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Diesem Druck nachgebend beschloß die Bundesregierung einen kraftvollen Schritt voran in den Sumpf des militärischen Konfliktes und beantragte im Parlament die neuerliche Anhebung der Mandatsobergrenze für das deutsche Himmelfahrtskommando am Hindukusch um 1000 BundeswehrsoldatInnen auf dann 4500. War im alten Preußen dem Reichskanzler Bismarck der Balkan nicht die »Knochen eines preußischen Grenadiers« wert, so plagen heutzutage Kanzlerin Merkel im Hinblick auf Zentralasien offenbar weniger Skrupel. Und so wird ihr das Parlament auch anstandslos zu Willen sein. Bereits im Sommer dieses Jahres hatte unser »Bundessituationsminister« Franz Josef Jung (»Ich will Ihnen eindeutig widersprechen, daß in Afghanistan Krieg ist, es ist dort eine andere Situation”) auf Wunsch der Verbündeten im Brüsseler NATO-Rat rund 200 deutsche Panzergrenadiere nach Afghanistan entsandt, um die Schlagkraft der ISAF zu verstärken. Diese Deutschen bilden dort seit dem 1. Juli den schnellen Eingreifverband für das Regionalkommando Nord – die deutsche Besatzungszone im Norden. »Quick Reaction Force«, abgekürzt QRF, heißt diese Truppe im NATO-Jargon. Um eine wirklich »schnelle« Reaktion der Streitmacht ist es im Fall des Falles indessen eher mau bestellt. Denn ihr wehrtechnisches Rückgrat ist der Schützenpanzer »Marder 1 A 5«, ein aus den Tagen des Kalten Krieges stammender Stahlkoloß, über dessen Nutzwert selbst der Befehlshaber in Mazar-i-Sharif, Brigadegeneral Jürgen Weigt, seine Zweifel hegt: »Es gibt sicherlich Bereiche in Nordafghanistan, wo ein 40-Tonnen-Fahrzeug große Schwierigkeiten hat, weil schlicht und einfach die Geographie den Einsatz dieser Systeme nicht vorsieht ... Also, es ist sicherlich so, daß der Schützenpanzer nicht in allen Regionen Afghanistans einsetzbar ist.« Abgesehen von solchen technischen Mißlichkeiten werfen der Auftrag und die Legitimation dieses deutschen Kampfverbandes weitaus gravierendere Fragen und Zweifel auf. Klare Worte für die Brisanz der Problematik fand der Abgeordnete Werner Hoyer (FDP), als er während einer »Aktuellen Stunde« im Bundestag zu Protokoll gab: »Bei dem, was jetzt von der Bundeswehr mit übernommen werden muß – Quick Reaction Force –, kommt es sehr auf die präzise Definition des Auftrages an, um nicht unmittelbar in die OEF hineinzurutschen. Hier zeigt sich, daß die Dinge sehr nahe beieinander liegen ...« Mit OEF ist die »Operation Enduring Freedom« gemeint, also der »Global War on Terror«, den der im Oval Office zu Washington D.C. amtierende gewalttätige Schwachkopf im Herbst 2001 ausrief, um eine willige Koalition von Alliierten unter nationalem Kommando der USA weltweit angeblich den »internationalen Terrorismus« – was immer darunter zu verstehen sein mag – bekämpfen zu lassen. Nun ist freilich das, wovor Hoyer in weiser Voraussicht gewarnt hat, inzwischen prompt eingetreten, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage im Bundestag zum Thema »Aufgabe und Bedeutung der Quick Reaction Force für die Einsatzstrategie der ISAF und die Implikationen für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan« zeigt. Zu der dort aufgeführten Frage 16 (»Können Quick Reaction Forces gemeinsam mit OEF-Einheiten eingesetzt werden und, wenn ja, unter welchen Bedingungen?«), läßt die Bundesregierung verlauten, daß ihrer Auffassung nach »Situationen möglich [sind], in denen die QRF in gemeinsamen Operationen mit der ANA eingesetzt werden, die selbst gegebenenfalls durch integrierte Ausbilderteams begleitet werden, die nicht Teil von ISAF sind. Unbenommen davon ist die Möglichkeit der Unterstützung von OEF-Einheiten im Rahmen der Nothilfe.