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Straßenszenen nördlich des Ibar
Hannes Hofbauer
In ihrem Siedlungsgebiet nördlich des Flusses Ibar hatten die Serben der Ausrufung der albanisch-kosovarischen Unabhängigkeit seit langem entgegengezittert. »Wir sitzen auf gepackten Koffern«, sagte uns ein dreifacher Vater schon ein Jahr vor dem Tag X, an dem »die Albaner ihren eigenen Staat machen werden«, wie er sich ausdrückte. Unter albanischen Verhältnissen und Politikern wollte er schon wegen der Kinder nicht bleiben. Der 34jährig Techniker hatte keinen Zweifel: »In einem albanischen Kosovo gibt es für meine Familie keinen Platz, keine Arbeit und die falsche Schule.«
Fünf Monate nach der kosovarischen Unabhängigkeit hat sich am offiziellen Status des Landes noch nichts geändert. Die Einreise über Kosovska Mitrovica läßt auch im Juli 2008 jeden symbolischen Hinweis auf »Kosova« (wie die Albaner das Land nennen) vermissen. Weiterhin herrschen UNMIK und KFOR; die von der EU vorbereitete Mission EULEX wird von Belgrad zu diesem Zeitpunkt abgelehnt und ist noch nicht installiert. Seit den gegenseitigen Vertreibungen des Jahres 1999 wird die Brücke über den Ibar von UNMIK-Polizisten und KFOR-Soldaten überwacht. Zu ethnisch motivierten Schießereien kommt es in letzter Zeit nur selten; die letzte Auseinandersetzung, die mit Kugeln ausgetragen wurde, liegt bei unserer Ankunft eine Woche zurück. Der ganze Norden des Kosovo ist französisches Besatzungsgebiet.
Die Wohnviertel im kleinen serbischen Teil von Kosovska Mitrovica, in dem 16.000 Menschen leben, sind stark heruntergekommen, gebaut wird wenig. Neun Jahre nach Kriegsende und fast ein halbes Jahr nach der Ausrufung der kosovarischen Unabhängigkeit ist für den verbliebenen Rest der serbischen Bevölkerung die Lage weiterhin zu unsicher, als daß hier jemand groß investieren würde. Viele leben von Unterstützungsgeldern aus Belgrad. Die dortige Regierung überweist serbischen Beamten im Kosovo einen doppelt so hohen Monatslohn wie ihren Kollegen im serbischen Kernland, um ihnen den Aufenthalt an der »Front« erträglicher zu machen. Anstatt durchschnittlich 200 Euro pro Monat erhält der in Staatsdiensten stehende Kosovo-Serbe 400 Euro. Die Bergleute, die einst in den Trepca-Minen gearbeitet hatten und mit der gewaltsamen Schließung durch die UNMIK im Jahr 2000 arbeitslos geworden waren, sollen mit 50 Euro monatlich auskommen. Andere Arbeit ist kaum zu bekommen. Zwei Drittel der früher Beschäftigen stehen auf der Straße.
Abends flaniert die Jugend über die Hauptstraße der Stadt, flankiert von notdürftig mit Tischen und Planen ausgestatteten Geschäften sowie wild durcheinander parkenden Autos. Auf den Gehwegen schlendern fein herausgeputzte Mädchen in kurzen und noch kürzeren Röcken sowie junge Männer mit allesamt modisch kurz geschorenen Haaren die kiosk-kapitalistische Meile entlang. Wir machen Rast in einer Cevapcici-Braterei. »Rostilj« steht in vom Grill verbrannten Buchstaben über dem Ofen zu lesen. Die Tomaten werden frisch geschnitten, dann die Zwiebeln; gegrillte Paprika und Joghurt vollenden – zusammen mit den Fleischbällchen – ein perfektes Mahl. Hier in Kosovska Mitrovica hat der Weltmarkt die Lebensmittelbranche noch nicht vollständig durchdrungen. Und das schmeckt man. Wo um diese Zeit würde man in Berlin oder Wien solche am Strauch durchgereiften Tomaten bekommen. Wie gut können Zwiebeln tun, wenn sie vor einem als Beilage zum Fleisch geschnitten werden. Der Besitzer der Braterei gibt sich als Goraner zu erkennen. Diese moslemischen Slawen haben weder im albanischen noch im serbischen Siedlungsgebiet von Kosovo ein leichtes Leben. Im Norden von Kosovska Mitrovica hat der knapp 30-Jährige ein Auskommen gefunden. Als wir gerade die Rechnung bezahlen, kommen sechs spanische KFOR-Soldaten den improvisierten Korso entlang. Maschinenpistolen im Anschlag, streifen sie an den Mädchen an, die so tun, als wäre es das Normalste auf der Welt, auf diese Weise »bewacht« zu werden.
