Zur normalen Fassung

Busenfreund der Militärs

Die PKK agiert ohne politische Vision, aber im Interesse der Generäle

von Siamend Hajo und Eva Savelsberg

Am Abend des 3. August explodierten im Istanbuler Stadtteil Güngören, einer Hochburg der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP mit hohem kurdischen Bevölkerungsanteil, zwei Bomben. 17 Menschen starben, 156 weitere wurden teils schwer verletzt. Die türkische Zeitung Hürriyet hatte die Schuldigen schnell ausgemacht: "PKK-Massaker an Zivilisten", titelte das Blatt, ohne diesen Verdacht näher zu belegen. Die PKK selbst wies jede Verantwortung zurück. Tatsächlich hat die kurdische Arbeiterpartei in den letzten Jahren im Westen der Türkei keine Anschläge verübt, bei denen derart viele Zivilisten ums Leben gekommen wären.

Gleichzeitig bekannte sich die PKK zur Entführung von drei deutschen Bergsteigern am Ararat - eine Aktion, die allerdings nicht der Zentrale zuzurechnen war, sondern lokalen Aktivisten. Sie behauptete überdies, für den Brand der Öl-Pipline Baku-Tiflis-Ceyhan am 5. August verantwortlich zu sein. Letzteres ist fraglich, denn bislang ist nicht einmal klar, ob es sich überhaupt um einen Sabotageakt handelt. Die Lage ist mithin unübersichtlich - und wirft die Frage auf, wo und für was die PKK heute steht. Mit welchen Mitteln kämpft sie wofür?

Vom Staatsfeind Nr. 1 ...

Angetreten ist die 1978 gegründete Partei als marxistisch orientierte Befreiungsbewegung. 1984 nahm sie den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat auf. Sie forderte in Reaktion auf die Unterdrückungspolitik gegenüber der kurdischen Bevölkerung einen eigenständigen kurdischen Staat. Anfang der 1990er Jahre wurde dieses Ziel zugunsten einer autonomistischen oder föderalistischen Lösung aufgegeben. Etwa zur selben Zeit begann der Vorsitzende Abdullah Öcalan, seit Ende der 1980er Jahre Alleinherrscher innerhalb der PKK, die Parteilinie seinen persönlichen Bedürfnissen unterzuordnen. So gingen etwa dem einseitigen Waffenstillstand von 1998 massive Forderungen der Türkei nach einer Auslieferung des damals noch in Syrien befindlichen PKK-Führers voraus. Ganz offensichtlich wurde diese Strategie nach seiner Festnahme 1999: Damals forderte Öcalan, den bewaffneten Kampf bedingungslos einzustellen - obgleich die kemalistische Regierung unter Bülent Ecevit die Festnahme in keiner Weise nutzte, Verhandlungsangebote an die PKK zu richten. Auch die beispiellose Solidarität, die Öcalan und der PKK angesichts des entfesselten türkischen Nationalismus zuteil wurden, sprach eher dafür, den Kampf auszuweiten.

Eine solche Entwicklung lag jedoch offensichtlich weder im Interesse der damaligen Regierung noch im Interesse der türkischen Generäle, denen es in mehr als zehn Jahren nicht gelungen war, die PKK militärisch zu schlagen. Um die PKK endgültig zu besiegen, reichte es nicht, ihren Führer festzunehmen. Dieser musste vielmehr mit Regierung und Militär kooperieren, um die PKK unschädlich zu machen. Dass Öcalan sich zu diesem Zweck instrumentalisieren ließ, dürfte vor allem damit zu erklären sein, dass er die Aussetzung der Todesstrafe und bessere Haftbedingungen zu erreichen hoffte. Sein Kalkül ist aufgegangen: Während hunderte PKK-Gefangene in türkischen Gefängnissen zu Tode gefoltert wurden, lebt der "Staatsfeind Nr. 1" der Türkei seit Jahren unter vergleichsweise privilegierten Haftbedingungen.

