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Die US-amerikanische Choreographin und Tänzerin Meg Stuart, die in Europa lebt, hat sich mit dem portugiesischen Künstler Francisco Camacho für ihr Tanzstück »Blessed« zusammengetan. Der Bühnen-Regen läßt die Pappe in sich zusammensacken. Die Palme scheint sich zu verbeugen vor dem Tänzer (Camacho), der umarmt den Schwan, der bald den Kopf verliert. Auch die Hütte fällt ein, kein Schutz mehr. Verzweifelte Versuche, sich in den nassen Resten einzuwickeln. Der Tänzer, Robinson, kriecht wie ein Tier – für Menschen ist das Klima nicht geeignet. Er wird zur Kröte, zum Krebs, der blind rückwärts läuft. Der Schwan ist nur noch eine bräunliche Masse, kein Gefährte mehr. Kampf mit den Pappresten gegen das Wasser. Das karge Licht suggeriert ein Eingraben im Müll. Ein Obdachloser, der nur von einem dünnen Plastikmantel, durchsichtig wie Glas, umhüllt ist, zittert, als fieberte er. Er holt etwas, das wie ein zweiter Mund oder ein Gebiß aussieht, setzt es sich auf: ein immerwährendes Grinsen. Er beginnt einen wütend-verzweifelt-trotzigen Gesang gegen den Regen. Oder gegen das, was er als ein Schicksal ansehen muß. Dann eine Vision? Eine Diva (Kotomi Nishiwaki) im Glitzeranzug, mit steilen Stiefeln, buntem Kopfputz erscheint und tanzt, tanzt über ihn hinweg, sieht nur zum Publikum. Lächelt Dauer. Er sitzt da mit seinem Grinsekrampf. Es regnet – sie tanzt außen, wird nicht naß, verschwindet wie eine Geistererscheinung. Er steht auf, das Plastikcape umhüllt ihn wie eine Glorie, er hält seine Hände erhoben – erhofft er sich Hilfe vom Himmel? Die kommt in Form des Marketingexperten. Der sieht die Chance. Zwängt ihn in ein Sportjackett mit Emblemen, verwandelt ihn in einen Athleten. Ein Helm mit Coca-Cola-Büchsen rechts und links hat einen Schlauch zum Dauer-Konsum. Die Erfolgsmodelle werden erprobt bis zum Pelzmantel. Wie eine Puppe steht Robinson da, läßt alles mit sich geschehen, ohne eigenen Willen, erschöpft bis zum Umfallen. Konfetti wird gestreut, er muß Siegergesten üben. Die Musik zeigt es an: Er wird zur Comicfigur degradiert. Auch gegen die Totenmaske kann er sich nicht mehr wehren. Zum Schluß bewegt er sich so roboterhaft wie am Anfang, keine Palme, kein Schwan mehr – nur nasse Pappe. Er tanzt in Gummilatschen, hält inne, sieht ins Publikum, das erste Mal. * Katastrophenbilder anderer Art zeigt Kris Verdonck aus Brüssel in »End«, gespielt von sechs Schauspieler-Tänzern in sich wiederholenden Szenen, wie Strophen eines Gedichts. Ein rein visuelles Theater, das doch einen Erzähler hat. Der fährt in einer Glaskabine wie im Papamobil hinten über die Bühne, berichtet teilnahmslos über Kriege, Naturkatastrophen, Grausamkeiten – in der Sprache von Dichtern. Vieles geht verloren, weil der Zuschauer es sich erst aus dem Englischen übersetzen muß. Vor dem Hintergrund ziehender Wolkenberge tauchen Menschen auf, die sich alle von rechts nach links bewegen und in irgendeiner Form angeschlossen, fremdbestimmt sind wie Marionetten. Da ist der Mann, der ein schweres Seil zieht, man erfährt nie, was daran hängt. Ein anderer Mann scheint am Himmel zu schweben, aber nicht lustvoll, er kämpft wie ein Ertrinkender. Eine Schwangere in Weiß, mit unsichtbaren Drähten verbunden, quält sich in Verrenkungen, die weh tun. Eine Mutter, Ehefrau oder Geliebte schleppt einen schweren Leichensack über die Bühne, immer wieder, begreift nicht, will den weißen Sack umarmen. Ein Mann fällt wie ein Stein vom Himmel auf die hintere Bühne, schlägt laut klatschend auf. Es wiederholt sich, schmerzhaft. Der Herausgeworfene, der sich mit Zeitungspapier umwickelt, das er aus seinem Plastikbeutel holt, steht immer wieder auf und wagt einen Neuanfang. Apokalyptische Musik, Endzeitchöre dringen aus einem rollenden Lautsprecher. Eine Flamme läuft an einer Lunte über die Bühne, es stinkt nach Benzin. Ein riesiger Motor wie ein Mensch-Tierwesen bewegt sich von rechts nach links, macht furchtbaren Krach. Wer achtet da noch auf die Sprache von Alexander Kluge, Curzio Malaparte, W.G. Sebald, Lord Byron? Der Zuschauer leidet körperlich. Auch Texte aus dem Internet geben Stoff für den Erzähler. Ununterbrochen fällt ein schwarzer Schnee, Ascheflöckchen oder nuklearer Fallout auf die Bühne. Wenn es nur Vergangenheit wäre.
Erschienen in Ossietzky 18/2008 |
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