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Andere Länder, andere Sitten, aber unterm Strich dann doch wieder nicht: In der Bundesrepublik Deutschland verläuft die politökonomische Biographie umgekehrt. Erst wird jemand Minister und hat in der Politik die Interessen des großen Kapitals zu vertreten, und nach seiner Amtszeit übernehmen ihn die großen Konzerne in ihre Dienste. Dies ist das vielfach erprobte Modell »aufgeschobene Peter Söhren Vom Bauernkrieg zum BayernkriegKaum hatte der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler am letzten September-Sonnabend im Neuen Deutschland neben allerhand Irrtümern die richtige Erkenntnis verlautbart, es sei »unsinnig, die Landwirtschaft statt der Bildung so hoch zu subventionieren«, da strafte die bayerische Landwirtschaft am Sonntag ihre CSU mit Liebesentzug ab. Nun redet alle (Halb)-Welt von den Folgen des alpenkraxlerischen Fenstersturzes, nur wir verweisen auf Mami Merkel, die von der Parole »Alle Macht der Globalisierung« plötzlich zu »Die Globalisierung gestalten« überging. Wenn Lafontaine das sagt, ist er Populist, wenn Angela so etwas nachplappert, ist es staatsfrauliche Weisheit. Immerhin dämmert es einigen Bewohnern im Lande Pipi, und so geriet das Lokalderby zur Gaudi der Nachbarprovinzen. Im Fernseh-Marathon-Talk versuchten ein paar Promi-Wichtel übern abendländischen Horizont zu springen. Irgendwo im Ausland fand auch noch eine Weltlage statt: Finanzen und Militärs versinken im aparten Chaos, das die machthabenden Ignoranten anrichten. Landtagswahlen, als oktoberfestlich richtungsweisend beglaubigt, müssen von Weltkrisen und begleitenden Kriegen nicht Kenntnis nehmen. Derlei Folgen schwappen ganz von selbst in die deutschen Vaterländer, bleibt die notwendige revolutionäre Veränderung lange genug aus und verboten. Vorerst können wir ruhig noch 100 Jahre unsere Freiheit am Hindukusch verteidigen. Ein Tag auf unseren Straßen bringt das Zehnfache an Verlusten. Eine Nacht in deutschen Betten füllt die Abgänge wieder auf. Warum sich also einen Kopf machen? Bayernland ist noch nicht abgebrannt. Gerhard Zwerenz GesetzgebungDie Abgeordneten Wolfgang Bittner Der Ami war’sUngewöhnlich starke Worte waren im Deutschen Bundestag zu hören – über Wirtschaftsmenschen, die »von Gier getrieben« seien, über das böse »Rennen nach der Rendite«, über ein »unverantwortlich überhöhtes laisser-faire-Prinzip« und ähnlich schlimme Dinge mehr. Das alles hat sich, wenn man dem Bundesfinanzminister glaubt, in einem anderen Land abgespielt, aber es werde Unglück auch über das unschuldige Deutschland bringen: Wachstumsschwund und Arbeitslosigkeit. Aberglaube sei es, auf den ungehemmten Markt zu vertrauen, jetzt müsse im internationalen Finanzsystem reguliert werden. Aber hatte nicht genau dies Oskar Lafontaine seinerzeit als sozialdemokratischer Bundesfinanzminister gefordert? Und wurde er nicht eben deshalb von seiner eigenen Partei aus dem Amt gemobbt – weil die Magnaten der Finanzwelt solche Reden übelnahmen und Gerhard Schröder gerade dabei war, die Bundesrepublik für die spekulative Kapitalverwertung weit zu öffnen? Vom Kurzzeitgedächtnis der Sozialdemokratie abgesehen – an der Jagd nach dem Riesenprofit im globalen Finanzdschungel waren beileibe nicht nur US-amerikanische Banker und Manager beteiligt. Und das Geld, das