgesägt zu haben. Ein trauriger Sieg: die Kapitulation vor großen Gedanken, großen Gefühlen und tief lotender Poesie. Das Maxim-Gorki-Theater im Zentrum der Stadt führt uns von Tschechow zurück zu Leo Tolstoi, und zwar zu einer Bühnenfassung der »Anna Karenina« vom Intendanten des Hauses, Armin Petras; inszeniert hat Jan Bosse. Daß die Bühne gern Romane schluckt, ist nicht neu. Aber auch diese Bühnenfassung bleibt unbefriedigend. Wer vermag schon die gewaltigen Widersprüche zwischen den erzählten Idealen dieser herrlichen Menschen und der sie umgebenden grausigen Realität zu fassen? Eingeprägt hat sich mir nur Fritzi Haberlandt als Karenina. Fast gleichzeitig brachte das emsige Ensemble Shakespeares »Hamlet« heraus. Es war aber der von Heiner Müller bearbeitete »Hamlet«, der dadurch eine brutalere intellektuelle Spannung erhalten hat. Zur Inszenierung ist wenig zu sagen, Max Simonischek blieb dem Prinzen viel schuldig, er blieb fremd, ohne Erkenntnisgewinn. Das Ensemble hat sich mit diesen beiden Produktionen eindeutig übernommen. Weniger wäre mehr gewesen. Wie man mit kleinen Mitteln beachtliche Wirkungen erzielen kann, bewies die ebenfalls von Jan Bosse eingerichtete Fassung von Goethes »Die Leiden des jungen Werthers« mit Fritzi Haberlandt als Lotte, Hans Löw als Werther und Ronald Kukulies als Albert. Die Produktion war, als ich sie sah, nicht mehr ganz neu, aber die Darbietung frisch, eindringlich bis erotisch-anzüglich. Ein paar zeitgenössische Anspielungen erbrachten Billiglacher; die man sich hätte ersparen können. Insgesamt ein erfreulicher Abend.
Erschienen in Ossietzky 24/2008 |
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