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Ein hervorragender Mann der Wissenschaft also. Höchste Risikobereitschaft zeigte Müller selbst, als er sich von der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag beauftragen ließ, im Rechtsausschuß als Sachverständiger zu einer Frage aufzutreten, mit der er sich noch nie wissenschaftlich beschäftigt hat. Die Frage, ob die von der Wehrmachtsjustiz zum Tode verurteilten »Kriegsverräter« pauschal, also ohne Einzelfallprüfung, rehabilitiert werden dürfen, setzt nämlich gründliches Studium der Praxis der Wehrmachtsjustiz voraus, doch diese ist, wie man seinen Veröffentlichungen entnehmen kann, nie Gegenstand seiner Forschungen gewesen. Kriegsverrat war nach dem NS-Militärrecht jeder Landesverrat, der von Soldaten während des Krieges begangen wurde. Es genügte jede Handlung, die geeignet war, dem Deutschen Reich »einen Nachteil zuzufügen« und den Feindmächten »Vorschub zu leisten«, also ihnen einen Vorteil zu verschaffen. Darauf stand seit 1934 ausschließlich die Höchststrafe, also die Todesstrafe. Im Oktober 2006 beantragte die Linksfraktion im Bundestag ein Gesetz, durch das endlich alle Urteile gegen »Kriegsverräter« aufgehoben werden sollen. Den Anstoß dazu gab das Buch des Freiburger Professors Wolfram Wette (gemeinsam mit Detlef Vogel): »Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und ›Kriegsverrat‹«, worin nach aufwendiger Recherche 39 Fälle sogenannten Kriegsverrats (Anklageschriften und Urteile) zusammengetragen sind. Von Verrat ist da kaum die Rede. Was uns aus den Todesurteilen entgegentritt, sind unterschiedliche unbotmäßige, widerständige und humane Handlungen, vorwiegend begangen aus oppositioneller Gesinnung. Hinweise darauf, daß »Kriegsverräter« aus verwerflicher Gesinnung gehandelt hätten, wie CDU/CSU und FDP unterstellen, finden sich in der Fallsammlung nicht. Um dem Antrag der Linksfraktion auf eine pauschale Aufhebung der Urteile entgegentreten zu können, benötigten die Rehabilitierungsgegner wenigstens ein einziges Urteil, das sich auch nach heutigen Maßstäben aufrecht erhalten läßt. Müller machte sich nützlich und lieferte ein Paradebeispiel: das Urteil gegen den General Edgar Feuchtinger. Das habe Wette in selektiver Fallauswahl ignoriert. Feuchtinger sei wegen Kriegsverrat zum Tode verurteilt worden, und zwar mit Recht. Er habe nämlich seiner Freundin, einer Tänzerin, in einem Brief mitgeteilt, mit welchen Aufgaben er während der Ardennenoffensive befaßt war, und er habe ihr eine Benzinbezugsmöglichkeit verschafft. Dieser auch vom Spiegel 18/08 unbesehen übernommene »besonders krasse Fall« von Kriegsverrat (Müller) machte im Rechtsausschuß Eindruck. Sogar die SPD-Mitglieder schienen nun keine Möglichkeit mehr zu erkennen, dem Antrag der ohnedies ungeliebten Linken zuzustimmen. Das präsentierte Urteil war offenbar gut dazu geeignet, der Öffentlichkeit zu suggerieren, daß es wenigstens einen Fall gibt, der gegen eine pauschale Rehabilitierung spricht. Der von Müller geschilderte Sachverhalt machte mich stutzig. Die Handlungen erfüllten nicht den Tatbestand des Kriegsverrats, also des Verrats eines militärischen Geheimnisses an einen Feind oder der Sabotage. Eine Geliebte ist weder ein Feind noch eine ausländische Macht, wie dies § 91 b Strafgesetzbuch und § 57 Reichsmilitärstrafgesetzbuch erforderten. Nach diesem Sachverhalt konnte das Reichskriegsgericht Feuchtinger allenfalls wegen Wehrkraftzersetzung verurteilt haben. Einem in Rechtsfragen ahnungslosen Historiker könnte man einen juristischen Irrtum nachsehen, den man einem Jurastudenten im zweiten Semester wohl nicht durchgehen lassen würde. Doch es kam für Müller noch peinlicher: Die Verurteilung des Generals Feuchtinger ist allein der Phantasie des Sachverständigen entsprungen. Wie in einem Kriminalfall kam die Wahrheit erst nach und nach ans Licht: Von mir um eine Kopie des Urteils oder wenigstens um die Angabe eines Aktenzeichens oder einer Archiv-Signatur gebeten, verwies Müller mich