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Die Kanzlerin konvertiert
Arno Klönne
Bis zum aktuellen Kaukasus-Konflikt schien die Lage klar: Die USA setzen darauf, das postsowjetische Rußland weltpolitisch aus dem Spiel zu drängen und geostrategisch einzukreisen, vor allem deshalb, weil sie im Nahen und Mittleren Osten sowie in Zentralasien machtpolitisch freie Hand haben wollen. Randstaaten Rußlands, so auch Georgien, werden zu diesem Zweck unter US-amerikanische Kontrolle gebracht, Polen wird als Bundesgenosse eingesetzt. Die »alten« EU-Staaten hingegen haben, was die Machtverteilung in »Eurasien« angeht, ihre eigenen Interessen; auch sie wollen kein starkes Rußland, aber doch den Ausgleich mit diesem Land, und sie halten an der »nordatlantischen Partnerschaft« fest, möchten aber eine Hegemonie der USA im eurasischen Terrain vermeiden. Die Bundesrepublik bewegte sich bisher auf diesem Kurs, auch die Merkel-Regierung trat gern vermittelnd auf, wo russische Interessen hier und US-amerikanische dort in diesem Terrain aufeinanderstießen. Selbstverständlich wirkten bei alledem auch unterschiedliche wirtschaftliche Interessen mit.
In dieses Bild paßt Angela Merkels Auftritt in der georgischen Hauptstadt ganz und gar nicht hinein. Krasser, als die deutsche Kanzlerin dort eine aggressive Politik gegenüber Rußland propagierte, taten dies auch nicht die Spitzenpolitiker der USA, die sich – von Bush über McCain bis zu Obama – in der Polemik gegen den angeblichen Aggressor Rußland einig sind. Merkel bediente sich einer anderen Ausdrucksweise als George W. Bush, inhaltlich jedoch bezog sie dessen Position: Georgien soll in die NATO aufgenommen werden, als erstes wird ihm militärische »Wiederaufbauhilfe« versprochen, der Herrschaftsanspruch Georgiens über Südossetien und Abchasien wird nicht in Frage gestellt, das georgische Gewaltunternehmen bleibt ohne Kritik, und Saakaschwili gilt als »demokratischer« Partner.
Offenbar war es nicht etwa Ungeschicklichkeit der Kanzlerin, die zu dieser Positionierung in Tbilissi führte. Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg erklärte, man könne davon ausgehen, daß für die Berliner Politik der Krieg im Kaukasus im Hinblick auf das Verhältnis zu Rußland »eine Veränderung, eine Zäsur« bedeute. Zusammenarbeit zwischen Staaten müsse »auf gemeinsamen Werten gründen«, und »die Anwendung militärischer Gewalt wie auch der Einmarsch in souveräne Staaten« passe nicht zu diesem »Wertefundament«. Gemeint war damit nicht der Angriff auf den Irak oder auf Jugoslawien, das versteht sich: Die Anklage wegen »Wertevergehen« gilt Rußland. Steg hätte präzisieren können: Militärische Gewaltakte gegen souveräne Staaten sind zu verurteilen, es sei denn, sie werden von Mitgliedern oder Anwärtern der NATO begangen. An dieses »Wertefundament« hat sich der georgische Präsident gehalten, als er Südossetien überfiel. Demnächst werden ihm zusätzliche Waffen geliefert, diesmal hat die Ausstattung nicht gereicht. Bushismus also.
Ob sich Merkel dem Bekenntnis zu einer europäischen »Mittlerrolle« im Konflikt zwischen den USA und Rußland aus Überzeugung anschloß, ist nicht zu klären. Deutlich ist aber, daß sie jetzt der US-amerikanischen Konfession beitritt: politische Aggression gegen Rußland, das als militärischer Aggressor im Kaukasus dargestellt wird. So läßt sich aus Saakaschwilis Aggressionsschlag Nutzen ziehen. Alles zu Lasten jener, denen die Krokodilstränen der Politiker gelten: der Menschen im Kaukasus.
Erschienen in Ossietzky 17/2008
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