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Weltweit explodierende Preise für Lebensmittel und fossile Brennstoffe, allgegenwärtige Umweltkatastrophen als Folgen des von Industrie und Verkehr erzeugten Klimawandels, die Zusammenbrüche von Großunternehmen und Banken sowie Kriege ums Öl und massive Verarmung auch in Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland lassen immer mehr Menschen am Heilsversprechen des Kapitalismus zweifeln. Was wird aus dem Kapitalismus, wenn ihm Mehrheiten der Völker abspenstig werden oder sogar entgegentreten? Wie lange sind die machtvoll sprudelnden Gewinne noch sicher, wenn die Wähler nach kapitalkritischen Alternativen suchen? Was nützen die schönsten Renditen, wenn linke Politiker, beispielsweise in Lateinamerika, in die Regierungen kommen? Bill Gates, der milliardenschwere Boß des Microsoft-Konzerns, will dem real existierenden Kapitalismus ein menschliches Antlitz aufnähen. Bereits Ende Januar verkündete er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vor mächtigen Wirtschaftsführern und machthungrigen Politikern die Erfindung eines »kreativen Kapitalismus«, der den ärmsten Menschen der Welt im gesamten 21. Jahrhundert zur Hilfe kommen soll. Vor wenigen Wochen prangte dann Gates‘ verkniffen lächelndes Gesicht auf der Titelseite des größten amerikanischen Nachrichtenmagazins Time. In den über fünf Millionen Exemplaren der Zeitschrift erklärte er mit einem von ihm selbst – oder in seinem Namen? – verfaßten Aufsatz, wie sein kreativer Kapitalismus das Elend der Welt mindern und lindern soll. »Der Kapitalismus hat das Leben von Milliarden Menschen verbessert – das vergißt man leicht in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit«, beginnt Gates seine Predigt an alle Zweifler. »Doch Milliarden weitere Menschen sind außen vor geblieben«, findet der 58-fache Milliardär immerhin erwähnenswert. Daß er selbst über Milliarden verfügt und Milliarden Menschen mit gerade einem Dollar pro Tag überleben müssen, hängt zwar miteinander zusammen, interessiert Gates aber überhaupt nicht. Er will die Grundsätze des Kapitalismus ausdrücklich nicht in Frage stellen, sondern perfektionieren. Regierungen und gemeinnützige Einrichtungen, deren Aufgabe es ist, den Bitterarmen und Hungernden zu helfen, sind zu schwerfällig, zu langsam, findet Gates. Also müssen die Unternehmen ihre besonderen Fähigkeiten einsetzen, damit technische Innovationen die Leidenden schnell erreichen. Seine eigene Firma hat es beispielsweise mit der FlexGo-Technik geschafft, armen Menschen Computer zu verkaufen – mittels eines raffinierten Ratensystems. Diese Rechner kann man während der ersten 800 Einsatzstunden nur nutzen, solange man die vertraglich festgelegten Raten zahlt. Bleiben sie aus, erlischt die PC-Elektronik – bis zur nächsten Zahlung. Auch dem kreativen Kapitalismus geht es ums Geld seiner Kundschaft, denn schließlich ist davon genug da: Laut Gates verfügen die ärmsten zwei Drittel der Weltbevölkerung über eine Kaufkraft von 5000 Milliarden Dollar! Wer es versteht, sich auf die Bedürfnisse dieser Käufergruppe einzustellen, kann sich ganz neue Märkte erschließen. Gates‘ Techniker arbeiten zur Zeit an einem System von PC-Symbolen, das auch Analphabeten die Computernutzung ermöglicht. Ein anderes Projekt erlaubt es bis zu 50 Schülern, gleichzeitig an einem einzigen Computer zu arbeiten. Der Telekommunikationsriese Vodafone konnte seine Handys an zehn Millionen Kenianer verkaufen, weil er ihre Gespräche nicht im Minuten-, sondern im Sekundentakt abrechnete, was zu kleineren Rechnungsbeträgen führte. Das also ist die Zauberkraft des kreativen Kapitalismus! Der kapitalistische Hokuspokus löst sich allerdings schnell in Rauch auf, denn Bill Gates erklärt leider nicht, wie sich Hunger und Durst mit einem Internetanschluß lindern lassen. Oder welche Alltagsprobleme die Kenianer überhaupt mit einem Handy lösen können. Will Gates ihnen allen seine Privatnummer geben? Kreativ ist an dieser Spielart des Kapitalismus also die Weise, auf die er den Ärmsten der Welt seinen Ramsch andreht und ihnen ihr Geld centweise abknöpft. Doch der Microsoft-Boß fordert mehr als bloß das Geld seiner ärmsten Kunden. Als kreativer Kapitalist verlangt er Anerkennung – beispielsweise daß sein Gesicht auf dem Time-Titelblatt prangt und er sein Unternehmen im redaktionellen Teil der Zeitschrift über den grünen Klee loben darf. Gates fordert Rankings aller Unternehmen, damit man jederzeit ablesen und vergleichen kann, wie sie sich in den ärmsten Regionen der Welt engagieren. Der Durchschnittskunde soll diese Listen studieren und diejenigen Unternehmen, die sich – im Namen der Menschlichkeit! – nun auch an den Ärmsten bereichern, durch seine Kaufentscheidung unterstützen. Regierungen sollen diesen edlen Konzernen Vorteile einräumen, um sie für ihre Selbstlosigkeit zu belohnen. Gates beendet seinen Artikel mit dem Satz: »Ich hoffe, daß mehr Menschen dieses Anliegen unterstützen werden.« Wenn sie erst einmal begriffen haben, daß auch der kreative Kapitalismus seine soziale Verantwortung in der Profitmaximierung sieht, werden ihn Renditejäger und Manager auf der ganzen Welt mit einem Metzgerlächeln in ihre kleinen, kalten Herzen schließen.
Erschienen in Ossietzky 18/2008 |
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