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Im frisch renovierten Flachbau der Kreisverwaltung herrscht Hochbetrieb. »Kreisvorsteher Mariusz Chmiel ist zu Gesprächen in Warschau«, entschuldigt ihn eine Verwaltungsangestellte. »Bis zum Vertragsabschluß zwischen den USA und Polen am 20. August wurden wir nicht offiziell darüber in Kenntnis gesetzt, daß die Raketenabwehr-Basis in Redzikow gebaut werden soll«, klagt sein Stellvertreter, Diplomlandwirt Bernard Rybak. Auf Anfragen in Warschau habe der Kreis keine Antwort bekommen – außer von der US-Botschaft. »Die spielte unsere Bedenken herunter«, fügt Rybak bitter hinzu. Was da droht, ist seit zwei Jahren Ortsgespräch, und seitdem laufen Proteste. Im März holte die Polizei nach einer friedlichen Demonstration mehrere Friedensaktivisten aus einer Wohnung. Sie warf ihnen »Störung der Nachtruhe« vor. Auf dem Revier wurden sie nach anderen Gegnern des von den USA geplanten »Raketenschildes« ausgefragt. Jetzt sammelt eine Bürgerinitiative Unterschriften unter einen Offenen Brief an Premierminister Donald Tusk. Chmiel, 2006 bei einem Ranking des polnischen Fernsehens unter den zehn besten Kreisvorstehern in ganz Polen plaziert, hat etliche Investoren in den Kreis geholt. An den mehr als 100 Windkrafträdern, die sich im Kreisgebiet drehen, sind auch deutsche Firmen beteiligt. In seinen Bebauungsplänen will der Kreis den stillgelegten alten Militärflughafen bei Redzikow in einen zivilen umgestalten – ein großer Vorteil im Wettbewerb um weitere Investoren, darunter einen großen indischen Konzern. Doch daraus kann nichts werden, wenn die Raketen kommen. Dann soll um das Flughafengelände auch noch eine vier Kilometer breite Sicherheitszone entstehen. Tadeusz Krajny, in Redzikow zu Hause, fürchtet Umsiedlungen. Und klagt über die Medien. Die Medien haben – weniger in Slupsk als im übrigen Polen – einen plötzlichen Stimmungswechsel bewirkt. Kaum hatte Rußland begonnen, die Aggression der georgischen Armee gegen Südossetien zurückzuschlagen, rief der staatliche polnische Rundfunk unverhohlen zu antirussischen Demonstrationen auf und richtete ein Sonderprogramm für die Solidarität mit Georgien ein. Das Fernsehen veranstaltete gemeinsam mit dem Museum des Warschauer Aufstands ein Konzert unter dem Motto »Solidarisch mit Georgien« unter der Schirmherrschaft von Staatspräsident Lech Kaczynski. Die Medien vermittelten wenig Information über den Georgien-Konflikt, dafür aber um so mehr Angst vor der angeblichen russischen Bedrohung. Die Einigung über die Stationierung der zehn Abwehrraketen sei nicht gegen Rußland gerichtet und stehe in keinerlei Zusammenhang mit der Georgien-Krise, beeilte sich das offizielle Polen zu versichern. US-Außenministerin Condoleezza Rice sagte in einer Fernsehsendung eher das Gegenteil. Kaczynski kündigte an, er wolle dafür sorgen, daß die Vereinbarung bis Ende Januar 2009 ratifiziert wird, also noch in der Amtszeit des US-Präsidenten George W. Bush. Die Vereinbarung sieht nicht nur vor, daß die USA auf polnischem Territorium zehn SM-2 stationieren dürfen, sondern auch daß Polen von den USA eine Staffel »Patriot«-Raketen mit insgesamt 96 Lenkflugkörpern erhält. Gegen wen sollen diese Waffen gerichtet werden, wenn nicht gegen Rußland?. Neues Wettrüsten ist programmiert. Der Befehlshaber der baltischen Flotte Rußlands, Vize-Admiral Viktor Mardusin, sprach in der Iswestija schon davon, daß Rußland durch die Abrüstungsabkommen mit den USA nicht gehindert sei, mobile Abschußrampen zu installieren und auch Schiffe in der Ostsee zu bestücken. Taktische Atomwaffen könnten kurzfristig installiert werden. Zur Erinnerung: 2001 kündigte Bush den 1972 mit der Sowjetunion geschlossenen Vertrag über die Begrenzung von Anti-Raketen-Systemen (ABM), weil er den Raketenabwehrschild errichten wollte, für den sich Polen jetzt hergibt. Washington weigert sich auch, Verhandlungen über die Begrenzung des Wettrüstens im Weltraum aufzunehmen. Mit Georgien hat das alles nichts zu tun – außer daß die US-Regierung auch dieses Land zur Einkreisung Rußlands braucht. Der Slupsker Kreisvorsteher Chmiel will nun alles tun, was in seinen administrativen Kräften steht, um die militärischen Pläne, die seinen zivilen zuwiderlaufen, zu behindern. Beispielsweise durch strenge Anwendung von Umweltschutz-Vorschriften.
Erschienen in Ossietzky 18/2008 |
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