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Ich sah zuletzt ein Programm mit dem Titel »Ham Sie ’ne Ahnung von Berlin!?!« mit Texten von Kästner, Ringelnatz, Tucholsky, ergänzt durch Chansons und Lieder von Walter Kollo, Otto Reuter, Claire Waldoff. Anderes stammt aus der Feder des Leiters Wolfgang Helfritsch. Das Ensemble verfügt auch über mehrere Musiker, an diesem Abend begleitete Generalmusikdirektor Manfred Rosenberg. Mir, dem Wiener, liegt der Berliner Witz nicht so sehr, aber ich habe mich gut amüsiert. Ein Theater für ähnliche Programme, in dem aber auch Stücke von Shakespeare, Molière, Büchner und Peter Hacks aufgeführt werden, ist das Theater im Palais im Zentrum Berlins. Das vergnügliche Programm, das ich mir aussuchte, hat den Titel »Es gibt auch Wein in Berlin« mit Texten von Platon, Euripides über Goethe bis Hans Moser, gesprochen von Gabriele Streichhahn und Carl Martin Spengler, noch aus dem früheren Theater im Palast bekannt. Die Urheber des Abends haben intensive Studien über Berlin als Weinbaugebiet betrieben; es soll hier mal 70 Weinberge und 26 Weingärten gegeben haben; Weinmeisterstraße und Weinbergsweg zeugen noch davon. In Kreuzberg wird übrigens heute wieder Wein angebaut. Man konnte an dem Abend probieren. Das Theaterchen, das mehrmals am Abgrund stand, hat sich inzwischen sein eigenes Profil geschaffen. Hauptverdienst daran hat die Regisseurin Barbara Abend, die insgesamt 64 Inszenierungen seit 1991 vorweisen kann. Das Stück »Komische Zeit« handelt von Karl Marx und Friedrich Engels, es stammt vom Regisseur Horst Ruprecht und wurde in der Casa Ruprecht in Grünau vorgestellt, weit im Südosten der Stadt. Meine Spaziergänge können zu Reisen werden. Marx’ Auftritt ist grotesk. Die Lesart des Verfassers lautet so: »Kurz nach dem Mauerfall erwacht er in Gestalt eines Penners in einem Abbruchhaus im Prenzlauer Berg. Die deutsch-deutsche Revolution ist mißglückt, stellt er schnell fest. Eine neue muß her!« Die letzten vier Worte stehen in roten Buchstaben. Am Ende wird Marx Präsident der »Vereinigten Sozialistischen Staaten von Amerika« und Friedrich Engels sein Außen- und Verteidigungsminister. Der Text wäre eine echt komische Aufführung wert. Im nächsten Stück kommt am Ende ein musikalischer Schwank heraus. Titel: »Leichenoper«. Der Schauspieler Daniel Morgenroth und der Komponist Christoph Schambach schrieben kurz vor dem Ende der DDR ein Kriminalstück voller Turbulenzen und Verwechslungen, so daß man schließlich nicht mehr recht begreift, worum es eigentlich geht. Das Wechselspiel von Macht und Mächtigen, Korrumpierbarkeit und Moral ist allzu platt – diese »Oper« dürfte keine lange Dauer haben, auch wenn sie nun 20 Jahre später in der Festung Spandau wieder aufgeführt worden ist. Die Theatergruppe Babylon im Hause Tacheles an der Rosenthaler Straße im Bezirk Mitte dramatisierte die Erzählung »Bartleby« von Hermann Melville. Das Stück ist hart antikapitalistisch und paßt eigentlich ganz gut in die Landschaft. Es lebt von dem vergnüglichen Widerspruch, daß alkoholisierte Beamte als tragische Figuren auftreten, ein herrischer Chef sich als Frau entpuppt und sich in ihr Faktotum Bartleby verliebt. Die Komik entsteht vor dadurch, daß diese Figuren singen. Leider zerbröselt im Verlaufe des Abends alles. Die Neuköllner Oper macht sich ihren eigenen Puccini und nennt die Oper der verkrachten Künstler »Ihre Boheme«. Der besondere Witz ist, daß diese Veranstaltung in einem Altenheim stattfindet und die Sänger zwischen 60 und 70 Jahre alt sind. Man könnte das für ganz lustig halten. Ich fand es aus drei Gründen nicht lustig. Erstens: Die winzige Kammerbsetzung (Klavier, Violine und Viola) nahm Puccinis Musik jeden Glanz. Aber das war sicher beabsichtigt. Zweitens: Singen konnten die meisten auch nicht. Und drittens: Mir ist der Sinn einer solchen Parodie auf eine weltberühmte Oper nicht recht klar geworden. Große Werke dieser Art haben eigene Ästhetik und eigene Kraft. Wer sich darüber lustig machen will, macht eher sich selbst lächerlich. Um auf Wagner eine Parodie zu machen, bedurfte es schon eines Nestroy. Und bei Puccini hätte es wohl Karl Kraus sein müssen. So blieb es ein ziemliches Blabla (Regie: Rainer Holzapfel). Höchst vergnüglich dagegen »Stars in Concert« im Neuköllner Hotel Estrel, Sonnenallee. Hier spielen Jungstars ältere Weltstars; es macht durchaus Spaß, Tina Turner von Coco Fletcher und Elvis