Knapp vor Mitternacht wagen wir noch einen Spaziergang hinunter zum Ibar-Fluß. In einer Bar gleich neben der berühmt-berüchtigten Brücke, die die albanische von der serbischen Welt trennt, haben sich britische Männer bei Bier und Schnaps eingerichtet. Ihre Stiernacken und ihr breites Cockney verraten den Beruf. Es sind KFOR-Soldaten und UNMIK-Polizisten in Zivil, was sich auch bestätigt, als kurz darauf zwei von ihnen in ihren vierradgetriebenen Jeep mit UN-Kennzeichen einsteigen.
Direkt vor der utopisch anmutenden Stahlkonstruktion, die den Ibar überspannt, steht eine etwa fünf Meter hohe Stele mit vier aufragenden Marmorblöcken, auf denen die Namen jener Serben aus Kosovska Mitrovica eingraviert sind, die im Zuge der Kämpfe und Vertreibungen seit 1999 ihr Leben gelassen haben. Das Makabre daran: Die vierte Platte ist nur halb voll beschrieben, als ob der Steinmetz auf weitere Aufträge warten würde.
Vor allem der serbisch besiedelte Nordteil der Stadt ist wohl einer der politisch eigenartigsten und – was mögliche ethnische Konfrontationen betrifft – gefährlichsten Plätze im Europa unseres Jahrzehnts. Schon zeitig in der Früh fallen einem am nächsten Tag wiederum die KFOR-Soldaten auf. Immer sechs an der Zahl patrouillieren sie in Zweiergruppen vom Fluß herauf durch die breiteren Straßen. Das enge Gassenwerk hinter den Hauptwegen meiden sie. Die Trikolore am Oberarm weist den Trupp als Franzosen aus. Beim Händler für serbisch-nationale Devotionalien lassen sie sich mit Schnaps bewirten, während draußen vor der Tür ein weiteres Fahrzeug der französischen Armee dafür sorgt, daß die Burschen drinnen sicher saufen können. Es ist 9 Uhr 30, und dieser morgendliche Einstieg scheint ein eingeübtes Ritual zu sein, wenn man die routinierten Handbewegungen des Händlers richtig beurteilt, der sechs Schnapsgläser schon bereitgestellt hatte. Aus Dankbarkeit kauft einer der Besatzer dann noch eine Flasche Slivowitz für 10 Euro, bevor sich der kleine Trupp, die Maschinenpistolen immer über der Schulter, aus dem Laden auf die Straße begibt. »Bush – Thaci – Solana: Fuck off« steht auf einem der T-Shirts zu lesen, die vor dem Geschäft fürs heimische Publikum auf der Stange hängen. Daneben: »Kosovo je Srbija« (Kosovo ist Serbien) und das Photo der Brücke über den Ibar mit dem Schriftzug »No pasaran«. Das kleine Putin-Bildchen im Schaufenster ist nicht zum Verkauf gedacht, es erfüllt seinen Zweck als laizistische Ikone. Immerhin war es der russische Präsident, der zum Ende seiner Amtszeit den UN-Sicherheitsrat daran gehindert hat, die kosovarische Unabhängigkeit zu akzeptieren.
Von Hannes Hofbauer erscheint im Oktober das Buch »Experiment Kosovo: Die Rückkehr des Kolonialismus« im Promedia Verlag, Wien
Erschienen in Ossietzky 17/2008
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