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Der Bundesnachrichtendienst (BND) verfügt über einschlägige Akten, aber Gaby Weber erhielt trotz Informationsfreiheitsgesetz keinen Zugang, denn, so teilte der BND mit, aus dem Gesetz gehe hervor, »daß Nachrichtendienste generell privilegiert sind«. Für Verschlußsachen mit der Einstufung »vertraulich« oder »geheim« gelte eine Sperrfrist von 60 Jahren. Daher könne Gaby Weber die Unterlagen frühestens 2017 benutzen – vorausgesetzt, daß die Schutzfrist nicht verlängert werde. Unabhängig von diesen Fristen sei die Benutzung von Archivgut laut Bundesarchivgesetz unzulässig, wenn es Grund zu der Annahme gebe, daß das Wohl der BRD gefährdet werden könne. Das sei hier der Fall, denn, so der BND, »nach gesicherter nachrichtendienstlicher Erfahrung würde die Möglichkeit für Außenstehende, Einsicht in Verschlußsachen des Bundesnachrichtendienstes zu nehmen, auch gegenwärtig die Bereitschaft von Quellen, mit dem Bundesnachrichtendienst zusammenzuarbeiten, dramatisch einschränken. In der Regel bestehen die Informanten des Bundesnachrichtendienstes auf einer ›lebenslangen‹ Vertraulichkeit hinsichtlich ihrer Kontakte mit dem Bundesnachrichtendienst. Wenn diese nicht garantiert werden kann und die Gefahr besteht, daß die Identität von Informanten bekant wird, würde dies zu einer Einschränkung der Kooperationsbereitschaft führen. Ein derartiger Vertrauensverlust würde die Zugänge des Bundesnachrichtendienstes daher erheblich erschweren und damit dessen Arbeitsfähigkeit deutlich beeinträchtigen. Dieses Ergebnis wäre für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland schädlich.« Also: Wir genießen eine gesetzlich garantierte Informationsfreiheit, aber frühestens am Sanktnimmerleinstag. E.S. In vielen Staaten sorgen Gesetze dafür, daß den Historikern die Archive zu NS-Verbrechen offenstehen, so in Argentinien und in den USA (Nazi War Crimes Disclosure Act). Nur die Bundesregierung läßt ihren Bundesnachrichtendienst weiterhin Material zu NS-Kriegsverbrechern geheimhalten. Ich hatte zunächst im Bundeskanzleramt die Freigabe der Akten zu Adolf Eichmann (bis zu seiner Verhaftung 1960) sowie zu den (illegalen) westdeutschen Atomforschungen in Argentinien beantragt. Da die Pariser Verträge dem Bonner Staat die Forschung zu Kernwaffen verboten hatten, waren diese Aktivitäten nach Argentinien ausgelagert worden. Von diesen Forschungen profitierte auch Israel auf der Suche nach der eigenen Atombombe. Das Kanzleramt teilte mir zunächst mit, daß ich selbstverständlich alle Unterlagen zu Eichmann einsehen könne, und gab schließlich auch seine Akte zu Eichmann frei, die allerdings erst mit der Verhaftung des Kriegsverbrechers in Israel begann – mehr sei leider nicht da, ich könne es ja in Pullach probieren, also beim BND. Dort stellte ich im Januar 2008 einen Antrag. Im März lehnte der BND mein Ansinnen ab; Er habe die Akte gefunden, aber frühestens 2017, wahrscheinlicht 2025, sei an eine Freigabe zu denken. Vermutlich um einen Prozeß zu vermeiden, lud das Kanzleramt meine Anwältin und mich zu einem Gespräch ein. Unser Friedensangebot lautete: Die Kanzlerin solle sich das Material ansehen und entscheiden, ob es wirklich noch geheimhaltungsbedürftig sei. Die Vertreter der Rechtsabteilung antworteten: »Wir bekommen die Akte vom BND auch nicht.