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Von der vollmundig angepriesenen »Friedens- und Wiederaufbaumission« ist nichts mehr übrig geblieben, wie selbst die der Bundesregierung zuarbeitende Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) feststellt: »In ganz Afghanistan hat sich die ISAF-Mission seit 2006 von einer reinen Stabilisierungsoperation zu einem Einsatz mit dem Schwerpunkt Aufstandsbekämpfung entwickelt.« Dennoch befindet sich der Widerstand auf dem Vormarsch, und die NATO feilt an Konzepten, wie sie die Aufständischen wirksamer bekämpfen könnte. Kernidee ist der sogenannte »Comprehensive Approach«, der in seiner deutschen Variante unter dem Titel »vernetzte Sicherheit« daherkommt. Gerade die jüngsten Erfahrungen im Irak und in Afghanistan haben zu der Erkenntnis geführt, daß solche quasi-kolonialen Besatzungseinsätze die Kompetenzen des Militärs weit übersteigen. Denn für eine erfolgreiche »Stabilisierung« (sprich: Kontrolle) werden darüber hinaus zivile Kapazitäten benötigt: Juristen, Ingenieure, Verwalter, Brunnenbauer und so weiter. Durch den Comprehensive Approach soll die »Zivil-militärische Zusammenarbeit« (CIMIC) helfen, militärische Ziele zu erreichen. Was man sich darunter vorzustellen hat, erläutert Daniel Fried, Staatssekretär für Europäische und Eurasische Angelegenheiten im US-amerikanischen Außenministerium: »Viele der neuen Kapazitäten werden gegenwärtig in Afghanistan getestet – dort lernen wir auch, wie zivile und militärische Anstrengungen besser integriert werden können. Mit jedem Monat lernen wir mehr darüber, was im 21. Jahrhundert für eine Aufstandsbekämpfung erforderlich ist: ein kombinierter zivil-militärischer Ansatz, bei dem Soldaten Seite an Seite mit Entwicklungshelfern, Diplomaten und Polizeitrainern agieren.« Diesem Zweck dienen in Afghanistan 26 »Regionale Wiederaufbauteams« (PRTs), die sich aus Militärs und Zivilisten zusammensetzen. Dementsprechend umfaßt ihr Auftrag nicht nur die Herstellung eines »sicheren Umfelds«, sondern auch Wiederaufbaumaßnahmen. Überspitzt formuliert können PRTs in einem Gebiet morgens Nahrungsmittel verteilen, mittags bombardieren und abends eine Schule aufbauen. Ein Beitrag im Small Wars Journal (August 2008) mit dem bezeichnenden Titel »Die Integration von Spezialeinheiten und USAID in Afghanistan« beschreibt präzise, auf welche Weise die US-Entwicklungshilfeagentur dort zur Aufstandsbekämpfung beiträgt. Sie vergibt gezielt Gelder als »Belohnung für Gemeinden, die Aufständische hinausgeworfen haben« und zur »Stärkung der örtlichen Bereitschaft und der Fähigkeiten, sich den Aufständischen zu widersetzen«. Weiter gehe es darum, die »Aufständischen von der Bevölkerung zu isolieren«. Der Beitrag endet folgerichtig mit dem Fazit: »Die Entwicklungshilfeagenturen müssen die Samthandschuhe ausziehen.« Darüber hinaus versucht das Militär, zivile Akteure für Spionagetätigkeiten zu instrumentalisieren. Im Militärsprech (wehrtechnik 5/08) klingt das so: »Durch Aufbau und Pflege eines Beziehungsgeflechts zwischen den eingesetzten Streitkräften und den vielfältigen zivilen und nichtstaatlichen Akteuren im Einsatzland werden Informationen gewonnen, die die Streitkräfte zur Vervollständigung des Gesamtbildes nutzen.« Selbst die eingangs erwähnte Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erkennt das Problem einer derartigen Einbindung ziviler Akteure: »Die Verquickung staatlicher und nichtstaatlicher Ansätze raubt der zivilen Hilfe zunehmend jene Eigenständigkeit, die sie gerade ihrem nicht-staatlichen Charakter verdankt, und läßt sie als Teil der politisch-militärischen Strategie der in Afghanistan präsenten Staaten erscheinen.