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Liegt es am Stoff oder an der Methode, also am Lehrstück? Stoff und Thema – das Töten in einer Revolution, hier der proletarischen – können ja wohl erregender nicht sein. Nur noch übertroffen durch die Idee, daß der Töter, so er einen Fehler macht, getötet wird, und das mit seinem Einverständnis. Das ist Stoff, aus dem Tragödien gemacht wurden. Brecht – und später Müller – zogen die Gattung »Lehrstück« vor, eine Erfindung des proletarischen Theaters am Ende der 1920er Jahre, zur Zeit der Verschärfung der kapitalistischen Widersprüche, der Weltwirtschaftskrise und des aufkommenden Faschismus als Speerspitze gegen die proletarische Weltrevolution. Das Genre kam aus der UdSSR, vor allem vermittelt durch Sergej Tretjakow und das Gastspiel des Mejerhold-Theaters 1930, das auf linke Dramatiker wie Becher, Brecht, Wangenheim und Friedrich Wolf stark einwirkte. Besonders Brecht nutzte das Genre für das von ihm erstrebte epische Theater. Später Heiner Müller und Helmut Baierl für die Entwicklung eines sozialistischen Theaters in der DDR (man denke an Müllers »Lohndrücker« und »Korrektur« in den 1950er Jahren, um 1970 »Philoktet«, »Der Horatier«, »Hamletmaschine« und eben »Mauser«). Es geht um Möglichkeiten zugespitzter Darstellung von Widersprüchen. »Damit etwas kommt, muß etwas gehen«, heißt es bei Müller. Gegangen wird nicht freiwillig, meist mit Widerstand, der gebrochen werden muß – auch durch Töten. Das ist die revolutionäre These beider Stücke. Im Lehrstück sollen die Lehrenden lernen, also auch die Darsteller selbst. Da können Texte, Positionen, Rollen ausgetauscht werden. Castorf geht so weit, Texte von »Mauser« in die »Maßnahme« zu montieren. Brecht hielt viel von diesem Genre, verabsolutierte es eine Zeitlang, hielt »Die Maßnahme« für sein bestes Stück, es ging ihm um die »Lehre«, die reine, die neue, und er nahm die Lehrstück-Theorie nie zurück, änderte aber solche Ansichten und die Theater-Ästhetik wie -praxis. Vom Lehrstück als Allheilmittel fürs Theater kam man wieder ab, aber »Die Maßnahme« ist für Brechts Entwicklung und Veränderung ein Schlüsselstück – das Thema bleibt erregend, auch wenn es schon überholt war, als Müller es noch verschärfte, radikalisierte. Der Stoff ist Scholochows großem Roman »Der stille Don« entnommen; Ort der Handlung ist Witebsk (»steht für alle Orte, an denen eine Revolution gezwungen war, ihre Feinde zu töten«). Programm und Konsequenz bei Brecht : »Wer bist du?/ Versinke in Schmutz/ Umarme den Schlächter, aber/ Ändere die Welt: sie braucht es!/ Lange nicht mehr hören wir euch als/ Urteilende. Schon/ Als Lernende.« [...] Und: »Aber auch euer Bericht zeigt uns, wieviel/ Nötig ist, die Welt zu verändern:/ Zorn und Zähigkeit, Wissen und Empörung/ Schnelles Eingreifen, tiefes Bedenken/ Kaltes Dulden, endloses Beharren/ Begreifen des Einzelnen und Begreifen des Ganzen:/ Nur belehrt von der Wirklichkeit, können wir/ Die Wirklichkeit verändern.« Bei Müller dann so: »Aber die Revolution braucht/ Dein Ja zu deinem Tod. Und er fragte nicht mehr/ Sondern ging zur Wand und sprach das Kommando/ Wissend, das tägliche Brot/ Ist der Tod ihrer Feinde, wissend, das Gras noch/ Müssen wir ausreißen, damit es grün bleibt./ [Chor]: Tod den Feinden der Revolution.« Das wird nun mit erheblicher Lautstärke, Lichteffekten und großen Arrangements über die Rampe gebracht. Und dennoch: Es blieb intellektuell unterkühlt, agitatorisch (wie es gemeint war) und zündete nicht recht. Überzeugte es noch am Anfang und bis über die Mitte, ja sogar annähernd zwei Stunden, verröchelte der Abend in einer dritten Stunde Langeweile – obwohl ein wahrhaftig-starker Schauspieler wie Hermann Beyer und Kollegen wie der »Volksbühnenchor« ihr Bestes gaben. Woran lag es? An der Gattung, an der gesellschaftlichen Situation wie an der Machart selbst. An veränderter Lage. Brecht hat mit gutem Grund vom »Lehrstück« später abgelassen, Müller nach 1977 ebenfalls: Die Lage war nicht so. Ist sie es jetzt? Zweifellos spitzen sich politische Widersprüche zu, die soziale Lage tendiert zum Schlechteren wie die kulturelle auch. Aber reicht das? Thema und Genre selbst sprechen nicht mehr für sich. Manche Thesen sind wichtig, dringen ein. Aber nach 100 Minuten waren sie ausgereizt. Sechsfache Wiederholung macht eine Wahrheit weder wahrer noch überzeugender. Und ein ganzes Stück zu wiederholen, erst recht nicht. Nachdem Castorf »Mauser«-Texte schon in »Die Maßnahme« eingefügt hatte, ließ er in einer zweiten, von Meg Stuart inszenierten Fassung das ganze Stück noch einmal spielen. Wenn auch einige Akzente etwas anders gesetzt waren, Neues brachte das nicht. Nur immer wieder dieselben Sätze. Ein völlig überflüssiges Ballett verlängerte den Abend noch. Man hatte den Eindruck, daß Castorf unbedingt einen Schluß haben wollte, aber keinen fand. Frage: Muß es einen Schluß geben, wenn Prozesse dargestellt werden? Die Urheber beider Werke haben mit ihren Chören eine Art Opernschluß gegeben – mit einer Tendenz-Sentenz. Das reicht. Zu viel der Regie! Substanz aber bleibt, wird transportiert. Daß der selten gespielte Koloß »Die Maßnahme« sein Knirschen hören läßt – nur gut, nur zu! Genosse »Mauser« sollte lieber verstummen!
Erschienen in Ossietzky 16/2008 |
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