« Aber das Kanzleramt sei die Widerspruchsbehörde. Wir legten also Widerspruch ein. Doch anstatt dem Pullacher Dienst eine Dienstanweisung zu erteilen oder selbst über den Widerspruch zu entscheiden, teilte man mit, man verfolge die Angelegenheit nur noch. Im September schickte der BND den Ablehnungsbescheid und argumentierte darin, daß er – zum Wohl des Bundes – seine Informanten schützen müsse. Warum er nicht, wie andere Behörden, Personen durch Schwärzungen schützen kann, erklärte er nicht. Außerdem berief er sich darauf, daß die Akte Material von befreundeten Diensten enthalte, womit er vermutlich den israelischen Mossad meinte. »Die ausländischen Stellen beabsichtigen nicht, das Material öffentlich zugänglich zu machen.« Der Hinweis auf »andere Dienste« unterschlägt, daß die CIA- und FBI-Akten zu Eichmann inzwischen freigegeben sind. Aus ihnen geht hervor, daß der BND spätestens seit 1958 über Eichmanns Wohnort in Argentinien informiert war und ihn der CIA mitgeteilt hat. Warum er ihn nicht der Frankfurter Staatsanwaltschaft gemeldet hat, die Haftbefehl gegen den Kriegsverbrecher erlassen hatte, werden wir wohl erst mal nicht erfahren. Daß aber Angela Merkel in Kenntnis dieses Umstandes trotzdem den BND entscheiden ließ, statt selber zu entscheiden, zeugt von ausgemachter politischer Feigheit. Ich finde, es schadet dem Wohl des Bundes, wenn über 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges immer noch Akten über einen nationalsozialistischen Massenmörder geheimgehalten werden. Dies ist in erster Linie eine politische Frage. Es ist auch eine juristische Frage. Gegen die Entscheidung habe ich vor dem Bundesverwaltungsgericht Klage eingereicht. Laut Bundesarchivgesetz muß nach 30 Jahren Einsicht erteilt werden. Aber es gibt Ausnahmen, und davon läßt die Bundeskanzlerin den BND großzügig Gebrauch machen. Ohne Zugang zu den BND-Akten hat Gaby Weber, die Dokumentaristin, ein Theaterstück über Eichmann und die Atomforschung geschrieben, in dem sie sich selber befragt. Da kommt auch zur Sprache, »wie während der Militärdiktatur bei Mercedes Benz Argentina vierzehn Betriebsräte ermordet wurden. Die Firma denunzierte sie als ›Subversive‹. Und den Rest erledigten die Militärs. – Haben andere Firmen das nicht auch getan? – Mercedes Benz hat dem Folterzentrum der Armee, der Kaserne Campo de Mayo, Brutkästen geschenkt. Dort wurden, nach vorheriger Selektion, schwangeren Gefangenen die Bäuche aufgeschlitzt und ihre Brut wie Trophäen verteilt. – Eine wilde Vermutung? – Die beeidigte Aussage des Mercedes-Justitiars. Ein Kind nahm sich der Mercedes-Sicherheitschef, bei vier weiteren Babies ist ungeklärt, wie sie in die Familien der Manager gelangten. – Die Justiz ermittelt sicher. – Der Sicherheitschef hat zwei Jahre im Gefängnis verbracht. Die anderen Verfahren gehen nicht voran. – Warum nicht? – Es geht um zuviel. – Zuviel Macht? – Zuviel Geld und zuviel Waffen. – Du hast dazu einen Dokumentarfilm gemacht …– der im deutschen Fernsehen nicht gelaufen ist. – Naja, Fernsehen eben. – Ich habe immer tiefer recherchiert und bin am Ende auf Eichmann gestoßen. Wer die Wahrheit im Internet sucht, wird sie finden, trotz der einflußreichen Interessen. – Geld und Gut reichen also nicht aus, um die Lüge aufrechtzuerhalten? – Nein, aber die Wahrheit löst kaum Reaktionen aus.« Gaby Webers Erkenntnisse müßten eigentlich kräftige Reaktionen auslösen. E. S. Gaby Weber: »chatting with Sokrates – Dialog über Öl, Atom und Eichmann«, Verlag Die Buchmacherei (DieBuchmacherei@web.de), 172 Seiten, 14.90 €
Erschienen in Ossietzky 23/2008 |
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