« Bei der »ANA« handelt es sich um die »Afghan National Army«, die von US-Militärberatern, welche im Rahmen der »Operation Enduring Freedom« agieren, instruiert und ins Gefecht geführt wird. Der gemäß NATO-Anforderung definierte militärische Auftrag der QRF deckt zudem Einsatzoptionen zur Unterstützung der OEF ab, denn er umfaßt unter anderem »Evakuierungsoperationen« sowie »offensive Operationen gegen regierungsfeindliche Kräfte im Zusammenwirken mit den afghanischen Sicherheitskräften«. Demnach steht außer Zweifel, daß die QRF der Bundeswehr nicht nur unter dem völkerrechtlich nicht substantiell zu beanstandenden Mandat der ISAF, sondern auch zur Unterstützung der OEF eingesetzt werden kann. Die völkerrechtliche Legitimität dieses »Anti-Terror-Krieges« ist höchst umstritten. Während sich die Kriegsallianz, eingeschlossen die Berliner Republik, gebetsmühlenhaft auf das in der Charta der Vereinten Nationen verankerte Selbstverteidigungsrecht beruft, bestreiten ganze Legionen von Völkerrechtsprofessoren genau diese Argumentation und bezeichnen die »Operation Enduring Freedom« schlicht als völkerrechtswidrig. Selbst der ehemalige Leiter des Planungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung, Hans Rühle, mußte einräumen: »Die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan ist – die Klage der Linksfraktion und zweier Unionsabgeordneter vor dem Bundesverfassungsgericht belegt dies – verfassungsrechtlich und völkerrechtlich umstritten. Dabei ist die Völkerrechtswidrigkeit des Krieges in Afghanistan längst keine esoterische Mindermeinung vermeintlich konfuser deutscher Berufsquerulanten mehr, sondern eine in der internationalen Völkerrechtslehre durchaus verbreitete Sicht der Dinge. Auch die Kriegführung der US-Streitkräfte ist inzwischen Gegenstand intensiver völkerrechtlicher Debatten.« Auf Grund einer Analyse, die sehr ähnlich wie die des ehemaligen Spitzenbeamten auf der Hardthöhe ausfiel, legte ich am 15. März 2007 meinem Disziplinarvorgesetzten im Wehrbereichskommando IV in München einen »Dienstlichen Antrag« vor, in dem es hieß: »Im Hinblick auf die von der Bundesregierung getroffene Entscheidung ... erkläre ich hiermit, daß ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, den Einsatz von Tornado-Waffensystemen in Afghanistan ... zu unterstützen, da meiner Auffassung nach nicht auszuschließen ist, daß ich hierdurch kraft aktiven eigenen Handelns zu einem Bundeswehreinsatz beitrage, gegen den gravierende verfassungsrechtliche, völkerrechtliche, strafrechtliche sowie völkerstrafrechtliche Bedenken bestehen. Zugleich beantrage ich hiermit, auch von allen weiteren Aufträgen, ... im Zusammenhang mit der »Operation Enduring Freedom« ... entbunden zu werden.« Nahezu ein Jahr vor diesem Antrag hatte ich eine »Dienstliche Erklärung« abgegeben, in der unter anderem stand: »In Anerkennung des Primats der Politik und verpflichtet meinem Eid, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen sowie Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, erkläre ich hiermit, daß ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, Befehle auszuführen, die gegen das Völkerrecht oder das deutsche Recht verstoßen.« Diese Erklärung war unbeanstandet zu meiner Personalakte genommen worden. Die Weigerung, zur logistischen Unterstützung des Tornado-Einsatzes in Afghanistan beizutragen – konkret ging es um die Sicherstellung der Versorgung mit Flugbetriebskraftstoff auf dem Einsatzflugplatz in Mazar-i-Sharif –, war anschließend Gegenstand bundesweiter Berichterstattung. Nicht zuletzt aufgrund der außergewöhnlichen Publizität der Angelegenheit sowie beim Bundesverfassungsgericht anhängiger Klagen gegen den Tornado-Einsatz entschied die zuständige militärische Führung umgehend, mich fortan »gewissenschonend« in einer anderen Abteilung meiner Dienststelle einzusetzen, ganz so wie dies im einschlägigen Gewissensfreiheitsurteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichtes normiert worden war. Mit einer gewichtigen Einschränkung freilich: In seinem schriftlichen Bescheid führte der zuständige Disziplinarvorgesetzte aus: »Wie ich Ihnen ... mitgeteilt habe, handelt es sich bei dieser Entscheidung über Ihre neue Verwendung ausdrücklich nicht um die Anerkennung der in Ihrem Schreiben ... genannten Gründe. Darüber wird – gegebenenfalls auch im Zusammenhang mit einer möglichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – zu einem späteren Zeitpunkt entschieden.