da virtuell hin- und hergeschoben wurde, hat sich nicht in Luft aufgelöst, es ist in die Taschen der Gewinner des Spiels geflossen, auch der deutschen. Aber darüber konnte und wollte Peer Steinbrück nicht sprechen. Nach diesem Auftritt im Bundestag zeigte sich der CDU-Haushaltsexperte Steffen Kampeter MdB etwas unzufrieden: Bei dem Koalitionskollegen im Ministeramt seien »antiamerikanische und antikapitalistische Untertöne« zu hören gewesen. Was den zweiten Vorwurf angeht, so hat Kampeter nichts verstanden. Wer über die Grundübel der kapitalistischen Ökonomie schweigen und von ihnen ablenken will, der ruft »Haltet den Dieb!« und zeigt in die Ferne. Jetzt in Richtung USA. Arno Klönne Zweimal WetzelDetlef Wetzel, zweiter Vorsitzender der IG Metall, hat sich öffentlich, in einem langen Gespräch mit der Zeitung junge Welt, recht kritisch über die im Bund Regierenden geäußert, also über SPD und Union. Auf die Frage, weshalb arbeitsgesetzliche Vorschläge der Gewerkschaften nicht zum Zuge gekommen seien, antwortete er: »Es würde mich sehr wundern, wenn diese Regierungskoalition in der Lage wäre, ein für die Menschen wirklich wichtiges Thema positiv zu gestalten. Mit solchen Qualitäten ist die Politik in den vergangenen Jahren nicht gerade aufgefallen.« Gleichzeitig meldete die Rheinische Post, Berthold Huber und Detlef Wetzel hätten für die IG Metall ein vertrauliches Gespräch mit den sozialdemokratischen Staatssekretären in der Bundesregierung geführt. Man habe gute Zusammenarbeit und ein »stärkeres Vorgehen gegen die Linke« verabredet. Na bitte, da haben wir doch ein wirklich wichtiges Thema, in positiver Gestaltung. Marja Winken Die EinladungWenn es eine helfende und eine strafende Hand des Staates gibt, dann ist bei meinem Job-Center letztere allemal schneller als erstere. Nach der unerklärlichen Ablehnung meines Antrags auf Hartz-IV-Unterstützung kam ohne Antwort auf meinen Widerspruch die »Einladung«. Daß Sprache lügt, kann man in der Politik andauernd feststellen. Eine Einladung mit der Rechtsfolgenbelehrung, daß im Falle meines Nichterscheinens zehn Prozent vom Existenzminimum abgezogen würden, wirkt auf mich nicht als Einladung, sondern als Vorladung. Wenn ich sie abschlage oder vergesse, droht mir eine dreimonatige Hungerkur. Und wozu werde ich »eingeladen«? Jemand, den ich nicht kenne, will mit mir über mein »Bewerberangebot« (was ich kann) und meine berufliche Situation sprechen. Nun gibt es im »Job-Center« vieles, aber keine Berufe, höchstens, aber da sind wir schon wieder bei der besonderen Hand des Staates, »Ein-Euro-Jobs«. Ein Gespräch, das Freiwilligkeit auf beiden Seiten voraussetzt, ist das nicht. Man traut mir nicht zu, daß ich mein Angebot passend präsentiere und meine berufliche Situation richtig einschätze. Mit der Inanspruchnahme der Hartz-IV-Unterstützung gibt man manches auf. Frauen kennen das von den Abtreibungspflichtberatungen. Nun trifft es auch die Armen, die für den kapitalistischen Verwertungsprozeß Überflüssigen. Damit sich unter ihnen keine kritische Masse bildet, müssen sie atomisiert bleiben, dazu dient ihre Kontrolle und Drangsalierung. Ihr Denken und Handeln soll erstens aufs Überleben, zweitens auf eine Behörde fixiert werden, damit nichts anderes ihnen in den Sinn kommt. Für die Mitarbeiter dieser Behörde ist das natürlich auch ein