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Nun ist es nicht der Theaterverrücktheit der Thüringer zu danken, daß dort in Greiz und Gera, Altenburg und Sondershausen, in Weimar, Meiningen, Erfurt und vielen anderen Städten feste Schauspielensembles und Orchester, Opernchöre und Balletttruppen existierten. Man hatte halt die weltgrößte Residenzstadtdichte. Und nicht jeder Fürst konnte eine schmucke Armee unterhalten – doch für weniger gut besoldete Hofschauspieler und Hofkapellmeister reichte es. Als dieses Thüringen 1990 in jenem Deutschland ankam, in dem sich alles rechnen muß, gab es noch acht Dreispartenhäuser und ein gutes Dutzend Sinfonieorchester. Unter dem gepriesenen Landesvater Vogel – man preist gern den jeweils führenden Fürsten – wurde radikal beschnitten. Vogel hatte gebärmelt: Mein schönes Rheinland-Pfalz besitzt mit mehr Einwohnern viel weniger Theater. Drum darf in Thüringen nicht sein, was in Rheinland-Pfalz nie war. Vor zwei Jahren – Erfurt besaß inzwischen kein Schauspiel mehr, aber eine prunkende Opernhaushülle, vielerorts war aus drei Sparten eine geworden, Orchester hatte man fusioniert und dabei nicht wenige Stellen füsiliert – kam die nächste Runde. Fort mit Eisenach, Nordhausen, Rudolstadt, hieß es. Die Städte durften noch bleiben, deren Berufstheatermenschen aber sollten auswandern – nach Hartz IV oder an den Vorruhestandsrand. Doch mancherorts wehrten sich die ansonsten gefügigen Landeskinder. Nordhausen blieb. Rudolstadt blieb. Eisenach bekam einen Bei-Tritt gen Meiningen. In einem kleinen Literaturjournal verkündete ein CDU-Politiker, ein »bekennender Anachronist«, die 68er hätten die einstige Kultur zerstört und die armen Konservativen müßten dies jetzt bezahlen. Er rechnete Zuschüsse und Eintrittspreise und »deutsche Geberländer« hoch und runter und quer und kam zu der Meinung: Theater muß nicht sein. Nicht im armen Thüringen. Es sollte Hochkultur geben, aber nicht so viel. Doch Theaterhäuser sind heute keine Hochkulturtürme, sondern vor allem soziokulturelle Bauten. Wofür Städte und Regionen zu Recht Geld ausgeben. Und dies nicht für großfeuilletontaugliche Inszenierungen, sondern für Schulmusik und Kindertheater, für einen ständigen Konzertbetrieb und reiche Abendspielpläne, für Feste und auch Platzkonzerte, für Lebenslust und Jugendkultur. Und für subventionierte Arbeitsplätze, die gemessen an den Zuschüssen für Straßenbau und Gewerbegebietshoheiten sehr preiswert sind – aber ein intellektuelles Potential in der tiefsten Provinz halten. Und anlocken. Jener »bekennende Anachronist« wurde später als Dr. Peter D. Krause deutschlandweit bekannt, als Ministerpräsident Althaus ihn zum Kultusminister küren wollte – trotz Krauses nazionaler Wort-Wolken. Dann wollte er gern das Deutsche Nationaltheater Weimar nach seinem Bilde formen – nun sitzt er einstweilen in lichtbrauner Ecke und wartet auf die nächste Chance. Dann vielleicht in großer Koalition aus zwei kleineren Parteien: CDU und SPD. Soweit die großen Kulturpolitiklinien. Nun zum kleinen Punkt, an dem sie sich zu schneiden scheinen. Das Theater Rudolstadt im tiefen Südostthüringen hat seit Sommer eine Personalie, die als Meldung in alle Zeitungen gelangte. Steffen Mensching wurde Intendant am kleinen blauweißen Haus mit Nebenspielstätten, das mit Schauspiel plus Orchester bundesweit einmalig dasteht. Ein Dichter und Clown, fähiger Essayist und Reiseschriftsteller kommt ans Stadttheater, obwohl er nie durch Theaterinstitutionen marschiert war. Allerdings hatte er auf vielen Bühnen und Brettln seine Visitenkarte abgegeben: als Sänger und Spieler, als Regisseur und Stückeschreiber. Was kann ein bunter Vogel in der Provinz ausrichten? Oder schlimmer: Was mag er anrichten? Wir blenden jetzt ein retardierendes Moment, das aber den Bühnenhintergrund ausleuchtet, ein: Der bisherige Rudolstädter Intendant Axel Vornam, fähiger Theaterleiter, der sein Haus zum bestausgelasteten in Thüringen gemacht hatte, war just im Sommer mit einer Truppe, zum Großteil ehemalige Rudolstädter, reich an Ostbiographien, ans Theater Heilbronn gewechselt. Sein