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Der Londoner Economist wies angesichts der Schuldzuweisungen vor allem durch die französische und deutsche Regierung in Richtung USA darauf hin, daß die kontinentaleuropäischen Banken im Verhältnis zu ihrer Eigenkapitalbasis rund 50 Prozent mehr Gelder ausgeliehen hätten als die US-amerikanischen, und schüttete Häme über die beiden geschädigten Nachbarn: »Sie müssen sowohl mit den vergifteten amerikanischen Papieren, mit denen sie sich in Milliardenhöhe eingedeckt haben, als auch mit ihren eigenen sich verlangsamenden Volkswirtschaften kämpfen.« Die Ursache der Krise liegt in der sogenannten Realwirtschaft. Übrigens ist diese Begriffsbildung selbst bereits einer der Gründe für die Unfähigkeit der tonangebenden Professoren, Publizisten und Politiker, zu verstehen und zu erklären, was vor sich geht. Sie unterliegen der irrigen Vorstellung, es gäbe eine Art »Irrealwirtschaft«, das Casino der Banken und Versicherungen, und es reiche, dort für Ordnung zu sorgen, damit die an sich ja gesunde Wirtschaft nicht infiziert würde. Hätten sie recht, dann hätten ihre Milliarden-Programme zum Schmieren der ins Stocken geratenen Geldgeschäfte zwischen den Banken die Krise abgewendet. Das gelingt ihnen aber nicht. Die marxistische Krisentheorie spricht zu recht von der »Zirkulationssphäre« und stellt damit den engen Zusammenhang zur Produktions- und Reproduktionssphäre schon begrifflich her. Es gilt eben weiterhin, was Marx und Engels im dritten Band des »Kapital« geschrieben haben: »Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde.« Schlicht gesagt: Wenn Kapitalisten wünschen, daß die Produkte ihrer Betriebe nicht unverkäuflich auf der Halde landen, sondern Abnehmer finden, müssen sie darauf bedacht sein, daß die Massen genug Geld haben, um die Waren kaufen zu können. Das versteht sich eigentlich fast von selbst, aber unglücklicherweise unterliegt die gute Einsicht oft einem bösen Trieb, die Produktionskosten zu Lasten der Arbeiter und Angestellten zu kürzen und deren Gürtel immer enger zu schnallen. Daraus ergibt sich bereits der Kern jedes Sofortprogramms und letztlich auch der Kern jeder Politik, durch welche solche Krisen für die Zukunft vermieden werden können. Für die fernere Zukunft ruft alles nach einer Wirtschaft, in der demokratisch geplant wird, was der Markt nicht selbst vernünftig regeln kann. Das Sofortprogramm besteht darin, die Konsumtionsfähigkeit, die in den letzten zwei Jahrzehnten systematisch eingeschnürt wurde, wieder zu stärken. Die Instrumente liegen bereit: zehn Euro Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich, deutliche Reallohnsteigerung, umfassendes Investitionsprogramm für Sanierung und Ausbau von Schulen, Krankenhäusern, Hochschulen und dem maroden Schienennetz. Parallel dazu wird die Luft aus der Spekulationsblase gelassen, indem Riester- und Rürup-Rente eingestampft werden und die umlagefinanzierte Rente wieder in ihre alten Rechte gesetzt wird. Die staatlichen Investitionen werden finanziert durch die Einführung einer fünfprozentigen Steuer auf alle Vermögen von über einer Million Euro – das brächte grob gerechnet zwischen 80 und 100 Milliarden Euro jährlich und würde sogar noch für ein bißchen staatliche Schuldentilgung reichen. Praktischerweise würden dann auch die zur Kasse gebeten werden, die in den letzten Jahrzehnten auf Kosten der Arbeiterinnen, Angestellten, Rentner und Studentinnen gewaltige Vermögen gebildet haben und bei der Frage nach den Ursachen der Krise auf andere zu zeigen pflegen. Sie werden so an eine ihrer frühen Erkenntnisse aus dem Ethik-Unterricht erinnert: Denke immer an die drei Finger!
Erschienen in Ossietzky 24/2008 |
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