wortkarg an das Militärarchiv in Freiburg. Rechnete er vielleicht damit, daß der so abgespeiste Anfrager resignieren würde? Ich ließ im Militärarchiv recherchieren und erhielt die Auskunft, ein solches Urteil sei dort nicht bekannt. Also wiederholte ich meine Bitte an Müller, nun etwas nachdrücklicher. Aus der von ihm jetzt endlich genannten Quelle, nämlich einer Stellungnahme eines ehemaligen Richters am Reichskriegsgericht, Dr. Block, ergibt sich, daß Feuchtinger wegen Wehrkraftzersetzung, also nicht wegen Kriegsverrat, verurteilt worden ist. Das hätte Müller übrigens schon dem nicht nur Militärhistorikern wohlbekannten Buch von Otto Peter Schweling: »Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus« (herausgegeben von Erich Schwinge) entnehmen können. Übrigens ist Feuchtinger bereits aufgrund des Unrechtsbeseitigungsgesetzes von 1998 rehabilitiert worden, im Unterschied zu den vielen Soldaten, die das Reichskriegsgericht in absoluter Willkürrechtsprechung als Kriegsverräter verurteilt hat. In all diesen Fällen diente der Kriegsverratsparagraph als Terrorinstrument der Wehrmachtsjustiz zur Ausschaltung von Kriegsgegnern und sonst politisch Mißliebigen. Hier liegt der Schluß nahe: Rolf-Dieter Müller hat in freier Erfindung eines Kriegsverratsurteils versucht, den Rechtsausschuß hinters Licht zu führen. Vielleicht kann man aber versuchen, Müller in Schutz zu nehmen. Vorstellbar ist auch folgende Möglichkeit: Ähnlich wie weltanschaulich besessene Juristen zur Begründung eines politisch erwünschten Urteils in ergebnisorientierter Argumentation alle methodischen Standards beiseite lassen können, wofür es auch in der Geschichte der bundesdeutschen Justiz einige Beispiele gibt, hat hier ein vergangenheitspolitisch festgelegter Historiker jede Kontrolle über sich verloren. Im Unterschied zu rechtsradikalen Professoren – man denke an den Holocaust-Leugner David Irving – haben sich rechtskonservative Historiker allerdings bislang immer darauf beschränkt, Fakten tendenziös zu kombinieren. Hier aber wurde eine Tatsachenbehauptung trotz Kenntnis des Gegenteils aufgestellt, und Müller verband diese falsche Behauptung auch noch mit dem massiven Vorwurf, sein Kollege Wolfram Wette habe wissenschaftlich unseriös gearbeitet, indem er das – nicht vorhandene – Kriegsverratsurteil gegen Feuchtinger ignorierte. Damit hat Müller das Urteil wissenschaftlicher Unseriosität über sich selbst gesprochen. Dennoch möchte ich nicht völlig ausschließen, daß er auf der Suche nach der Durchsetzung seiner geschichtspolitischen Positionen letztlich die Wirklichkeit mit einem Wunschbild verwechselt hat. Daß die grausame Wirklichkeit der Wehrmachtsjustiz nicht zu der Wunschvorstellung Müllers paßt, ist vielleicht auch der Grund dafür, daß er noch nie etwas dazu veröffentlicht hat. Nicht einmal als Mitherausgeber der zehnbändigen Reihe »Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg« hat er mit seinen Mitarbeitern auf den über 12.000 Seiten dieses voluminösen Werkes einen Platz dafür gefunden. Um so weniger verständlich ist es, daß er sich zugetraut hat, als Sachverständiger zum Thema Kriegsgerichtsbarkeit aufzutreten. Inzwischen hat ein weiteres, diesmal für das Bundesverteidigungsministerium erstattetes Gutachten Müllers wegen schwerwiegender methodischer Mängel die Historiker zum Kopfschütteln veranlaßt: Unter Hinweis auf die Dissertation eines jungen Historikers relativierte er die Verbrechen deutscher Gebirgsjäger in Griechenland – aber in der Dissertation steht nichts, worauf er sich stützen könnte, und der Verfasser verwahrte sich gegen den Mißbrauch seiner Arbeit. Das Ministerium brauchte das Gutachten zur Rechtfertigung der Teilnahme von Bundeswehroffizieren an den alljährlichen Gedenkfeiern der Gebirgsjäger in Mittenwald. – Es bleibt, schon um seiner Studenten willen, zu hoffen, daß Müller sich künftig mehr um wissenschaftliche Seriosität bemühen wird.
Erschienen in Ossietzky 23/2008 |
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