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Die jungen Westberliner wollten sich vor den Opfern verneigen und im neu erbauten Lidice die überlebenden Frauen und Kinder um Versöhnung bitten. Vor dem großen Holzkreuz fand der Westberliner Landesvorsitzende der »Falken«, Alfred Gleitze, bewegende Worte. Und als Zeichen des Strebens nach guter Nachbarschaft wurden im Rosengarten von Lidice Rosenstöcke gepflanzt. Die Rosen aus Westberlin blühten prächtig neben denen aus der DDR, die Rosa Thälmann dort gepflanzt hatte, eine Leidensgenossin der Frauen von Lidice im KZ Ravensbrück. Zur Erinnerung: Lidice ist am 10. Juni 1942 von deutschen Faschisten dem Erdboden gleichgemacht worden. 173 Männer wurden erschossen, 196 Frauen ins KZ Ravensbrück verschleppt, nur 143 überlebten. Und von den 105 Kindern kehrten nur 17 in die Heimat zurück; die anderen hatte man in einem deutschen Vernichtungslager auf polnischem Boden vergast. In Westberlin und der alten Bundesrepublik brauchte man damals – im Gegensatz zur DDR – noch Mut zu einer derart demonstrativen Aktion in Lidice. Die »Falken«, eine sozialdemokratische Jugendorganisation, bekamen die herrschende Auffassung prompt zu spüren. Der damalige Westberliner Jugendsenator Neubauer (SPD) nannte die Gedenkfahrt der »Falken« nach Lidice eine »Entgleisung«. Den »Falken«-Funktionären drohte er eine »Untersuchung« an. So war die Lage damals. Und ich war in Lidice dabei, um für eine Tageszeitung in der DDR darüber zu berichten. Nun saßen wir also zusammen: Berlin-West und Berlin-Ost. Deutsche an einem Tisch. Diesmal als Teilnehmer eines Internationalen Kongresses in Prag, den die Gedenkstätte Lidice veranstaltete. Thema: Neonazis und Fremdenfeindlichkeit heute. Die Schirmherrschaft hatte der Kulturminister der Tschechischen Republik übernommen. Begrüßungsworte sprachen der Vorsitzende des Parlaments der Republik und der Rektor der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität. Wie ernst das Thema in Tschechien genommen wird, ging sowohl aus den Reden der Spitzenpolitiker hervor als auch aus den Beiträgen renommierter Wissenschaftler, Juristen und junger Aktivisten des alltäglichen Kampfes gegen Neonazismus. Wissenschaftliche Forschungsergebnisse, geschichtliche Erfahrungen, juristische Fragen und aktuelle Erkenntnisse über Methoden der Neonazis in unseren Tagen kamen zur Sprache. Da nahm selbst bei informierten Zeitgenossen das Kopfschütteln und Grausen kein Ende: Neonazis recken die Hand zum Hitler-Gruße, schlagen Menschen tot, die Menschen mit anderer Hautfarbe oder anderer Meinung schützen wollen – und Polizei wie Justiz stehen oft tatenlos daneben. Besonders nachdenklich stimmte eine Ausstellung in Räumen der Lidice-Gedenkstätte, die von einer Organisation junger Antifaschisten eingerichtet worden ist: Tote werden den Lebenden ins Gedächtnis gerufen. Mit ihrem Bildnis, ihrer Biographie und ihrem erschütternden Lebensende. Menschen aus Tschechien, aus Afrika, aus der Türkei und anderen Ländern. Erschlagen von neonazistischen Skinheads. Das Motto der Ausstellung: Neonazismus beginnt nicht mit Konzentrationslagern, aber letztlich gehören sie dazu. Nachhaltigen Eindruck hinterließ mit ihrer Rede die Pragerin Jana Bobosiková, eine unabhängige Abgeordnete des Europaparlaments. Sie listete die vielen rechtsextremen Organisationen auf, die sich seit Beginn der 1990er Jahre in Deutschland gründen konnten. Und nicht allein Deutschland als ihr Betätigungsfeld sehen, sondern den Neonazismus nach Tschechien tragen und dortige Parteigänger unterstützen. Vehement verurteilte sie Auftritte von Vertretern der Sudetendeutschen Landsmannschaft im Europaparlament, die unerhörten Angriffe auf die Dekrete von Eduard Benes, dem ersten Nachkriegspräsidenten der Tschechoslowakei. Dieser Internationale Kongreß gegen Nazismus und Fremdenfeindlichkeit in Prag sollte hierzulande als Anregung verstanden werden. Wann wird auch in Deutschland ein groß angelegter Kongreß stattfinden, um zu erörtern: Wie kann man gemeinsam die wachsende Gefahr wirkungsvoll bekämpfen? Und zwar unter Teilnahme kompetenter Repräsentanten des Landes: Regierung, Parlamente, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Menschenrechtsorganisationen, Antifa-Gruppen, Sportvereine, Berufsverbände ... Ergebnis müßte – neben einem umfassenden Konzept für die geistige Auseinandersetzung – ein konsequentes Verbot aller neonazistischen und faschistischen Organisationen sein. Damit würde Deutschland endlich ein überzeugendes Zeichen setzen, wie Europa es von keinem anderen Land so sehnlich erwartet. Im Rahmen dieses großen Kongresses fand an der Karls-Universität auch eine Tagung über Egon Erwin Kisch statt, zu der unser Autor als einziger ausländischer Referent eingeladen war.
Erschienen in Ossietzky 23/2008 |
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