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März 1958 hatte der Bundestag beschlossen, die gerade erst von Nazi-Generalen wie Speidel und Heusinger aufgebaute Bundeswehr mit Atombomben zu bewaffnen – ein Beschluß, den der Bundestag bis heute nicht aufgehoben hat. Über die Aufklärungsveranstaltungen und Protestaktionen hinaus, wie sie an vielen Hochschulen stattfanden, organisierte ich an der Universität Hamburg eine erfolgreiche Urabstimmung der Studentenschaft, und ich gehörte dann – gemeinsam mit Ulrike Meinhof (Universität Münster), mit der ich vertrauensvoll-freundschaftlich zusammenarbeitete – zum fünfköpfigen Sprecherkreis der studentischen Anti-Atom-Gruppen. Ich arbeitete auch im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) mit, wo ich in heftige Auseinandersetzungen geriet, weil die SPD uns unter Druck setzte: Sie wollte den »Kampf dem Atomtod«, dessen Führung sie zeitweilig beansprucht hatte, baldigst beendet wissen. Ich gehörte dem Hamburger Studentenparlament an und war Delegierter des Verbandes Deutscher Studentenschaften, der dem Weltstudentenbund nicht angehörte, sondern einer kleineren westlichen Internationale. Von Berlin-Schönefeld, einem Flugplatz, den man damals im Westen kaum dem Namen nach kannte, es genügte zu wissen, daß im Osten der Russe war, flog ich über Moskau, Omsk, Nowosibirsk und Irkutsk. Beim Aufenthalt in Moskau begrüßte mich ein sowjetischer Journalist – so jedenfalls stellte er sich vor –, der mir vor allem viel über Ungarn erzählen wollte, wo Kardinal Mindszenty in der US-amerikanischen Botschaft lebte, um der Welt zu demonstrieren, daß in seinem Land der Russe die Menschenrechte unterdrückte. Der Russe, der mich informierte, hatte 1956 die Ereignisse miterlebt, die im Westen blutig niedergeschlagener Volksaufstand hießen, von ihm aber hauptsächlich als gescheiterter westlicher Aggressionsversuch dargestellt wurde: Er selber habe die großen Verstecke mit US-amerikanischen Waffen gesehen, die dort angelegt gewesen seien. Er kündigte an, daß er mich bei meiner Rückreise wieder treffen und mir Fotos aus Ungarn geben wolle. Daraus wurde nichts. Nach der Ankunft in Peking fielen mir als erstes blaue Hochhäuser auf. Näher besehen, erwies sich das Blau als das der Anzüge von vielen hunderten, wenn nicht tausenden Menschen, die an den Rohbauten arbeiteten. Zwei Wochen später, als ich zum Flughafen fuhr, waren die Hochhäuser fertig. Das Tempo imponierte mir. Es waren die ersten Pekinger Hochhäuser. Im wesentlichen bestand die Stadt damals noch aus eingeschossigen Lehmbauten in ummauerten Höfen. Hochmodern, jedenfalls nach damaligem Standard, war das Hotel der Auslandschinesen am Tor zur Südstadt, wo ich mit vielen Kongreßteilnehmern untergebracht war. Hier besuchte uns Ministerpräsident Tschu En-Lai – mit besonderem Interesse an einem Deutschen, der Göttingen kannte, wo Tschu einst studiert hatte. Eine gemeinsame Göttinger Erklärung von 18 Atomforschern hatte 1957 den »Kampf dem Atomtod« ausgelöst. Ein Deutscher fragte sich nach mir durch: ein Kaufmann namens Flatow, der in Peking die Interessen des Stahlhandelskonzerns Otto Wolff von Amerongen vertrat. Er stellte sich mir als der einzige in China lebende Bundesbürger vor. Andere Nazi-Verfolgte, die in China Asyl gefunden hätten, seien meist während des Bürgerkriegs Ende der 1940er Jahre nach Europa zurückgekehrt. Wenn noch einige von ihnen