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Präventivkrieg gegen Grundrechte
Ulla Jelpke
Seit bald vier Jahren arbeitet in Berlin-Treptow auf dem großen Gelände des Bundeskriminalamts (BKA) das Gemeinsame Terror-Abwehr-Zentrum (GTAZ) des Bundes und der Länder. Unter Mitwirkung aller Verfassungsschutzämter ist dort institutionalisiert, was die Verfassung eindeutig verbietet: die enge Zusammenarbeit von Polizeibehörden und Geheimdiensten.
Der von der NATO ausgerufene »Krieg gegen den Terror« ist grenzenlos. Er hebt die Trennung zwischen Innen- und Außenpolitik auf, desgleichen die Trennung zwischen staatlicher und privater »Sicherheitspolitik«. Und auf der Strecke bleibt auch eine der grundlegenden Lehren, die aus der Nazi-Vergangenheit gezogen wurden: die Trennung von Polizei und Geheimdiensten.
Dieses Gebot hat Verfassungsrang, was die Bundesregierung nicht bestreitet. Polizei und Geheimdienste haben unterschiedliche Befugnisse und Kompetenzen und sind organisatorisch voneinander getrennt zu halten. Die Polizei muß, ehe sie tätig wird, einen konkreten Verdacht haben. Für Eingriffe in die Grundrechte ist sie rechenschaftspflichtig. Durchsuchungen, Abhöraktionen, Untersuchungshaft setzen prinzipiell einen richterlichen Beschluß voraus und sind juristisch nachprüfbar. Zudem arbeitet die Polizei gewöhnlich mit offenem Visier – jedenfalls in der Theorie. Im Gegensatz dazu agieren die Geheimdienste im Verborgenen. Sie benötigen, um Einzelne oder Gruppen observieren zu dürfen, weit weniger tatsächliche Verdachtsmerkmale; und von Nachprüfbarkeit ihres Handelns kann nicht die Rede sein. Andererseits ist ihnen vieles nicht erlaubt, was die Polizei darf: Sie dürfen niemanden festnehmen, Strafverfolgung ist nicht ihre Sache. Selbstverständlich dürfen sie aber, wenn sie von unmittelbar bevorstehenden Anschlägen Kenntnis erhalten, die Polizei benachrichtigen – schon nach den alten Gesetzen.
Entgegen diesem Trennungsgebot läuft seit Jahren ein Prozeß der Zusammenführung von Polizeibehörden und Geheimdiensten. Der wichtigste Schritt war im Herbst 2004 die Gründung des GTAZ, für das sich die Öffentlichkeit bislang erstaunlich wenig interessiert. Nach dem Motto »Alle unter einem Dach« arbeiten dort 40 »Sicherheits«-Behörden des Bundes und der Länder: das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter, das Zollkriminalamt, die aus dem Bundesgrenzschutz hervorgegangene Bundespolizei, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der Generalbundesanwalt sowie auf Seite der Geheimdiente der Bundesnachrichtendienst, der Militärische Abschirmdienst, das Bundesamt und sämtliche Landesämter für Verfassungsschutz. Diese Behörden versammeln sich nicht anlaßbezogen, sondern sind ständig im GTAZ vertreten und pflegen dort rund um die Uhr einen regen Informationsaustausch. Als Ziel des GTAZ nennt die Bundesregierung immer wieder »Bündelung von Information« und »Abkürzung von Meldewegen«.
Wie muß man sich die Arbeit des GTAZ vorstellen? Bei einem Besuch von Innenpolitikern der Fraktion Die Linke erklärte BKA-Präsident Jörg Ziercke, jeden Morgen um 10 Uhr träfen sich Vertreter aller 40 Behörden zur »Lagebesprechung«, um sich über aktuelle Entwicklungen weltweit, aber beispielsweise auch über anstehende Abschiebungen sogenannter »Gefährder« auszutauschen. Weil, wie uns nicht ganz ohne Grinsen erzählt wurde, nicht alle Behörden alle Informationen erhalten dürfen oder können, habe man unterschiedlich zusammengesetzte Arbeitsgruppen für einzelne Themengebiete gebildet.
Dazu zählt die AG »Gefährdungsbewertungen«, in der das BKA, das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst den »Austausch aktueller Lageerkenntnisse« vornehmen und Gefährdungsanalysen fortschreiben. In der AG »Strukturanalysen« nehmen die gleichen Behörden (also BKA, BfV, BND) »Strukturen und Funktionsweisen terroristischer Netzwerke« unter die Lupe. Hier wird auch erforscht und ausgetauscht, welche in Deutschland lebenden Personen Ausbildungen in sogenannten »Terrorcamps« absolviert haben sollen. Ergänzend hat die AG »Islamistisch-terroristisches Personenpotential« die Aufgabe, polizeiliche und geheimdienstliche Bewertungen »abzugleichen«. Dazu gehören Angaben über »Gefährder«, Werber, Spendensammler und sonstige mutmaßliche Unterstützer. In der AG »Statusrechtliche Begleitmaßnahmen« wird unter Geschäftsführung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erörtert, ob in konkreten Einzelfällen »ausländer- oder asylrechtliche Maßnahmen angezeigt sind«, sprich Abschiebungen oder Einreiseverweigerungen. Das BAMF tauscht dabei mit den Polizeibehörden und Geheimdiensten auch Informationen aus Anhörungen von Asylbewerbern aus. Die AG »Operativer Informationsaustausch« schließlich dient dem Austausch von Erkenntnissen »zur Abstimmung operativer Maßnahmen«.
