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Das Völkerschachbrett
Matthias Biskupek
Wenn hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinanderschlagen, können wir modernen Menschen ausrufen: Ich war schon mal dort!
Nun kann man als alter Ostmensch nichts von Jugendlieben auf Zypern und Bildungserlebnissen im spanischen Baskenland erzählen. Doch wer unbedingt wollte, kam weit herum. Im Osten.
Ja, ich war zweimal – vor einem guten Vierteljahrhundert – in jener Gegend, die gerade wieder die Bekenntniskrieger herausfordert: Nieder mit dem Aggressor! Der heißt in den meisten amerikanisch-demokratischen Medien Rußland und eher selten Saakaschwili.
Einmal machte ich eine Busreise, immer hart am Südrand des Kaukasus, von Baku nach Tbilissi, jener Stadt, die die Georgier Bilissi aussprechen und die Öffentlich-Rechtlichen Tiflis. Ein andermal besuchte ich mit einer Gruppe von Schriftstellern Georgien und Armenien. Auf solchen Reisen gilt großes Interesse der Gruppendynamik – ein bißchen aber bekam ich doch von Ländern und Leuten mit.
Auf der Südkaukasus-Straße machten wir Station noch vor dem weit geöffneten Schlagbaum, der Aserbaidschan und Georgien damals verband – es war noch in Sowjetzeiten – und heute trennt. In der Stadt Scheki freundeten wir uns mit einer Familie an, die anderntags darauf bestand, uns wirkungsvoll durch den ganzen Ort zu unserem Bus zu geleiten. Es waren Armenier – wirklich begriffen habe ich den Sinn dieser Prozession mit deutschen Freunden durch die aserbaidschanische Stadt erst 1988, als der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um Karabach ausbrach.
In allen drei Kaukasus-Republiken siedelten Angehörige aller drei Nationen, dazwischen weitere Minderheiten und natürlich Russen. Ein friedliches Nebeneinander – wie mir schien. Doch die Titular-Nationen bestanden jeweils auf ihrem National-Ego. Die Georgier liebten, so hieß es, besonders die Deutschen. Die Armenier hatten Verbindungen nach Frankreich, und die Aseris wurden von den anderen ohnehin als Türken bezeichnet. In den georgischen Städten drehten blutjunge Machos in großen Wolgas und Tschaikas unermüdlich Runden. Wenn ein Georgier in Tbilissi mit Melonen im Gepäck ins Flugzeug stieg, diese auf dem Moskauer Markt verklingelte und wieder zurückflog, hatte er nicht nur den Flugpreis verdient. Im Kleinen geschah das, was heute im Welthandel normal ist: Der Preis der Ware wird nicht wirklich durch die Transportkosten bestimmt.
In den nördlicheren Sowjet-Gebieten wurden damals Kaukasier grundsätzlich als »Schwarze« bezeichnet; aber georgische und armenische Intellektuelle waren in den Moskauer Künstler-Zirkeln überaus beliebt. Im Normal-Volk waren Reisen in die subtropischen Gärten am Südrand der Union heiß begehrt. Der hingegen in den Neunzigern in Rußland einsetzende allgegenwärtige Tschetschenen-Haß machte vor anderen Kaukasiern nicht Halt – zu einer Zeit, als Nachwirkungen des Gorbatschow-Krieges gegen Alkohol spürbar wurden: Die Weinberge, Schatz vieler Südkaukasus-Völker, waren Brandrodungen zum Opfer gefallen.
Und nun gibt es also zwischen den traditionell befreundeten Georgiern und Russen seit dem Angriff der Saakaschwili-Truppen auf einen Teil der eigenen Bevölkerung erstmals wirklichen Haß. Wenn man den Medien trauen darf. Da wird die Aktion der russischen Truppen mit dem Einmarsch in Afghanistan verglichen. Da wird ein georgischer Erstschlag gegen die aufmüpfigen Osseten, die statt georgisch russisch sprechen, jubelnd begrüßt. Da werden andere ehemalige Sowjetrepubliken oder deren National-Vertreter bemüht. Und aufopfernd kämpfen immer wieder US-amerikanische Präsidenten – der scheidende wie die beiden designierten – für die georgische Demokratie. Unter welchen Sternen müssen Völker geboren sein, um einer demokratisch gelenkten Öffentlichkeit als Opfer zu erscheinen? Zum Beispiel Kosovo-Albaner, Bosnier und neuerdings Georgier? Oder als Täter, wie Serben und immer wieder Russen und Chinesen?
Man muß kein Westasien-Experte sein, um zu erkennen, daß der Angriff auf Zchinwali dem Staat Georgien nur Unglück bringen konnte – doch Männer, die in die Geschichte eingehen wollen, wie Saakaschwili, ficht so etwas nie an. Dieser Mr. President möchte sich den Eintritt in die NATO verdienen und endlich dafür belohnt werden, daß er Landsleute im Irak verheizen läßt.
Was wäre geschehen, wären die Russen nicht nach Ossetien marschiert, um die georgische Bomben-Truppe ihrerseits herauszubomben und nebenbei Teile Georgiens zu verwüsten? Würde die Welt dann von Völkermord, ethnischer Säuberung sprechen? Würden bundesdeutsche Menschenrechtsaktivisten mal kurzzeitig ihre Fixierung auf unterdrückte Autonomie-Ansprüche religiöser Minderheiten in China aufgeben?
Man könnte zum Vergleich auch die ethnische Säuberung des kroatischen Staatsgebietes von den Serben der Krajina – dreizehn Jahre her, keiner weiß mehr davon – ins Feld führen. Merke: Wir sprechen wieder Militärdeutsch: ins Feld führen.
Um nicht mißverstanden zu werden: Die territoriale Integrität der Staaten ist ein hohes Gut. Die im Fall Jugoslawiens oder Serbiens übrigens nichts galt. Ethnische Homogenität aber wird auf jenem Völkerschachbrett, das zwischen Europa und Asien liegt, im Land des Goldenen Vlieses wie der Arche Noah, nie erreicht werden – sie wäre auch nicht erstrebenswert. In ethnisch homogenen Gegenden – in Deutschland nennt eine zugelassene Partei sie »national befreite Zonen« – sollte man sich nur bewegen, wenn man ethnisch sehr, sehr homogen ist.
Erschienen in Ossietzky 17/2008
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