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Kriegsverbrechertreffen
Ulrich Sander
Der Kameradenkreis Gebirgstruppe e.V. hat unserem Autor Ulrich Sander vom Landgericht Nürnberg-Fürth unter Androhung von 250.000 Euro Geldstrafe oder sechs Monaten Haft verbieten lassen, das alljährlich vom Kameradenkreis auf dem Hohen Brendten bei Mittenwald veranstaltete Gebirgsjägertreffen als größtes Kriegsverbrechertreffen zu bezeichnen und den Verein mit der NS-Gebirgstruppe in Verbindung zu bringen. Sander, einer der Bundessprecher der Vereinigungen der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, hat seit Jahren die Massaker der Gebirgsjägertruppe in Italien und Griechenland erforscht und darüber publiziert. Die deutsche Justiz dagegen hat es bis heute vermieden, diese Verbrechen aufzuklären. Ein im Juni in Rom ergangenes höchstrichterliches Urteil zugunsten der Opfer hätte Staatsanwaltschaften, Gerichte, Politiker und Medien in Deutschland endlich aufrütteln müssen. Stattdessen wird dem Aufklärer und Mahner der Mund verboten. Die Ossietzky-Redaktion hat Ulrich Sander gebeten, den Skandal zu schildern.
Redaktion des Ossietzky
Dem Kameradenkreis Gebirgstruppe e.V. gehören Veteranen der Wehrmachts- und der Bundeswehr-Gebirgsjäger an; Präsident ist der Bundeswehr-Oberst a. D. Manfred Benkel. Gemeinsam »pflegen« sie ihre Tradition: Sie stellen die Vergangenheit der Truppe so dar, als wären die Gebirgsjäger im 2. Weltkrieg die Elite deutschen Soldatentums gewesen und hätten nicht nur tapfer, sondern auch ritterlich unter strenger Beachtung des Kriegsvölkerrechts gekämpft. Selbstverständlich wissen sie, wie weit sie sich damit von der Wahrheit entfernen.
Eine der Haupttätigkeiten des Kameradenkreises bestand lange Zeit darin, die gegenseitige Reinwaschung zu organisieren – zum Beispiel bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen oder in Gerichtsverfahren. Zwar hatte der erste Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, die Hitler-Generäle und -Obristen, die er mit der Aufstellung der Bundeswehr beauftragte, faktisch amnestiert. Dennoch kam es damals und bis in die siebziger Jahre zu rund eintausend Ermittlungsverfahren gegen Bundeswehrangehörige, die schwerster Kriegsverbrechen verdächtig waren. Aber kein einziger dieser Soldaten wurde verurteilt. Ein Kamerad entlastete den anderen, und das genügte der Justiz, um die den Einzelnen angelasteten Taten für unbewiesen zu erklären – ganz anders als in Prozessen gegen Mitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF), zu deren Verurteilung es genügte, daß sie dieser Tätergruppe angehörten. Bis 1975 wurden die meisten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen eingestellt; häufig hatten die Ermittler den Mord zum Totschlag heruntergestuft, der inzwischen verjährt war. Immerhin trafen einzelne Staatsanwaltschaften in den Einstellungsbescheiden Feststellungen wie: In Kommeno sei es 1943 »zu einem fürchterlichen Gemetzel« gekommen (Staatsanwaltschaft München), und bei dem Massenmord an entwaffneten italienischen Kriegsgefangenen 1943 auf Kephallonia handele es sich um eines der größten deutschen Kriegsverbrechen überhaupt (Staatsanwaltschaft Dortmund).
Einer der Helfer bei der Strafvereitelung war Max Joseph Pemsel, General der Gebirgstruppe der Wehrmacht wie der Bundeswehr, der als Entlastungszeuge für alte Kameraden zur Verfügung stand, aber bitteschön nicht in öffentlicher Verhandlung. Er selber hatte 1941 an dem Befehl mitgewirkt, als Sühne für zehn tote und 24 verwundete deutsche Soldaten 1.600 Serben, möglichst »Juden und Zigeuner«, zu erschießen. Aus einem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft Konstanz 1963: »Der Zeuge (Pemsel) bat darum, daß im Hinblick auf seine bis vor wenigen Jahren in der Bundeswehr bekleidete Stellung als Kommandierender General nach Möglichkeit von einer Vorladung als Zeuge in öffentlichen Verhandlungen abgesehen werde.«
Nach alledem konstatierte der Kameradenkreis Gebirgstruppe, daß niemand schuldig sei, solange er nicht rechtskräftig verurteilt ist, und so blieben sie alle Ehrenmänner. Der Kameradenkreis selber hat nicht einen einzigen ausgeschlossen – auch nicht nachdem in den beiden letzten Jahren in Italien 25 Mörder aus der Gebirgstruppe zu lebenslanger Haft verurteilt worden sind.