« Noch deutlicher wurde Caritas International. Die katholische Hilfsorganisation kritisiert in einem Positionspapier, daß »die Ausschüttung der Hilfsgelder nicht an den tatsächlichen Hilfs-Bedarf gekoppelt ist, sondern sich vielmehr an der Aufstandsbekämpfung orientiert«. Aufgrund des hiermit einhergehenden Verlustes der politischen Neutralität lehnt die überwiegende Mehrheit der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) diese Zusammenarbeit mit dem Militär – bislang noch – kategorisch ab. Dennoch sind sie nicht mehr in der Lage, sich glaubhaft abzugrenzen, da das Militär – bewußt und erfolgreich – den Eindruck erweckt, Wiederaufbau und Militär seien untrennbar miteinander verwoben. Vor diesem Hintergrund werden alle zivilen Akteure in den Augen des afghanischen Widerstandes zu Kollaborateuren der Besatzer und damit zu legitimen Anschlagszielen. Die Folge ist, daß sich laut dem Afghanistan NGO Safety Office (ANSO) die bewaffneten Angriffe auf NGO-Mitarbeiter im letzten Jahr verdoppelt haben, allein im ersten Quartal 2008 kamen dabei neun Menschen ums Leben. Das ANSO führt diese Entwicklung vor allem auf den Verlust der politischen Neutralität zurück und prognostiziert eine weitere Verschlechterung der Lage. Schon jetzt haben sich zahlreiche Organisationen explizit mit der Begründung, die »Zivil-militärische Zusammenarbeit« mache ihnen den Verbleib unmöglich, aus Afghanistan zurückgezogen, so die Ärzte ohne Grenzen und die Welthungerhilfe. Trotz dieser fatalen Resultate geht man im NATO-Rahmen dazu über, den Comprehensive Approach dauerhaft zu institutionalisieren und zur Doktrin für sämtliche Einsätze zu machen. So kündigte die Abschlußerklärung des NATO-Gipfels in Bukarest an, man habe einen Aktionsplan für die »effektive Implementierung des Comprehensive Approach« verabschiedet. Da dieses Dokument aber geheim ist, nicht einmal Parlamentarier bekommen es zu Gesicht, kann man nur spekulieren, was es konkret beinhaltet. Kursierende Vorschläge verheißen nichts Gutes. So schlägt die SWP die Bildung eines eigenen CIMIC-Oberkommandos der NATO vor. In einer anderen Studie mit dem bezeichnenden Titel »Aufstandsbekämpfung als Auftrag« plädiert die Denkfabrik dafür, im Auswärtigen Amt eine Planungsgruppe zu schaffen, deren Aufgabe es wäre, »die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Aspekte der Aufstandsbekämpfung zusammenzuführen. [...] Mit Hilfe dieser Planungseinheit ließe sich kontinuierlich eine gemeinsame zivil-militärische Strategie für alle laufenden Auslandseinsätze erarbeiten und realisieren.« Vor Ort soll es dann gleichzeitig zur Dauerintegration ziviler staatlicher Akteure unter die Fuchtel des Militärs kommen: »Es sollte generell erwogen werden, das Personal der mit Auslandseinsätzen befaßten zivilen Ministerien für die Dauer der Einsätze in die Strukturen des Verteidigungsministeriums einzugliedern.« Es ist zu erwarten, daß die politische und militärischen Hauptverantwortlichen der NATO-Staaten bei ihrem Gipfel im Frühjahr 2009 in Deutschland solche und andere Vorschläge diskutieren und das Konzept weiter präzisieren werden. Ein Grund mehr, dem Kriegsbündnis sein 60jähriges Jubiläum mit Massenprotesten zu vermiesen.
Erschienen in Ossietzky 24/2008 |
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