« Zwar wies das Bundesverfassungsgericht die Organklage der beiden Bundestagsabgeordneten Willy Wimmer (CDU) und Peter Gauweiler (CSU) kurz darauf zurück, da einzelne Abgeordnete gemäß der in Karlsruhe vertretenen Rechtsauffassung nicht klageberechtigt sind, doch brachte die Bundestagsfraktion der PDS/Die Linke die Angelegenheit mit nahezu gleicher, lediglich in Teilen ergänzter Begründung erneut auf die Agenda, so daß eine höchstrichterliche Entscheidung unumgänglich wurde. Gegenstand beider Klagen war formal die Verletzung der grundgesetzlich normierten Beteiligungsrechte des Bundestages, doch zielten sie inhaltlich darauf ab, die parallel zu einer sich weltweit entgrenzenden NATO Schritt für Schritt erweiterte ISAF-Mission der Bundeswehr für verfassungs- und völkerrechtswidrig erklären zu lassen. Am 3. Juli 2007 wiesen jedoch die Verfassungsrichter die Klage mit einer Begründung ab (s. Ossietzky 7/08), die ich in weiten Teilen für skandalös halte. Ins Auge sprang indessen, daß das Gericht in seiner Urteilsbegründung zwar einerseits eine Eloge auf die NATO und deren ISAF-Mission lieferte, sich andererseits aber auffällig distanziert und einsilbig zu der in dem zentralasiatischen Land parallel stattfindenden »Operation Enduring Freedom« äußerte. Den Dreh- und Angelpunkt der höchstrichterlichen Argumentation bildete die Fiktion einer strikten Trennung der realiter eng miteinander verwobenen Militäreinsätze: »ISAF und die Operation Enduring Freedom richten sich nach getrennten Zwecksetzungen, unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und klar abgegrenzten Verantwortungssphären.« Darauf rekurrierend lehnte das Gericht in der Folge jedwede rechtliche Bewertung der OEF strikt ab: »Soweit die Antragstellerin geltend macht, die Operation Enduring Freedom stehe, wie sie sich in Afghanistan vollziehe, mit dem Völkerrecht nicht im Einklang, kann dies in der vorliegenden prozessualen Konstellation vom Bundesverfassungsgericht nicht isoliert überprüft werden.« Zugleich ließen die Verfassungsrichter durchaus ihre Zweifel an der Völkerrechtskonformität der OEF durchblicken, als sie konstatierten: »Zwar mag, soweit die Operationen in der dargestellten begrenzten Weise zusammenwirken, eine Zurechnung völkerrechtswidrigen Handelns im Einzelfall nicht auszuschließen sein; soweit etwa eine Aktion der Operation Enduring Freedom mit dem Völkerrecht nicht im Einklang stünde und sich auch auf Aufklärungsergebnisse der Tornados zurückführen ließe, könnte dies möglicherweise die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der NATO oder ihrer Mitgliedstaaten auslösen. Auf diese völkerrechtlichen Fragen ist hier jedoch nicht näher einzugehen.« Trotz – oder vielleicht gerade wegen – des offenkundigen Unwillens, sich mit den völkerrechtlichen Implikationen der OEF näher zu befassen, läßt sich daraus schließen, was das höchste deutsche Gericht von dem »Kreuzzug gegen den Terror« hält, den George W. Bush ausgerufen hatte: rein gar nichts. So spricht einiges für die Annahme, daß im Berliner Bendlerblock jene schon erwähnte »Angst vor der Massenverweigerung« in der Armee grassiert. Empirisch unterfüttern läßt sich diese These durch den Umstand, daß sich zum einen bereits mehrere Dutzend Bundeswehrsoldaten, die ihre Aktivitäten in Afghanistan nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren können, bei ihren Anwälten nach Möglichkeiten für eine anderweitige Verwendung innerhalb der Truppe erkundigt haben und zum anderen auch beim «Arbeitskreis Darmstädter Signal«, in dessen Vorstand ich fungiere, entsprechende Anfragen eingingen. Angesichts der fortdauernden deutschen Beteiligung an der »Operation Enduring Freedom«, deren tatsächlicher Zweck darin besteht, das bestialische »System Guantanamo« mit Menschenfleisch zu füttern, dürfte in den Reihen der Bundeswehr die Option der Gehorsamsverweigerung weiterhin aktuell bleiben. Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung des Angriffskriegs, die in Ossietzky 1/08 begann, wird fortgesetzt. Der Autor, Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.
Erschienen in Ossietzky 21/2008 |
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