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Januar mindestens 170.000 Unterschriften erhält, die ausreichen würden, einen Volksentscheid zu erzwingen, falls das Abgeordnetenhaus nicht gleich den Gesetzentwurf des Vereins übernimmt und damit seine eigene Schulpolitik revidiert. Das hofft auch der prominenteste Unterstützer des Volksbegehrens, der Berliner Bischof und Ratsversitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber. Er weiß zwar, daß »es einzelne Mitglieder unserer Kirche gibt, die Bedenken gegen das Volksbegehren vorgebracht haben. Doch«, so beruhigte er jüngst die Mitglieder seines Kirchenparlamentes, »dies darf nicht überschätzt werden.« Dabei gab es schon einmal in Berlin eine »Pro-Reli«-Aktion – mit zweifelhaftem Ausgang. Das war vor genau 90 Jahren, als der evangelischen Kirche mit dem »allergnädigsten« Kaiser zugleich ihr geistliches Oberhaupt abhanden gekommen war. Nun sah sie drohend die Verwirklichung der Paulskirchenforderung von 1848, Staat und Kirche zu trennen, auf sich zukommen. Das empfanden die Kirchenleute als ungerecht, hatten sie doch seit 1914 unermüdlich und mit allen geistlichen Kräften auf Kanzel und Katheder dem Staat gedient, indem sie für das glaubensmüde Volk Gott neu auferstehen ließen, den guten alten Schlachtengott. »Gott spricht in der Not der Schlachten zu uns. Und Gott sei Preis. Unser Volk findet seinen Gott wieder«, so belehrte der Evangelische Oberkirchenrat in Berlin am 11. August 1914 »mit großer Freude« seine Gemeinden. Drei Jahre später, im großen Jubiläumsjahr der Reformation, wurden in Tausenden von »Martin-Luther-Gedächtnisgottesdiensten« die letzten Kräfte für den »Siegfrieden« mobilisiert, den ihnen ihr Schlachtengott verheißen hatte. In einer »Konfirmationsrede« des Konsistorialrats Költzsch, die im März 1918 in der Kreuzkirche zu Dresden gehalten und dann massenhaft vervielfältigt wurde, klang das so: »... Es mag euch das Herz bewegen, daß eure Konfirmation in Tage fällt, die die Weltgeschichte dereinst als ihre allergrößten nennen wird ... Millionen Kämpfer prallen aufeinander. Tausende Geschütze brüllen gegeneinander. Und über Granattrichter und Drahtverhaue, durch Schlamm und Kot, Blut und Not stürmt dahin die deutsche männliche Jugend. Männer sind’s, obgleich sie erst vor ein paar Jahren hier an eurer Stelle gesessen haben zu ihrer Konfirmation. Seid nicht neidisch auf sie, ihr Mädchen, weil’s die Männer sind, die da draußen Weltgeschichte machen. Seid nicht neidisch, ihr Knaben, weil sie ein paar Jahre euch voraus sind ...« Noch am 3. November 1918 bewährte sich der Kirchenglaube an den Schlachtengott. Getreu dem Bibelwort »Wer bis zum Ende ausharrt, der wird gerettet werden« (Markus 13 Vers 13) erschienen an diesem Tage in preußischen Sonntagsblättern Großanzeigen der Kirchenregierung, jetzt »erst recht Kriegsanleihen zu zeichnen, um damit die Hoffnungen der Feinde Deutschlands auf einen finanziellen Zusammenbruch zu widerlegen«. Und diese ganze Arbeit für Jugend, Gott und Vaterland sollte vergeblich gewesen sein? Gerade wegen dieser kriegstreiberischen Arbeit der Kirchen war der neue preußische Minister für Volksschul- und Kirchenfragen, Adolph Hoffmann (USPD), der Mitte November sein Amt übernommen hatte, der Meinung, daß Religion in Zukunft nur noch »Privatsache« sein dürfte und die »vollkommene Trennung von Staat und Kirche oberster Grundsatz« für die Neugestaltung der Schule und der Kirche sein müßte. Innerhalb von knapp sechs Wochen fertigte er dazu eine Reihe von