Die Mitglieder des direkt nach Öcalans Verhaftung eingesetzten Präsidialrats der PKK dürften sich nach anfänglichem Zögern auf diesen "Friedenskurs" eingelassen haben, weil sie fürchteten, den Einfluss über die Partei zu verlieren, sollten sie sich von Öcalan abwenden oder ihn gar als "Verräter" stigmatisieren. Die PKK des Jahres 1999 war vollständig auf Öcalan ausgerichtet. Es gab keine Führungsfiguren neben ihm, nicht zuletzt, weil er sämtliche Kritiker und Konkurrenten systematisch hatte ermorden lassen. Das Ausmaß dieser Morde thematisierte der PKK-Vorsitzende erst selbst kürzlich: Laut der pro-kurdischen Zeitung Özgür Gündem vom 25. Juli 2008 erklärte er gegenüber seinen Anwälten, insgesamt 15.000 PKKler seien aus den eigenen Reihen ermordet worden. Die Verantwortung hierfür schob er den früheren Genossen Selim Cürükkaya und Salahattin Celik zu, die inzwischen zu seinen schärfsten Gegnern gehören. Tatsächlich verfügte aber keiner von beiden je über den für die Auftragsmorde notwendigen Einfluss.

... zum Spielball

Bis heute macht die PKK-Führung jede noch so skurrile Wendung ihres inhaftierten Vorsitzenden mit - und dieser ist nach wie vor den Interessen des türkischen Militärs verpflichtet. Dies zeigt nicht zuletzt die erneute Wende der PKK im Juni 2004. Damals wurde der 1999 erklärte Waffenstillstand aufgehoben, zu einem Zeitpunkt, als zum ersten Mal überhaupt nennenswerte Fortschritte hinsichtlich der Demokratisierung der Türkei zu beobachten waren. So waren bis Dezember 2002 der Ausnahmezustand, der seit 1984 über elf überwiegend kurdisch besiedelte Provinzen verhängt worden war, und damit weitreichende Sonderbefugnisse des Militärs sukzessive aufgehoben worden. Zudem kam es auch hinsichtlich der Gewährung kultureller Rechte gegenüber den Kurden zu ersten Fortschritten. 2001 wurden zunächst die Artikel 26 und 28 der türkischen Verfassung derart geändert, dass das Verbot der Verwendung "gesetzlich verbotener Sprachen" aufgehoben wurde. Im Rahmen des dritten Reformpakets, verabschiedet im August 2002, wurde die Möglichkeit geschaffen, "verschiedene Sprachen und Dialekte zu lernen, die im täglichen Leben der türkischen Staatsangehörigen gesprochen werden" - eine mehr als komplizierte Formulierung für die kurdische Sprache - sowie private Kurse zu diesem Zweck anzubieten. Trotz restriktiver Umsetzungsbestimmungen waren bald die ersten positiven Ergebnisse der Reform festzustellen. Im April 2004 begannen Privatschulen in Van, Batman und Sanliurfa, im August 2004 in Diyarbakir und Adana und im Oktober 2004 auch in Istanbul Kurdisch zu unterrichten.

Lag eine Waffenruhe 1999 im Interesse des Militärs, änderte sich dies ab 2002 mit der Verbesserung der Sicherheitslage und dem damit einher gehenden eigenen Machtverlust. Spätestens als die AKP nach ihrem Regierungsantritt im November 2002 konsequenter als die Regierungen vor ihr daran ging, die Forderungen der EU hinsichtlich der Entmachtung des Militärs und der Gewährung von Minderheitenrechten umzusetzen, wurde ein Strategiewechsel unumgänglich. Die Lösung des Problems war ebenso simpel wie effektiv: Solange es einen bewaffneten Konflikt in den kurdischen Gebieten der Türkei und terroristische Anschläge kurdischer Gruppierungen im Westen des Landes gibt, können die Generäle darauf pochen, dass ohne ein starkes Militär mit weitreichenden Kompetenzen Sicherheit und staatliche Integrität nicht gewährleistet sind. Öcalan und die PKK nahmen die ihnen zugedachte Rolle als Trouble Maker und Druckmittel gegen die AKP bereitwillig an.

