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Seit 1917 hatten hier die Menschewiki regiert, von Karl Kautsky, der sich selbst drei Monate bei ihnen aufhielt, als »sozialdemokratische Bauernrepublik« gepriesen. In Ordshonikidse also saß ich bei einem Empfang mit viel Wodka und Trinksprüchen dem Filmminister gegenüber, neben mir sein Fahrer (wo gäbe es so etwas bei uns?), der den Vornamen Thälmann trug. Den verdankte er der in seinem Geburtsjahr 1933 in der Sowjetunion geführten Kampagne »Befreit Thälmann!«. Er war also so etwas wie ein lebendes Zeugnis für inzwischen aus der Mode gekommene internationale Solidarität – die eben jetzt auch für Südossetien gefragt wäre und für die Opposition gegen Saakaschwili in Georgien, die es schwer hat. Ein Jahr nach meinen Begegnungen in Nordossetien war ich in Tbilissi, damals nicht nur wegen ihres mediterranen Flairs eine der beliebtesten Städte der Sowjetunion. Hier gab es zu niedrigeren Preisen mehr zu kaufen als in jeder anderen Stadt. Die Schwarzmeerküste von Gagra bis Batumi war für Sowjetbürger ein Urlaubsparadies, in der Mitte Suchumi, die Hauptstadt Abchasiens. Daß dieser Landstrich einmal zum Zankapfel werden sollte, ahnte noch niemand im multiethnischen Georgien. Krieg und Zerstörung kamen erst mit der Unabhängigkeit. Anfang 1992 wurden in mehrwöchigen Kämpfen die Milizen des ersten Präsidenten Swiadd Gamsachurdia aus Tbilissi vertrieben. Zu Sowjetzeiten war Georgien berühmt für seine Filme. Durch sie war mir Tbilissi schon vertraut. Freilich erhielt ich bei meinem Besuch auch einen Eindruck von der Russenfeindschaft. Auf einem Spaziergang über den Rustaweli-Prospekt – wie das Theater, in dem ich einen hinreißenden Ballettabend erlebte, benannt nach dem Dichter des georgischen Nationalepos »Der Ritter im Tigerfell« – schockierte mich plötzlich der perfekt Deutsch sprechende Sekretär des Filmministers mit der Frage: »Weißt du eigentlich, daß der Sascha Jude ist?« Sascha war der Delegationsleiter unserer Gruppe professioneller Besucher des Moskauer Filmfestivals, ein sympathischer Filmstudent aus Moskau. Stets spürte man ihm gegenüber eine Distanz der Offiziellen. Daß er Jude war, verstärkte offensichtlich die Abneigung gegen ihn. Aber auch das gab es: Ein Taxifahrer hatte ein kleines Stalinbild im Auto. Und spielte mir von einer Kassette auch noch »Ssuliko« vor, das Lieblingslied des Diktators. Dessen Geburtsort Gori war jüngst ein Schauplatz der Kämpfe; georgische Angaben, russisches Militär habe Gori dem Erdboden gleichgemacht, sind jedoch falsch. Leider blieb jene Reise mein einziger Besuch in Georgien. Aber jedes Jahr führt mich das Russische Filmfestival in das wenige Kilometer von Abchasien entfernte Sotschi. Nur eine Kleinigkeit verrät hier etwas von den Spannungen: In den Geschäften gibt es keinen georgischen Wein und Cognac mehr zu kaufen. Zu den Attraktionen gehören Ausflüge in Stalins Datscha und den Kaukasus. Ein Blick auf den Elbrus, den höchsten Berg des Gebirges, erinnert daran, daß dort deutsche Soldaten einmal die Hakenkreuzfahne hißten. Hitlers »Unternehmen Edelweiß« hatte Baku mit seinem Erdöl als Ziel (so wie es heute im Zusammenwirken zwischen dem georgischen Präsidenten Saakaschwili, einem US-amerikanischen Staatsbürger, und dem US-Präsidenten George