Erlassen, deren Inhalte heute als selbstverständlich erscheinen, in den Kirchen damals allerdings wütende Proteste auslösten und jene erste »Pro-Reli«-Aktion aufkommen ließen. Die wichtigsten Erlasse verfügten: Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht; Aufhebung des traditionellen Schulgebetes sowie des Zwangsbesuches der Schulgottesdienste; Verbot »aller tendenziellen und falschen Belehrungen über den Weltkrieg und dessen Ursachen« (Geschichtserlaß); Möglichkeit für jeden Schüler, sich ab dem 14. Lebensjahr vom Religionsunterricht abzumelden; Herabstufung des Religionsunterrichts, der nicht mehr Prüfungsfach sein sollte, stattdessen für alle Schüler ein Fach mit »religionsgeschichtlicher Ausrichtung auf breiter weltanschaulicher Grundlage«, dem heutigen Ethikunterricht ähnlich; Einheits-(Gemeinschafts-/Simultan-)Schule statt Bekenntnisschule. Gegen diese Erlasse also mobilisierte ab Mitte November 1918 in Berlin ein landeskirchlicher Kampfbund, der sich »Vertrauensrat« nannte, mit Sonderzeitungen, Schulungen, Gottesdiensten die kirchliche Basis. Geschäftsführer des Vertrauensrates und damit Organisator des Kirchenkampfes wurde der Berliner Pfarrer Otto Dibelius, der 14 Jahre später, am »Tag von Potsdam«, dem Bündnis Hitler/Hindenburg den kirchlichen Segen spenden sollte und nach 1950 als Ratsvorsitzender der EKD (erster in der Reihe der Huber-Vorgänger) dem damaligen Kanzler Adenauer half, die Remilitarisierung durchzusetzen. 1918 führte er seinen Kirchenkampf vor allem um die Beibehaltung der geistlichen Schulaufsicht und gegen die Neuordnung des Religionsunterrichts. Am Neujahrstag 1919 fand im Zirkus Busch eine Protestveranstaltung des kirchlichen Kampfbundes statt. Danach zogen 60.000 »Pro-Reli«-Demonstranten bei klirrender Kälte vor das preußische Kultusministerium. Nur mit Mühe konnte der christliche Mob daran gehindert werden, das Ministerium zu erstürmen. Seinen Hauptfeind, Minister Hoffmann, den er als Protagonisten des »organisierten Landesverrats« (Evangelische Kirchenzeitung 43/1918) ansah, hätte er dort allerdings gar nicht angetroffen; der war seit Mitte Dezember wegen Erkrankung an der spanischen Grippe dienstunfähig und trat dann, auf Druck der Straße, zwei Tage später von seinem Amt zurück. Kurz darauf wurden seine Erlasse vorläufig außer Kraft gesetzt. Pastor Dibelius jubelte noch nach 42 Jahren: »Das ist der erste Sieg der kirchlichen Bewegungen unserer Tage über die kirchenfeindliche Politik der neuen Regierung ... Mut und Tatkraft haben den Sieg errungen.« Noch war es nicht der Sieg. Vielmehr wurden bald danach die Trennung von Staat und Kirche, der Wegfall der geistlichen Schulaufsicht und die Gemeinschaftsschule als Regelschule in der Weimarer Verfassung festgeschrieben (Art. 137, 144 und 146). Doch die Kirchen behinderten weiterhin die Umsetzung der anderen »Hoffmann-Erlasse« (insbesondere des »Geschichtserlasses«) und die Einführung eines »Reichsschulgesetzes«, und sie standen dabei in einer Einheitsfront mit allen Rechtskräften der Republik. In diese Front nahmen die Kirchen zur Reichstagswahl 1930 auch gern die Nazipartei auf, denn »die Nationalsozialisten«, so hieß es kirchlicherseits, »halten an den überkommenen Grundlagen unserer christlichen Gesinnung fest ... Sie sind auch in der Schulfrage gegen die Verweltlichung der Schule.« (Evangelische Wahrheit 10/1930) Welche Art von »Sieg der kirchlichen Bewegungen« droht demnächst?
Erschienen in Ossietzky 24/2008 |
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