Problem, und nicht alle dort wollen diese Aufgabe wahrnehmen. Freilich macht auch hier die Uniform den Menschen. (Ein einziges Mal durfte ich eine Ausnahme von dieser Regel erleben.) Nun sehe ich also dieser Unterhaltung, die mich so leicht den Unterhalt kosten kann, mit Spannung entgegen. Womöglich wird mir wieder diese – unvergeßliche – Frage gestellt: Warum sind Sie arbeitslos?! Eine Frage war das eigentlich nicht. Wolfgang Haible Walter Kaufmanns LektüreZwanzig Jahre intensivster Arbeit – demnach hat Erasmus Schöfer auch für den nun vorliegenden vierten Band seines Zyklus »Die Kinder des Sisyfos« fünf Jahre gebraucht. Bestens genutzte Zeit! »Winterdämmerung« kann man lesen und verstehen, auch wenn man die drei vorangegangenen Romane, die ich in Ossietzky schon vorgestellt habe, noch nicht kennt. Die Hauptakteure tauchen wieder auf, aber dieses Buch ist eigenständig. Es umfaßt die 1980er Jahre, eine Zeit, die es nicht weniger in sich hatte als die Jahrzehnte davor: erneute Streiks in der Schwerindustrie des Ruhrgebiets, Bürgerwehr gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens am Main, Volksbewegung für den Weltfrieden, erbitterte Arbeiteraufstände gegen Werkschließungen und schließlich die Vereinigung Deutschlands und deren Auswirkung auf die Menschen in Ost und West. Wem eine solche Aufzählung zu hölzern klingt, dem sei versichert: Alles wird in Einzelschicksalen deutlich. Betriebsrat Manfred Anklam wird auf die Seite der Unternehmensleitung wechseln und trotzdem am Ende seine einstigen Arbeiterkollegen zum Sturm auf die Villa Hügel der Krupps führen; der Geschichtslehrer Viktor Bliss wird mit der Zeit die verheerenden Feuerverletzungen überwinden, die er sich bei Löscharbeiten in Griechenland zugezogen hat, und, in den Schoß der DKP zurückgekehrt, den Auseinandersetzungen mit der Führung nicht ausweichen; der Journalist Armin Kolenda wird der kämpferische Berichterstatter und Chronist seiner Zeit bleiben (und das schrecklichste aller schrecklichen Verbrechen durchleben, das ein Freund begangen hat). Und was die Frauen angeht, die die anderen Bände belebten: Lena Bliss und Malina Stotz werden, nun ganz auf sich selbst gestellt, die Wege gehen, die sie lange gehen wollten. Andere, nicht weniger interessante Frauen werden auf den Plan treten: Margrit, die Verkaufsstellenleiterin und letzte große Liebe des Manfred Anklam, und Lisa, die Lehrerin, die nach dem grausigen Mord an ihrer Tochter Trost und Geborgenheit bei Armim Kolenda finden wird. »Winterdämmerung« zeigt aufs Neue, daß Schöfer zu erzählen, sich diverser Stilmittel zu bedienen und prall und plastisch den Akt der Liebe darzustellen weiß. Ich kenne keine sinnlicheren, ja gewagteren Passagen über den Liebesakt in der modernen deutschen Prosa, aber auch keine gewagteren Sprachexperimente. Schöfer traut sich was, und wer das billigt, der soll es tun – ich hatte zuweilen meine Probleme damit, die aber prompt vergessen waren, wenn der Strom der Handlung mich wieder mitriß. Ein packendes Buch, das wie die drei anderen manche Erinnerung an das eigene gelebte Leben wachruft. Von allen deutschen Gegenwartsromanen, die ich kenne, geht mich keiner mehr an als dieser. W. K. Erasmus Schöfer: »Winterdämmerung«, Dittrich Verlag, 619 Seiten, 24.80 € Ein Friedhof voller GeschichteEin deutscher Friedhof, auf dem neben