Schauspieldirektor Alejandro Quintana, Chilene, nach dem Pinochet-Putsch in die DDR geflohen, verfügt über reiche Theatererfahrungen von Rostock bis Rudolstadt. Im braven Schwaben kombinierte ein Zeitungsmann sogleich: So viel Ostgesocks? Müssen doch Stasi-Leute dabei sein – zumal Vornam selbst eine exotische Biographie besitzt: geboren in Castrop-Rauxel, als Kind in die DDR, hier die Tippeltappeltour von Abitur, Beruf, Studium, Regie-Institut ... man wurde fündig. Bei Quintana. Stasi-IM tönte die Stuttgarter Zeitung, und die Medien nah und fern fielen ein. Pünktlich am Tag vor dem Spielzeitauftakt, für den Quintana »Nathan der Weise«, das Toleranz-Stück, vorbereitet hatte. Doch in Heilbronn funktionierte nicht, was im Osten, wo Hubertus Knabe eine Meinungs-Hoheit ist, immer noch klappt: Stasi gleich Kontaktgift. Die Heilbronner applaudierten ihrem neuen Schauspieldirektor und seinem Intendanten, den Ost-Leuten, begeistert, langanhaltend, stehend. Ein paar Wochen später stellte sich heraus: Wieder mal Akten falsch gelesen. Daß ein chilenischer Exilant 1973 die Stasi weniger abscheulich als die chilenischen Mordkommandos empfindet, hätte man sich denken können. Daß er – im Unterschied zu Sensationsjournalisten – kein Schnüffler und Denunziant war, rechtfertigt im nachhinein das Vertrauen des Heilbronner Publikums. Und was ist nun mit dem Vorschußvertrauen der Rudolstädter in ihren neuen, weltumgetriebenen Intendanten? »Heraustreten in das Leben« hatte Mensching sein Konzept fürs erste Jahr überschrieben. Genau das verwirklicht er jetzt: versteigert beim Theater-Auftaktfest Kostüme mit trainierter Schlagfertigkeit, hält Reden, wo das Theater und sein Orchester sich vorstellt, organisiert »Dreikäsehoch«, ein Mitspieltheater für Kinder, läßt das »Heitere Beruferaten« – mit sich selbst als Roberto Lembke und wackeren Schauspielern als Ratefüchsen – wiederaufleben. Veranstaltet am Abend der US-Wahl kurzerhand eine amerikanische Nacht, mit Liedern vom Moon von Alabama und dem Auftritt alter Mitstreiter wie Stefan Körbel, die er noch aus Zeiten kennt, da »Karls Enkel« einen frischen Wind in die brävliche DDR-Liederszene brachten. Schließlich: Mensching gewann den zweiten Preis beim Apfelschälwettbewerb auf Rudolstadts Marktplatz! Kurz, der zierliche Intellektuelle mit der kraftvoll tiefen Stimme wurde den Leuten in der Provinz erstaunlich schnell vertraut. Traf deren thüringischen Ton, ohne seine Berliner Herkunft zu verleugnen. Und hatte bisher offensichtlich Glück mit seiner Truppe, den neuengagierten Schauspielern, den alteingesessenen Technikern, seinem Chefdramaturgen und der neuen Pressefrau. Die erste Inszenierung, das Dramaturgenlieblingsstück »Sechs Personen suchen einen Autor«, derzeit selten gespielt, wurde zum Achtungserfolg – »bis Berlin hoch«, wie man in der Provinz gern formuliert. Der Intendant als Regisseur bewies, daß er auch sechzehn Leute auf einer Bühne arrangieren kann. Inzwischen sind mit einem Schlagerabend, etwas intelligenter und schräger als die üblichen Wittenbrink-Potpourris, mit Georg Kreisler und Einfraustück, mit Weihnachtsmärchen und einer großartigen Yasmina-Reza-Inszenierung – nicht alles macht Mensching selber – weitere Punkte in die Theaterlandschaft gesetzt worden. Das Städtchen an der Saale und die Region bekommen also allerlei für ihr Geld – um noch mal auf das liebe solche zu kommen. Immerhin gibt Rudolstadt ab 2009 jährlich knapp 1,6 Millionen – die angrenzende Kreisstadt Saalfeld, die ihr Sinfonieorchester in die Kunsthaus-Ehe einbrachte, immerhin auch noch fast eine halbe Million. Dafür hat man einen wunderbaren und hoffentlich weiterhin beweglichen Apparat, an dem 140 Leute mitwirken. Leute, die, wie es am Theater doppelsinnig heißt, engagiert sind. Eine schnelle Eingreiftruppe für Wort, Witz und guten Ton. Die hinter Kulissen blicken läßt, ob bei der Demo in der Fußgängerzone oder mit Damoklesschwert auf der Bühne. Ja, Theater ist Überfluß. Doch wofür lebt man, wenn nicht für den schönen Überfluß?
Erschienen in Ossietzky 23/2008 |
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