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Unter anderem auf Initiative von Kirchen, manchmal auch von jüdischen Organisationen kam es zu zahlreichen interreligiösen oder interkulturellen Dialogen und Trialogen. Der 11. September 2001 war eine Zäsur. Namentlich die Kirchen beteiligen sich seitdem weniger an Friedenswerken. Mir sind sogar eifernde Pfarrer begegnet, die blutrünstige Verse des Koran als Beweis zitierten, daß Muslime zum Töten Ungläubiger verpflichtet sind: »Wenn ihr auf die, die ungläubig sind, trefft, dann schlagt ihnen auf den Nacken« (Vers 4/Sure 47) – womit Enthauptung gemeint ist. Die blutrünstigen Stellen des alten Testaments werden da vergessen und natürlich auch Jesu Ausspruch in Matthäus 34: »Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.« Wie seit jeher in der ideologischen Kriegsführung setzt man die schlimmsten Seiten der gegnerischen und die Schokoladenseiten der eigenen Kultur in Kontrast. Dabei ist der Kulturkampf nur der Nebelvorhang, hinter dem sich die wirklichen Interessenkämpfe verbergen, die um Energieressourcen und ihre Transportwege geführt werden. Seltener noch als die wahren Gründe des Konflikts mit dem Islam erläutern die Medien die politischen Bündnisse und Strategien, die seine Entwicklung strukturieren. Häufig gerät aus dem Blick, daß die wichtigste islamische Großmacht zu den wichtigsten Verbündeten des Westens gehöret: Saudi Arabien. Die Herrscher dieses Landes vertreten eine besonders reaktionäre Variante des Islam, die bestrebt ist, die bei den arabischen Beduinen erhaltene feudale Hierarchie und das frühmittelalterliche Patriarchat zu konservieren. Gemeinsam vor allem mit US-amerikanischen Erdölgesellschaften erschließen die Saudis nicht nur Quellen auf ihrem eigenen Territorium, sondern schon seit Jahrzehnten auch in anderen Regionen. Zu den kulturellen Eigenheiten der saudischen Herrscher gehörte lange Zeit eine völlig andere Nachrichtenpolitik, als sie der Westen betreibt: Statt eine Flut von Halbinformationen lieferte das Königreich traditionell keine oder nur äußerst spärliche öffentliche Verlautbarungen. Deshalb war es lange schwer, dieses Regime einmal beim Wort zu nehmen. Nur wenigen aufmerksamen Beobachtern ist bewußt, daß die seit nunmehr vierzig Jahren zu beobachtende stärkere Akzentuierung des Glaubens, der feudalen Hierarchien und des Patriarchats in der islamischen Welt damit zusammenhängt, daß die Saudis bestrebt sind, ihre enormen finanziellen Mittel für die Erringung kultureller und politischer Hegemonie einzusetzen. Seit der Niederlage der vom säkularisierten Ägypten angeführten arabischen Staaten im Sechstagekrieg gegen Israel finanziert Saudi Arabien nicht nur Widerstandsorganisationen der Palästinenser, sondern immer mehr religiöse Vereine in der ganzen Welt, darunter einen Großteil der Moscheen und – was noch weniger bekannt ist – auch ein weltweites Sozialhilfenetz, das bedürftige Muslime in und außerhalb der islamischen Welt in Anspruch nehmen können. Bedingung ist, daß sich die unterstützte Person und deren Familie zur Einhaltung der islamischen Riten bereiterklärt, wie sie die Wahabiten verstehen. (Ibn al Wahab war im 18. Jahrhundert Begründer der fundamentalistischen Sekte, aus der die heutigen Saudis hervorgingen.) Dazu gehört nicht nur der regelmäßige Moscheebesuch, sondern auch die Verschleierung der Frauen. Nichts anderes als dieser Mechanismus steckt hinter der wundersam eiligen Extremislamisierung ehemaliger Sowjetrepubliken, die großen Teilen ihrer Bevölkerungen keine wirtschaftliche Lebensbasis mehr bieten konnten. Es ist kein Zufall, daß Ägypten und Algerien, wo die Sozialisierung von Industrie und Erdölquellen sowie die Säkularisierung am weitesten fortgeschritten waren, zu Hauptangriffszielen von Gruppen wurden, die hauptsächlich von den Saudis, zum Teil aber auch vom Iran unterstützt wurden. Das Ausmaß der Gewalt, besonders in Algerien, ist indes ein Indikator des Widerstands, den die Zivilgesellschaft der Wahabisierung entgegensetzte. Menschen, die sich selbst als Muslime definierten, sich der Wahabisierung jedoch verweigerten, benutzten als erste den Abgrenzungsterminus »Islamismus«. Islamisten selbst bekämpfen diesen Begriff, denn sie behaupten, es gebe nur einen einzigen Islam und zwar den, den sie vertreten. Viele islamistische Gruppen meinten nach 1989, für ihren Einsatz gegen den Kommunismus nicht genügend belohnt zu werden, und wandten sich gegen den Westen. 2003 forderte Präsident Clinton deshalb vom saudischen Staat, daß er keine Gruppen mehr finanzieren dürfe, die den Islam mit Gewalt verbreiten. Diesem Verlangen scheint der saudische Staat zu entsprechen. Doch das half bisher wenig, denn es kam zur Dissidenz von Bin Laden, zum Aufbau von Al Kaida, die auch den saudischen Staat als Feind betrachtet. Wichtig für das Verständnis des Islamismus ist auch die Konkurrenz zwischen Saudi Arabien und dem Iran um die Hegemonie. Trotz der schiitischen Grundfärbung vertritt der Iran seit der Machtergreifung der Mullahs weltweit eine äußerlich ähnliche Form des Islamismus. Und doch stellt die Feindschaft zu den USA nicht den einzigen Unterschied dar. Der iranische Islamismus wurde auf eine Jahrtausende alte Hochkultur mit vielen Facetten und Toleranzpotentialen gestülpt. Die iranische Kultur läßt sich nicht dauerhaft gleichschalten; sie sichert der gesellschaftlichen Entwicklung weiterhin Dynamik. Und auch auf der arabischen Halbinsel stehen die Uhren nicht still. Hier hat eine gewaltige Bildungsrevolution stattgefunden – auch bei Frauen, die mittlerweile zu zehn Prozent berufstätig sind. Das Bedürfnis nach Emanzipation und Befreiung von diktatorischen Zwängen ist enorm. Vieles deutet an, daß Saudi Arabien seine Führungsrolle heute klüger wahrnimmt als früher. Das zeigen auch die Garantieerklärungen, die es im Namen der Arabischen Liga für das Existenzrecht Israels im Rahmen eines gerechten Friedens mit den Palästinensern abgibt.
Erschienen in Ossietzky 15/2008 |
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