anderen viele Militärs verschiedener Zeiten versammelt sind: Scharnhorst, der Held der Befreiungskriege, und der Nazi Heydrich, Admirale und bekannte Jagdflieger wie Richthofen, Udet oder Mölders. Deutsche Geschichte, gewöhnliche und ungewöhnliche Schicksale, die Rolle von Gewalt, der Sinn von Kriegen, die Folgen am Beispiel Einzelner. Uwe Timm hört die Schreie und die Gespräche der Toten, es ist ein Klagen und Schimpfen, ein Durcheinander an Meinungen und Erfahrungen. Unbelehrbare und die vom Krieg Bekehrten reden, Opfer und Täter der Jahrhunderte. Manche erhalten Profil und kommen mehrfach zu Wort, andere sprechen oder murmeln nur wenige Sätze. Einige sind kenntlich, viele nur Stimme eines Chores. Einiges erschüttert, vieles wirkt bekannt. Da namhafte Frauen rar sind auf diesem Friedhof, dem Invalidenfriedhof in Berlin-Mitte, fällt die Fliegerin Marga von Etzdorf auf, die sich fünfundzwanzigjährig nach einer (ihrer dritten) Bruchlandung erschoß. Ihr Schicksal interessiert den Autor und den fiktiven Friedhofsführer besonders, und allmählich finden und erfinden sie mehr und mehr aus dem Leben dieser waghalsigen, ungewöhnlichen Frau. So auch ein nächtliches knisterndes Gespräch zwischen ihr und dem Diplomaten und Waffenhändler Christian von Dahlem. Eine Liebesgeschichte, edel, voller Fliegerromantik, unerfüllt und deshalb um so spannender. Was die Pilotin zu ihrem Selbstmord bewogen hat, läßt Autor und Leser bis zum Ende des Buches rätseln. Zweifellos ein geschichtsträchtiges Buch, sorgfältig recherchiert, sprachlich vorzüglich, aber ein Sammelsurium. Christel Berger Uwe Timm: »Halbschatten«, Kiepenheuer & Witsch, 270 Seiten, 18,95 € Press-KohlDer Adel spielt, wie alle Leute wissen, die während des Wartens beim Frisör die dort ausliegende a – die aktuelle (Deutschlands große Illustrierte) aus dem Gong Verlag in Ismaning betrachten, beim Sport eine große Rolle. Die a-Bildunterschriften sind das Beste. »Olympisches Familienfest: Felipe von Spanien (links) scherzte mit seinem Onkel Konstantin von Griechenland, der mit seiner Frau Anne-Marie in Peking war.« Der Onkel wirkt vergnügt, während die Tante, also Frau Anne-Marie, so aussieht, als sei ihr die berühmte Bejing-Ente, obwohl Konstantin von Griechenland sie gewiß vorschriftsmäßig vier Tage vorm Verzehr bestellt hatte, nicht gut bekommen. Vielleicht hatte sie während des Abnagens der bewußten Ente zu intensiv darüber nachgedacht, wie ihr Mann nun wirklich heißt: König Konstantin von Griechenland oder Onkel Konstantin von Griechenland? Ich würde Onkel vorschlagen. »König Carl Gustaf von Schweden fotografierte sich und seine Frau Silvia selbst.« Selbst ist der König! So ein richtiger König von Schweden fotografiert ganz alleine und ohne Zuhilfenahme eines Hof-Fotografen mit seinem königlichem »Knipps«-Fingerdruck sich und seine Frau Silvia selbst, und zwar so, daß beide gleichzeitig auf dem Bild zu sehen sind. * Die Redaktion der Tageszeitung junge Welt war über die Ereignisse in Georgien so aufgeregt, daß sie auf der Titelseite ein bekanntes Gebirge umbenannte: »Obwohl Georgien der Aggressor im Kaukausus ist, wächst die Kritik an Rußland.« Kau, trau, wem. (Zur Beruhigung empfiehlt sich ein Täßchen Kaukau.) Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 20/2008 |
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