geblieben seien, tendierten sie zur DDR und würden von deren Botschaft betreut. Er dagegen sei ganz auf sich allein gestellt. Welch ein Unsinn sei doch die Hallstein-Doktrin, mit der sich die BRD diplomatische Beziehungen zu China verbiete, solange es die DDR anerkenne. Die Volksrepublik verdiene Respekt: Sie habe im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens den Hunger überwunden und sei noch zu viel größeren Leistungen fähig. Flatow lud mich in sein Appartement im »Hotel Peking« (nicht weit vom Winterpalast) ein, fragte viel, wollte über die studentische Opposition in der Bundesrepublik alles ganz genau wissen. Die Kongreßteilnehmer aus der DDR – in den blauen Hemden der Freien Deutschen Jugend – hielten sich von mir fern. Ihre größte Aufmerksamkeit wie auch meine galt den Delegierten der Studentenverbände aus den arabischen Ländern, aus Afrika und Lateinamerika; zumeist waren es die Vorsitzenden. Der nordkoreanische und der nordvietnamesische Verband luden mich zu mehrwöchigen Rundreisen durch ihre Länder ein, zuvor sollte ich 14 Tage mit den meisten Kongreßteilnehmern durch China reisen. Ich wußte: Das würde mir in meinem Leben nicht nochmals geboten. Aber ich lehnte sofort ab. Zwar hatte ich Semesterferien, aber ich wollte nach den beiden Kongreßwochen pünktlich nach Hamburg zurückfliegen. Denn im Rowohlt Verlag, in dessen Lektorat ich neben dem Studium und den politischen Aktivitäten mitarbeitete und ein bißchen Geld verdiente – geleitet von Willi Wolfradt, der einst vor der Vertreibung durch die Nazis Autor der Weltbühne gewesen war –, hatte ich mich ebenso wie bei meiner Familie für zwei Wochen Wanderurlaub in der Lüneburger Heide verabschiedet. Nach Peking fliegen? Nein, das hätte ich damals niemandem plausibel machen können. Und ich berichtete auch nur unter Pseudonym darüber – in konkret und in der Jugendzeitschrift Eisbrecher. Daß ich alle weiteren Einladungen ausschlug, war mein Glück. Nach der China-Rundreise wollten die meisten – unter ihnen der DDR-Delegationsleiter, Horst Schröder hieß er, und die bildschöne, temperamentsprühende Venezolanerin, an der mein Blick oft hängen geblieben war – über Moskau in ihre Heimatländer zurückkehren. Die Sondermaschine stürzte ab. Niemand überlebte. Sabotage? Im Kalten Krieg, der noch längst nicht zu Ende ist, kam sowas vor. Ich verschlief meinen Rückflug. Einen Tag später bekam ich ein kleines Flugzeug, das in Ulan Bator zwischenlandete: auf dem mit Gras bewachsenen Abhang eines Hügels, zwischen vielen Menschen, die im Gras saßen und warteten. Ein Ingenieur aus der DDR unterhielt mich: Ein Vierteljahr zuvor sei er erstmals in China gewesen, habe eine moderne Produktionsmaschine installiert und Arbeitern die Bedienung gezeigt. Jetzt habe er nachsehen und über einen Folgeauftrag verhandeln wollen. Doch er habe feststellen müssen, daß inzwischen die Chinesen selber die Maschine dutzendfach nachgebaut hätten. Er war wütend. Der damalige konkret-Chefredakteur Klaus Rainer Röhl, den Ulrike Meinhof 1960 heiratete, was ich als Unglück empfand, schrieb später in seinem antikommunistischen Buch »Fünf Finger sind keine Faust«, ich sei in China Kommunist geworden. Das war falsch. Frei ausgedacht wie manches, was dieser Autor von sich gibt. Heute, fast 80jährig, schreibt er für allerreaktionärste Blätter.
Erschienen in Ossietzky 16/2008 |
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