Festzuhalten ist, daß Mitarbeiter von Geheimdiensten und Polizeibehörden permanent gemeinsam tagen und sich gegenseitig informieren. Nach Darstellung der Bundesregierung wird das Trennungsgebot davon nicht berührt, weil doch die einzelnen Institutionen auf jeweils eigener Rechtsgrundlage erhalten blieben. Das Trennungsgebot sehe zwar »eine funktionale, organisatorische und kompetenzielle Trennung zwischen der Polizei und den Diensten« vor, schließe aber »nicht aus, daß Polizei und Dienste zusammenarbeiten und Informationen austauschen«. Das ist eine Verballhornung des Trennungsgebotes.
Bei Hinweisen auf unmittelbar bevorstehende Terroranschläge war Informationsaustausch selbstverständlich schon bisher gestattet. Dagegen ist der institutionalisierte Austausch jeden Morgen in der »Frührunde« in Berlin-Treptow sicher nicht im Sinne des Trennungsgebotes. Denn hier kann die Polizei Informationen erhalten, die sie aus eigenem Recht nicht hätte gewinnen dürfen, weil sie geheimdienstlich erhoben worden sind – und umgekehrt: Die Geheimdienste können Informationen zum Beispiel aus Wohnungsdurchsuchungen erhalten, die sie selbst nicht hätten vornehmen dürfen.
Man kann sich leicht vorstellen, wie dabei die jeweiligen Rechtsgrundlagen verletzt werden. Mehrfach erklärten uns die BKA-Vertreter bei unserem Besuch, daß gerade die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht besonders hilfreich sei und hohen Effizienzgewinn gegenüber dem reinen Datenaustausch biete. Das glaube ich gern, vor allem, weil beim mündlichen Austausch von Informationen keine überprüfbaren Datenspuren zurückbleiben. Und das gilt für die gesamte Struktur des GTAZ: Es ist keine Behörde, sondern lediglich eine Art Informationsbörse und Kommunikationsplattform. Aus der Sicht der Beteiligten hat das den großen Vorteil, daß es keinen präzise definierten Ansprechpartner gibt, der rechenschaftspflichtig wäre. Öffentliche Kontrolle wird unmöglich.
Knapp zweieinhalb Jahre nach Gründung des GTAZ wurde 2007 die Anti-Terror-Datei in Betrieb genommen. Hier werden »terrorismusrelevante« Informationen aus den am GTAZ beteiligten Behörden zusammengeführt. Anders, als der Name suggeriert, sind nicht nur terroristische Straftäter erfaßt, sondern ausdrücklich auch »Kontaktpersonen«, die noch nicht einmal etwas davon wissen müssen, daß sie Kontakt zu einem »Gefährder« haben. Keiner dieser Begriffe ist präzise definiert. Gespeichert wird, wenn »nach nachrichtendienstlichen oder polizeilichen Erfahrungswerten die Einschätzung« gerechtfertigt sei, »daß die Erkenntnisse zu den betreffenden Personen zur Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus beitragen«, so die Bundesregierung kürzlich in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Grünen. Welche Willkür dabei herrscht, wird beispielsweise am Begriff des »Gefährders« deutlich, auf den die Antiterrorgesetze immer wieder Bezug nehmen. Ein »Gefährder«, so das Bundesinnenministerium, sei eine Person, »bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung … begehen wird«. Das ist Präventivkrieg gegen die Grundrechte. Denn niemand weiß, ob ihm die Behörden womöglich zutrauen, womöglich irgendwann einen Anschlag zu begehen – oder ob er als »Kontaktperson« angesehen wird.
Auch hier gilt das Prinzip: Möglichst keine öffentliche Kontrolle. Die Bundesregierung gibt an, sie führe kaum Statistiken über die Zusammensetzung der Antiterrordatei. Immerhin teilte sie mit: Zum Stichtag 28. Mai 2008 gab es 17.745 gespeicherte Personendatensätze. Daß mit ausufernder Überwachung Anschläge verhindert werden, ist bisher nie plausibel gemacht worden. Auf der Hand liegt jedoch, daß Recht und Freiheit massiv geschädigt werden – von jenen, die sie angeblich schützen sollen.
Ossietzky-Mitherausgeberin Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke
Erschienen in Ossietzky 17/2008
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