Presley von Graham Patrick zu sehen und zu hören, noch spaßiger M.L. Jordan als Louis Armstrong. Das war vor allem ein Hörerlebnis. Mir war es manchmal zu laut. Musical erfreut sich mitunter der Beliebtheit bei großen Regisseuren. So inszenierte Harry Kupfer »Elisabeth« von Michael Kunze und Sylvester Levy. Es greift einiges aus der Geschichte der früh emanzipierten Frau in der Rolle der österreichischen Kaiserin auf. Kupfer, der die Uraufführung 1992 in Wien inszeniert hatte, stellte das gleiche Werk anläßlich seines 50jährigen Regiejubiläums im Theater des Westens vor. Und wenn Kupfer sich derlei vornimmt, nimmt er den Stoff ernst. Pia Douwes spielte und sang überzeugend die Titelfigur. Ihre männlichen Mit- und Gegenspieler, darunter Markus Pohl als Franz Josef, konnten ihr kaum standhalten. Der Erfolg war dieser Aufführung sicher. Der jüdische Komponist Walter Braunfels (1882 bis 1954) ist bislang kaum bekannt. 1920 wurden »Die Vögel« gespielt, danach kam kaum noch etwas von ihm auf die Bühne. Zu den Schwierigkeiten, die fast jeder moderne Komponist hat, kam das Verbot in der NS-Zeit. Nun veranstaltete die Deutsche Oper (Charlottenburg) die Uraufführung seiner Oper »Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna«. Ursprünglich sollte Christoph Schlingensief das Werk inszenieren und legte auch bereits Grundlagen für seine Arbeit. Er erkrankte, drei Koregisseure führten die Inszenierung zu Ende. Dirigent war Ulf Schirmer. Ein schwieriges Werk, da die Handlungsebene der Heiligen Johanna von zahlreichen weiteren Schichten und Assoziationen, vor allem zur Nazizeit, überlagert wird. Obendrein ist in der Johanna eine Widerstandskomponente, die auf Sophie Scholl zielt. Die Musik von Braunfels ist nur wenig modern. Sie trägt Züge der Spätromanik, erinnert bisweilen an Wagners »Tristan« und »Lohengrin«, als Ausdrucksweise fürs Theater ist sie sehr überzeugend. Insgesamt ist das eine wichtige späte Entdeckung und wird hoffentlich sowohl das Standardrepertoire der Deutschen Oper als auch das anderer Opernhäuser erweitern. Keinesfalls als Entdeckung, bestenfalls als bizarren Einfall möchte ich »Die Zauberflöte in der U-Bahn« bezeichnen, Regie und Musik von Christoph Hagel; das Ensemble ist eigens für dieses Projekt zusammengestellt. Von einigem politischen Witz könnte der Name des U-Bahnhofes zeugen, nämlich Bundestag. Aber auch Abgeordnete werden das kaum verstehen. Man hat Mozarts ohnedies disparates Werk beliebigen Einfällen geopfert und noch dunkler gemacht. Der Gedanke des Projektleiters Hagel war, diese Oper breiteren Publikumsschichten zu öffnen. Ich denke, die Wahl des Ortes war schlecht und hat ihm das Konzept verdorben. Zudem sind die Figuren verzeichnet; der Prinz Tamino wirkt wie ein Verirrter, aus Papageno ist ein Nichtsnutz geworden, die Knaben sind Skateboardfahrer, eine Frau tritt als Schwarzfahrerin auf, Sarastro ist ein blasser Finsterling, überall sind Graffiti des gedankenreichen Inhaltes »Sarastro ist doof« zu lesen, und nach dem Zauberglockenspiel tanzen Polizisten. Die Königin der Nacht, von Ann Dobisch exakt gesungen, wird von Papageno als eine Art Nina Hagen bezeichnet, und so folgt Mißbrauch auf Mißbrauch. Wenigstens die Musik wird nicht von einer Drehorgel, sondern von den Berliner Sinfonikern gespielt. Sie klingt überhallig und verzerrt. Die Stimmen der jungen Sänger wurden oft am falschen Ort eingesetzt und klangen nicht schön. Es war, also würde ein kostbares Palimpsest auf einem Billigmarkt verramscht. Kurz sei noch die Rede von Tanzereignissen, die echten Kunstgenuß bereiteten. Vor allem das Gastspiel der Martha Graham Company mit zum Teil sehr alten Werken in der Staatsoper, Unter den Linden. Im »Gang in das Labyrinth« aus dem Jahre 1947 im Ziegfeld Theatre in New York hatte die Graham selbst die Hauptrolle getanzt. Das Ereignishaft-Provokatorische der damaligen Aufführung ist rekonstruiert. Nun tanzt Elisabeth O´Clair deren Gang durch antike mythische Welten. Diese Wanderung des Theseus als weibliche Figur läßt vermuten, daß Martha Graham selbst gemeint ist. Der Abend war lang, doch die beiden letzten Stücke seien noch genannt, die Medea-Variation mit dem Titel »Cave of the Heart« von 1946 und das witzige »Maple Leaf Rag«, von Graham im Alter von 96 Jahren geschaffen. Ein wunderschöner Abend, auch des Gedenkens.
Erschienen in Ossietzky 22/2008 |
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