Die Bundesrepublik Deutschland weigert sich, die Opfer der Massaker zu entschädigen, so wie sie sich faktisch weigert, die Täter zu bestrafen. Doch diese von der Wehrmacht begangenen Verbrechen waren Völkerrechtsverbrechen, die nach dem IV. Haager Abkommen und der zu seiner Umsetzung geschaffenen Haager Landkriegsordnung von 1907 zwingend Entschädigung und Bestrafung hätten nach sich ziehen müssen.
Willi Dreeßen, Leiter der Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen für die Ermittlungen gegen NS-Verbrecher in Ludwigsburg, schrieb im Jahre 2001: »Als Ergebnis bleibt, daß Zehntausende griechische Zivilisten in Hunderten von Ortschaften erschossen, verbrannt, erschlagen oder grausam zu Tode gefoltert wurden. Zur Verantwortung gezogen wurde dafür niemand. Vor allem die Ermittlungsbehörden, d.h. die Staatsanwaltschaften, aber auch die Gerichte einschließlich des Bundesgerichtshofes haben durch ihre Entscheidungen zu diesem Ergebnis nicht unmaßgeblich beigetragen.«
Allein im besetzten Griechenland haben die Gebirgstruppen von Wehrmacht und SS – das Edelweiß an der Uniform setzte die Bevölkerung in Entsetzen wie die SS-Rune – mindestens 325 Dörfer zerstört; meist wurden die Bewohner umgebracht. Die Befehle – begründet mit der Absicht, jeden Widerstand der Bevölkerung auszuschalten – waren verbrecherisch, verbrecherisch war auch ihre Befolgung.
In einem Befehl vom 7. Juli 1943 gab der Kommandeur der 1. Gebirgsdivision, General Walter von Stettner, folgende Richtlinien für die »Kampfführung«: »Alle Ortschaften, die den Banden als Zuflucht dienen können, sind zu zerstören, die männliche Bevölkerung ist, soweit sie nicht wegen Verdachts der Teilnahme am Kampf oder Unterstützung der Banden erschossen wird, restlos zu erfassen und als Gefangene abzuschieben. ... Jede Weichheit in der Behandlung der Bevölkerung wird der Truppe als Schwäche ausgelegt…« Der »Verdacht« reichte aus, um die gesamte männliche Bevölkerung einer Ortschaft zu erschießen. Ob Erschießung oder Abschiebung zur Zwangsarbeit – das lag im Ermessen des jeweiligen Einheitsführers der Gebirgsjäger.
Führende Bundeswehroffiziere haben immer wieder die Gebirgsjäger-Tradition verherrlicht – bis heute. So ließ General Klaus Reinhardt, der vor allem als NATO-Kommandeur auf dem Balkan bekannt wurde, in der Zeitschrift Gebirgstruppe die Rede veröffentlichen, die er zu Pfingsten 2000 beim Gebirgsjägertreffen auf dem Hohen Brendten bei Mittenwald gehalten hatte. Reinhardt, selber Gebirgsjäger, rühmte: »Die Gebirgstruppe der Bundeswehr ist von Männern aufgebaut und geistig ausgerichtet worden, die als Kommandeure, als Kompaniechefs und Kompaniefeldwebel die schreckliche Erfahrung des Krieges und der Diktatur am eigenen Leib erlebt und durchlitten haben. Sie haben die Uniform wieder angezogen, um uns, der nachfolgenden Generation, das Koordinatensystem ihrer Werteordnung« weiterzugeben. Reinhardt: »Diese Männer waren unsere Vorbilder, und sie repräsentieren eine ganze Generation von Wehrmachtssoldaten. Sie verdienen unseren Respekt genauso wie die vielen anderen Soldaten, die aus ihrer damals begrenzten Kenntnis der Vorgänge heraus im guten Glauben ehrenhaft gehandelt und gekämpft haben. Bei der Pflege dieser Tradition und ihrer Weitergabe an die nächste Generation hat der Kameradenkreis der Gebirgstruppe sein ganz besonderes Verdienst.«
Begrenzte Kenntnis! Sie sollen nicht gewußt haben, daß es nicht erlaubt ist, die Zivilbevölkerung besetzter Gebiete zu ermorden? Sie sollen ehrenhaft gehandelt haben, als sie entwaffnete Kriegsgefangene tausendfach erschossen? Und diese Tradition soll auch noch weitergegeben werden!
Ich dagegen soll, wie Kameradenkreis-Präsident Benkel fordert, meine Äußerungen nicht nur nicht wiederholen, sondern auch widerrufen. Da ich nicht widerrufe, kann es zu einer Gerichtsverhandlung kommen, sollte das Gericht weiterhin den Anträgen des Kameradenkreises und nicht der Vernunft folgen.
Erschienen in Ossietzky 17/2008
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