Analysiert man die "Reden" Öcalans, die regelmäßig über seine Anwälte an die Öffentlichkeit gelangen und die in den Medien der PKK veröffentlicht werden, stellt man fest, dass sie neben verschwörungstheoretischer Wirrnis und Selbstüberschätzung vor allem Propaganda gegen sämtliche "Feinde" der Militärs respektive der Kemalisten enthalten: Gegen die AKP, die irakischen Kurden sowie die Verfechter von Autonomieforderungen innerhalb der Türkei. So heißt es in einem am 16. März 2004 in der PKK-Zeitung Özgür Politika veröffentlichten Anwaltsgespräch: "[D]ie kurdischen Aghas haben einen Staat gegründet, indem sie mich benutzt haben. [...] Die Türkei lässt Barsani und Talabani einen Staat gründen. Die USA bringen sie dazu. Die USA sagen zur Türkei: ›Wir haben euch Apo gegeben, jetzt werdet ihr Barsani und Talabani unterstützen.‹ [...] Morgen werden sie der Türkei einen kurdischen Bundesstaat aufdrängen. Dieser wird nicht demokratisch sein. [...] Sie gründen den kurdischen Bundesstaat innerhalb der AKP." Zugleich preist Öcalan kontinuierlich die Leistungen Kemal Atatürks, des "großen Kämpfer[s] und Freiheitsliebenden" (Dengê Mezopotamiya 24.09.2004). Einem Redakteur der kurdische Zeitung Özgür Gündem zufolge, der ungenannt bleiben möchte, "werden die schlimmsten Stellen, die größten Loblieder auf Atatürk und den türkischen Staat, aus den Manuskripten herausgestrichen. Das kann man einfach nicht veröffentlichen."

Obgleich die PKK bis heute die stärkste türkisch-kurdische Partei ist, hat sie seit 1999 in der Türkei wie in Europa maßgeblich an Einfluss verloren. Ihre Politik ist nicht mehr vermittelbar als eine, die der kurdischen Bevölkerung nutzt. Dementsprechend mager sind die Wahlergebnisse der PKK-nahen DTP. Nur knapp ein Siebtel der Kurden stimmte 2007 für ihre Kandidaten. In Deutschland ist die Zahl PKK-naher Vereine in den letzten zehn Jahren erheblich zurückgegangen, ebenso die von ihr organisierten Massendemonstrationen und -veranstaltungen. Viele kurdische Intellektuelle, die heute noch für die PKK und insbesondere ihre Medien arbeiten, tun dies weniger aus Überzeugung denn aus Mangel an Alternativen und Opportunismus. Keine andere türkisch-kurdische Partei verfügt über die finanziellen Ressourcen der PKK, keine andere hat es geschafft, in der Türkei an Boden zu gewinnen.

Tragödie in den Bergen

Die kurdischen "Massen" haben sich derweil der AKP zugewandt. Diese freilich ist im vergangenen Jahr mehr und mehr unter Druck geraten, zuletzt durch das gegen sie angestrengte Verbotsverfahren, das nur knapp scheiterte. Die AKP ist zu geschwächt, um ihren Reformkurs gegenüber den Kurden fortzusetzen. Der Einmarsch türkischer Truppen im Nordirak im vergangenen Winter und die kontinuierlichen Bombardierungen angeblicher PKK-Stellungen im türkisch-irakischen Grenzgebiet sind ein klarer Sieg all derjenigen Kräfte im türkischen Staat, die eine Lösung des kurdisch-türkischen Konflikts ablehnen.

Während Unzufriedenheit mit der PKK-nahen DTP durchaus formuliert wird - auch in der Türkei und gerade unter Sympathisanten -, steht die Person Öcalan nach wie vor jenseits offener Kritik. Vielleicht aus Furcht, vielleicht aber auch, weil es gerade für diejenigen, die Angehörige und Freunde in den Bergen verloren haben, ein allzu schmerzhaftes Eingeständnis ist, dass diese für einen "Führer" gestorben sind, der, selbst inhaftiert, ausschließlich an den eigenen Vorteil denkt. Es ist eine Tragödie, dass sich bis heute junge Menschen aus der Türkei wie aus Europa der PKK-Guerilla anschließen. Sie werden zum Kanonenfutter für eine Partei ohne politische Vision, deren Ziele sich im Protest gegen die Kahlscherung ihres Vorsitzenden erschöpfen.

Siamend Hajo und Eva Savelsberg sind Mitarbeiter(innen) des Europäischen Zentrums für kurdische Studien in Berlin.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt (iz3w), Nr. 308.

Zur normalen Fassung


https://sopos.org/aufsaetze/491b90928a24e/1.phtml

sopos 11/2008