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Das Reich König Peters, die von Katrin Brack gestaltete Bühne, ist eine schiefe Ebene, auf der die Untertanen als Schlafende liegen. Wir sehen nur bunte Schlafsäcke, sonst nichts. Der König (Peter Jordan), im dunkelblauen Westenanzug mit Kronenkrawatte, erinnert an Rudolf Scharping, einen SPD-Politiker der 1990er Jahre. König Peter weiß oft nicht, wer er ist, und muß sich selbst immer wieder sagen: »Ich bin ich.« Seine linke Hand zittert unaufhörlich. Überforderung? Seine Sätze – gut gelernt – sind allzu bekannt: »So können wir die Arbeitslosigkeit halbieren«, »Ich rufe auf zur Selbstverantwortung«. Der Knopf im Taschentuch – woran sollte er ihn erinnern? Liberté, Egalité, Fraternité? Nein, das war es nicht. Ans Volk? Ja. Das liegt schlafend am Boden, bewegt sich nur hin und wieder, um sich umzudrehen. »Die Massen sind dumm, gefräßig und vergeßlich.« Sein Hofstaat gibt ihm recht. Acht Menschen, uniform in olivgrünen Anzügen, stehen ihm bei, sagen, was er sagt, wie Papageien. Valerio, des Prinzen Begleiter (Andreas Döhler), kommt von hinten, verbirgt goldene Pumps unter der Lederjacke. Aber die Glöckchen daran degradieren ihn zum Narren. Leonce (Ole Lagerpusch) will, daß Valerio ihm widerspricht, sagt er. Aber er behandelt ihn wie einen Hund, spuckt auf ihn, spricht dabei den poetischen Büchner-Text und führt ihn ad absurdum. Über allem liegt ganz leise klassische Musik, so wie der Hamburger Hauptbahnhof seit Ronald Schills Zeiten akustisch aufgepeppt wird. Die Schlafsäcke liegen woanders. Valerio ruft eine imaginäre Hartz-IV-Kapelle zur Schunkel-Musik, die ist laut und bringt den ganzen Hofstaat in Bewegung, Musik zum Mitsingen. Dann Stille. Rosetta (Olivia Gräser), die abgelegte Geliebte des Prinzen, tanzt im Mini-Flatterkleidchen auf Befehl von Leonce. Der kommandiert: »Valerio, an die Arbeit!« Valerio nimmt sich Rosettas an. Zur Musik, zart wie ein Hauch, zieht er sie zu sich, singt ein Schlaflied und bemächtigt sich ihrer – mit sichtbarem Widerstreben. Rosetta, in sich gekauert, singt unverständlich – eine Asiatin? –, stolpert dann über die Schlafsäcke hinweg. »Dreck seid ihr, müßt euch ein bißchen waschen und rasieren. Wer arbeiten will, findet auch Arbeit!« raunt allzu vernehmlich die Gouvernante (Victoria Trautmannsdorff), fällt fast über die Säcke und macht Platz für Lena im weißen Prinzessinnenkleid. Die schreit wie ein ungezogenes Gör, will, daß ihr vorgelesen wird. Neues vom Ponyhof. Lena erregt, die Hand unterm Rock, stöhnt. Ihre Gouvernante lächelt nachsichtig, verständnisvoll. Lenas Worte: »Mein Gott, ich könnte lieben« – sie klingen so falsch. Die poetischen Stellen werden geschrien – ein merkwürdiger Effekt. Leonce und Lena nähern sich an, auch in ihren Worten. Einer spricht den Text des anderen, dann beide wie im Duett zusammen. Unter Vivaldi-Klängen erinnert sich König Peter: »Wir sind doch wer. Wir waren doch mal wer.« Orgelmusik. »Ich ziehe mich zurück. Es läuft etwas gegen mich.« Verständnisvolles Lachen im Publikum. Die Königskinder: »Was ist, spielen wir weiter?« Und zum Hofstaat-Publikum: »Habt ihr eure Lektion gelernt? Vivat!« Aus den Schlafsäcken schälen sich ein paar Menschen heraus, junge und alte. Habe ich etwas gelernt? Nein. Ich habe die Stadt wiedererkannt, in der ich lebe. * Der verzweifelte Akt des Widerstands gegen die deutschen Besatzer fand statt am 19. April 1943 in Belgien. 65 Jahre danach bringt das kleine Hamburger »Sprechwerk« das Ereignis auf die Bühne. Das Buch »Stille Rebellen« von Marion Schreiber nahm der Theaterleiter Andreas Lübbers als Vorlage für sein gleichnamiges Stück. Regie führte Konstanze Ullmer. Es ist mehr als nur gespielte Dokumentation. Wie schafften es drei junge Männer, einen Deportationszug, der Gefangene vom Lager Mechelen bei Brüssel nach Auschwitz transportieren sollte, zu stoppen, 17 Frauen und Männer zu befreien und so weiteren 225 Gefangenen die Möglichkeit zur Flucht zu geben? Erfahrene Partisanen, die bewaffnet waren, hatten den Anschlag als zu riskant abgelehnt. Die drei jungen Widerständler hatten nichts weiter als eine Pistole, eine selbstgebastelte Sturmlaterne und Zangen. Die Aufführung bringt uns die Atmosphäre in Brüssel nahe, angefangen 1940, als Studenten, davon viele Juden, noch relativ unbeschwert ausgelassene Swing-Partys feiern konnten. Bis sich das Netz immer fester zuzog und Spitzel eingeschleust wurden. Gespielt wird auf mehreren Ebenen. Vorn steht ein Metallgerüst, von dem die Krankenschwester Regine Flugblätter herabwirft. Später wird Kurt Asche, der SD-Mann für »Judenangelegenheiten«, daran in die Höhe steigen, als sichtbares Zeichen des Aufstiegs durch Inbesitznahme jüdischer Wohnungen, von denen er schwärmt. Judenreferent Asche leitete die Verhaftungsaktionen, war Herr über Leben und Tod, bereicherte sich an jüdischem Eigentum und lebte dann bis 1962 unbehelligt in der Bundesrepublik Deutschland. Nachdem das Verfahren immer wieder verschleppt worden war, erging 1981 ein Urteil: Er kam mit sieben Jahren wegen der Beihilfe zur Ermordung von mindestens 10.000 Juden davon – er war nicht in der RAF gewesen. 1998 verstarb Asche in seiner Wohnung in Eimsbüttel – zehn U-Bahn-Minuten vom Aufführungsort des Stückes am Berliner Tor. Als Asches Gegenspieler im Stück wird General Alexander von Falkenhausen aufgebaut, der Chef der Militärverwaltung in Belgien. Doch sein Telefongespräch mit Himmler führt vor, wie der sich vorher fast als Nazi-Gegner aufspielende General einknickt und Ja sagt zur Deportation der Juden. Den Schauspielern ist zu danken, daß sie uns den wenig bekannten Widerstand in Belgien nahebringen – Jean Amery und Ernest Mandel gehörten dazu. Am Ende des Stückes die Abschiedsbriefe zweier jüdischer Brüder an ihre Mutter, kurz vor ihrer Hinrichtung. Weitere Aufführungen am 24. und 25. September in Hamburg, Klaus-Groth-Straße 23
Erschienen in Ossietzky 19/2008 |
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