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IPorn, YouPorn, WePorn
Martin Petersen
Das Bedürfnis vieler Menschen, ihre Mitmenschen beim Geschlechtsakt zu beobachten, ist ein seit Jahrtausenden wachsender Wirtschaftsfaktor. Jede technische Neuerung – vom Buchdruck und der Fotografie über Film, Videokassette und DVD – hat den Markt für pornographische Erzeugnisse weiter anschwellen lassen und spült mittlerweile Milliarden Euro, Dollar, Rubel und Yen in die Kassen der Porno-Produzenten. Der leichte Breitband-Internetzugang über Telefonnetze, Glasfaserkabel und terrestrischen Funk hat diese Entwicklung noch einmal beschleunigt. Jeder und jede kann jetzt mit dem Privatcomputer Sexfilme ruckelfrei im heimischen Wohnzimmer abspielen. Experten der Pornobranche rechnen damit, daß sich dadurch ihre Porno-Profite auf mittlere Sicht verfünffachen werden.
Es kostet wenig Geld, einen Pornofilm zu drehen, um so mehr läßt sich daran verdienen. Der erfolgreichste Film des Genres heißt »Deep Throat«; er wurde 1972 für knapp 23.000 Dollar gedreht und spielte seither rund 600 Millionen Dollar ein. Kein Wunder, daß der asthmakranke Hollywood-Regisseur George Lucas Mitte der Siebzigerjahre davon träumte, im geheizten Wohnzimmer Nacktfilme runterzukurbeln, statt seine ebenso kruden wie kostspieligen »Star Wars«-Weltraummärchen in kalten Großraumstudios zu verfilmen. Mittlerweile sind es nicht mehr schmierige Gestalten aus den Rotlichtbezirken, die das Sexfilm-Business leiten, sondern gebildete und gewiefte Manager, die durch raffiniertes Marketing und multimediale Strategien ihre Profite maximieren und die Sexualität des spätkapitalistischen Zeitalters prägen.
Und die geht so: Sex ist ein Leistungssport für junge Menschen, die dem modischen Schönheitsideal entsprechen müssen. Ein Stellungswechsel hat etwa alle zwei Minuten zu erfolgen. Frauen stöhnen automatisch auf, wenn es zur Penetration kommt, und stöhnen weiter, bis der Mann den Höhepunkt erreicht. Der durchschnittliche Akt dauert zwanzig Minuten. Jede Frau ist dem Mann oral zu Diensten und läßt sich sein Ejakulat ins Gesicht spritzen. Jede Frau ist grundsätzlich zum »Gang Bang« bereit – zum ungeschützten Gruppensex mit mindestens drei Männern. Die nackten Körper berühren sich nur im Hüftbereich. Werden Gesichter berührt, dann nicht mit einem Kuß, wie überhaupt ein Austausch von Zärtlichkeiten nicht vorgesehen ist.
Läßt sich auch Gutes über die Pornographie sagen? Wo immer sie frei zugänglich wurde, sank die Zahl der Vergewaltigungen. Da ihr wichtigstes Stilmittel die Grenzüberschreitung ist, macht die Pornographie Tabus der jeweiligen gesellschaftlichen Ordnung kenntlich und zeigt den Menschen im Spannungsverhältnis zwischen sexueller Lust und sozialen Konventionen. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war es eine ihrer wesentlichen Funktionen, den restriktiven Obrigkeitsstaat herauszufordern und vorzuführen. Bemerkenswert ist auch dies: Die heutige Pornofilmbranche ist nach glaubwürdiger Darstellung des BBC-Dokumentarfilmers Louis Theroux wohl die einzige überhaupt, in der die weiblichen Stars durchgehend mehr Geld verdienen als die männlichen.
Die neueste Entwicklung der Branche ist eng mit dem Begriff des Web 2.0 verbunden, das allen Menschen die Möglichkeit gibt, sich selbst im Internet auszustellen. Auf Plattformen wie YouPorn oder RedTube kann jeder seine selbstgedrehten Pornovideos hochladen und beliebig oft abspielen lassen. Die Betreiber zahlen für die Filme nichts. Sie programmieren lediglich die Plattformen und streichen die Einnahmen für die Werbeanzeigen ein, die sie neben den Filmclips installieren. Die Betreiber von YouPorn behalten sich in ihren Nutzungsbedingungen vor, von allen Besuchern Eintrittsgelder zu erheben.
»Sexualität / von früh bis spät. / Wir werden alle sexy, / wenn das so weitergeht«, dichtete vor elf Jahren, als kaum jemand das Wort Internet kannte, der Berliner Liedermacher Funny van Dannen. Und so scheint es jetzt zu kommen: Die Porno-Amateure der neuen Internetseiten machen den professionellen Darstellern die Preise kaputt und beteiligen sich an der kommerziellen Ausbeutung sexuell Frustrierter – nicht selten auf kriminelle Weise. So finden sich dort viele Filme, die offenbar ohne Zustimmung aller beteiligten Personen in Büros, Aufzügen, Umkleidekabinen, öffentlichen Toiletten oder privaten Schlafzimmern aufgenommen wurden.
YouPorn wird seit zwei Jahren von einer anonymen Firma mit Sitz in den USA oder Deutschland betrieben. Gegenwärtig steht die Plattform auf der Liste der in Deutschland am häufigsten besuchten Websites auf Rang 15 – die Zahl ihrer Nutzer liegt bei 15 Millionen. Wer sie betreten will, braucht in Deutschland lediglich per Knopfdruck anzugeben, volljährig zu sein. Eine Registrierung der Besucher erfolgt nicht.
Millionen Kinder und Jugendliche kommen auf diese Weise leichter an Pornofilme als an eine warme Mahlzeit. Die als Bildungs- und Demokratisierungsmittel gepriesene Internet-Technik hat die Pornographisierung der Jugendkultur überhaupt erst ermöglicht. Zwölf Prozent aller Internetseiten sind pornographisch; und die bisher schon mehr als 370 Millionen Pornoseiten werden täglich mehr; nähere Angaben sind der informativen US-Zeitschrift Good Magazine zu entnehmen. Vor gerade vierzig Jahren klärten Autoren wie Günter Amendt ihre Leserschaft darüber auf, daß die freie Entfaltung der Sexualität emanzipatorischen Charakter hat. Das ist nach wie vor wahr, wird aber nicht praktiziert. Stattdessen bewirkt das Internet eine scheinbare Demokratisierung der Pornographie, die ihren Darstellern und Betrachtern falsche Rollenbilder aufzwingt und die – sexuelle und finanzielle – Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ins digitale Zeitalter verlängert.
Erschienen in Ossietzky 17/2008
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