W. Bush, einem gelernten Ölkaufmann, wieder um Ölinteressen geht). Allein vor Ordshonikidse gaben 17.000 Sowjetsoldaten ihr Leben, und von 600.000 Georgiern, die in den Krieg zogen, kehrten 300.000 nicht zurück. Zwei Wochen lang hielten sich Gebirgsjäger der Wehrmacht in dem abchasischen Dörfchen Pskhu. Und schon 1918 hatte ein deutsches Militärkommando für kurze Zeit Georgien und seine Eisenbahnlinien besetzt. Eines der damaligen Kriegsziele hatte Ferdinand Bork von der deutsch-georgischen Gesellschaft so formuliert: »Wenn es gelingt, den russischen Koloß zu zertrümmern, sollten unsere Politiker daran denken, den christlichen Georgiern ... zu gestatten, als südkaukasischer Pufferstaat zusammen mit einem etwa zu begründenden mohammedanischen Kaukasien eine neutrale Grenzzone zwischen Rußland und der Türkei zu bilden.« Nun muß man zwar von einer Physikerin nicht detaillierte Geschichtskenntnisse erwarten, aber die hätten unsere Kanzlerin wohl auch nicht daran gehindert, Bundeswehrangehörige als Beobachter in das heutige Krisengebiet zu entsenden und Georgien zum NATO-Beitritt zu ermuntern. Was im Ernstfall dazu führen könnte, daß deutsche Soldaten »unsere Freiheit« nicht nur am Hindukusch, sondern auch im Kaukasus »verteidigen« müßten. Das wäre dann Traditionspflege – wie schon 1999 gegen Serbien. Ob jene, die die nationalistische Erosion Jugoslawiens und den Zerfall der Sowjetunion begrüßten, je darüber nachgedacht haben, wie viel Krieg und Elend daraus folgte? Die tonangebenden Medien pflegen im Konflikt um Südossetien unter Ignorierung aller Fakten wieder das alte Feindbild Rußland. Nur zwischen den Zeilen wurde erwähnt, daß nicht Putin und Medwejew, sondern Saakaschwili der Aggressor, der Verursacher der vom Westen angeheizten Krise war. Jetzt soll eine internationale Kommission untersuchen, was ohnehin klar war. Russische Argumente werden meist vom Tisch gewischt, die US-Raketen-Stationierung in Polen und Tschechien wie die geplanten Militärstützpunkte in Bulgarien und Rumänien akzeptiert, als wären es Selbstverständlichkeiten. Und wenn Dick Cheney in Lettland erklärt, natürlich wolle man Rußland einkreisen, findet man darüber bei uns kein Wort. Russische Panzer werden als Symbol des Bösen dargestellt. Man sah sie nicht nur immer wieder in den aktuellen Fernsehbildern aus Südossetien und Abchasien, sondern auch mehrfach bei den televisionären Rückblicken auf das Ende des »Prager Frühlings«, dessen Jubiläum bei uns mehr Beachtung fand als in Prag selbst. Dazu paßt noch eine am 11. September im Kino gestartete hanebüchene Science-Fiction-Story aus Hollywood, »Babylon A.D.«, die mit russischen Panzern beginnt. Doch enden wir mit etwas Positivem. Ein Panaroma-Beitrag des NDR steuerte gegen den antirussischen Mainstream, auf einer ganzen Tagesspiegel-Seite konnte man eine objektive Reportage über die Opfer der georgischen Aggression in Südossetiens Hauptstadt Zchinwali lesen, und in der Sendung »Nachtgespräche am Telefon« des Deutschlandradio Kultur, in der die Hörer vom Moderator aufgefordert wurden, ihre Meinung zur »russischen Provokation« zu äußern, verzweifelte der Mann am Mikrofon zuletzt. Man habe wohl »lauter Russenfreunde« am Telefon.
Erschienen in Ossietzky 19/2008 |
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