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Auch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz hat eine »stark wachsende Islamfeindlichkeit« in ganz Europa festgestellt. Vorurteile und Feindseligkeiten gegenüber Muslimen und islamischen Gemeinden seien in allen europäischen Mitgliedsstaaten verbreitet und führten häufig zu Diskriminierung von Muslimen und zu sozialer Ausgrenzung. Die Kommission hat sich auch mit der Situation von Einwanderern, Flüchtlingen und Asylbewerbern beschäftigt und dabei festgestellt, daß sich das gesellschaftliche Klima gegen sie gewendet habe. Dies schlage sich auch in einer restriktiven Gesetzgebung nieder, die die Diskriminierung faktisch institutionalisiert. In diesem Zusammenhang läßt sich auch die zeitweise erregte Debatte um ein Kopftuchverbot und um Einbürgerungsprozeduren (»Muslim-Tests«) verorten. Längst schon hat sich die Kopftuch-Debatte sowohl in öffentlichen als auch in privatwirtschaftlichen Arbeitsbereichen stigmatisierend und desintegrierend ausgewirkt. Das Gezerre um ein Tuch hat geradezu groteske Züge angenommen – ganz so, als ginge es bei dem Verbot um eine präventive Antiterrormaßnahme. Kopftücher sind hierzulande zu einer Projektionsfläche für Überfremdungsängste und Islamophobie geworden. Entsprechend wecken sie bei vielen Menschen Ausgrenzungs- und Verbotsreflexe, die von Sicherheitspolitikern bedient, mitunter regelrecht geschürt werden. Nun gibt es im Verhältnis zu Muslimen nicht nur Überwachung und Kontrolle, Verbote und Ausgrenzung, sondern durchaus auch Bemühungen um Dialog und Ausgleich – allerdings mit recht unterschiedlicher Motivation. In Modellprojekten in Stuttgart, Essen, Berlin und weiteren Städten wurde eine Kooperation zwischen Polizei und Moscheevereinen erprobt. Bundeskriminalamt (BKA), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und einige Landesämter bemühen sich seit 2005 zunehmend um einen sogenannten Sicherheitsdialog mit islamischen Organisationen wie etwa dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) oder der »Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion«. Wie der ZMD mitteilte, ging es bei dem ersten Treffen Ende 2005 um »Sicherheitsfragen, den gesellschaftlichen Frieden und um eine Vertrauensbasis zwischen den Sicherheitsorganen und der muslimischen Bevölkerung, welche für die notwendige Zusammenarbeit mit den Behörden unerläßlich« sei. Dabei habe der ZMD »seine religiöse Pflicht« bekräftigt, »bei der Vorbeugung und Bekämpfung jeglicher terroristischer und extremistischer Handlungen mitzuwirken«. Im übrigen seien die islamischen Gemeinden zur eigenen Sicherheit auf Informationen des BKA und des Verfassungsschutzes angewiesen. Eine solch kooperative Haltung gefiel den beteiligten Sicherheitsbehörden, ist ihnen doch daran gelegen, so das BfV in einer Pressemitteillung vom 22.9.05, eine »Konzeption zu konkreten vertrauensbildenden Maßnahmen« zu erarbeiten. Dabei denken sie besonders an die »Verbreitung von Informationsmaterial über die Arbeit von Sicherheitsbehörden in Moscheen, die Teilnahme von Vertretern der Sicherheitsbehörden an Veranstaltungen der muslimischen Gemeinden, die gegenseitige Benennung von Ansprechpartnern zum konkreten Informationsaustausch«. Tatsächlich gibt es inzwischen in manchen Moscheen und islamischen Gemeinden »Kontakt- und Vertrauensleute« der Sicherheitsbehörden. Die zitierte Pressemitteilung des BfV bekräftigt die bloße Sicherheitsperspektive dieser Dialoge, ebenso eine Verlautbarung des BKA-Präsidenten Jörg Ziercke in einem Brief an den ZMD vom 28.09.2005, wonach der Dialog »einen Beitrag bei der Bekämpfung extremistischer Bestrebungen und Gefährdungen leisten« solle. Derartige Sicherheitsdialoge sind zwar nicht von vornherein abzulehnen – aber sie können für die nichtstaatlichen Dialogpartner höchst problematisch sein. Zum einen sind die Ansprechpartner in den Sicherheitsbehörden gleichzeitig Repressions- und Präventionsinstanzen, haben also eine Doppelfunktion. Zum anderen wird diese Art von Dialog das angespannte Verhältnis zwischen Muslimen und Sicherheitsbehörden kaum entkrampfen können. Eher wird das Verhältnis dadurch noch verschlechtert, daß sich viele Muslime und islamische Gemeinschaften durch einen solchen Diskurs als Problemfälle der »inneren Sicherheit« abgestempelt sehen – und eben nicht als gleichberechtigte Bürger, für die grundsätzlich die Unschuldsvermutung gilt. Solchen Sicherheitsdialogen, die sich konzentrisch auf die Religionszugehörigkeit beziehen, liegt ja die Annahme zugrunde, Moscheen und islamische Gemeinschaften seien Brutstätten des »Islamismus«, in denen Extremisten predigen und frische Terroristen heranziehen. Moscheegemeinden unter rein sicherheitspolitischen Aspekten zu betrachten, ist diskriminierend. Stigmatisierung kann durch »Sicherheitsdialoge« noch verstärkt werden – zumal diese mehr oder weniger gesellschaftlich aufgezwungen erscheinen und auch zur Besänftigung einer verunsicherten und verängstigten Bevölkerung inszeniert werden. Der gesellschaftliche Druck auf Muslime und ihre Gemeinden, sich zu rechtfertigen und vom Terror zu distanzieren, ist besonders nach Terroranschlägen enorm – so, als wolle man alle Muslime in »Geiselhaft« dafür nehmen, »was Islamisten oder islamistische Terroristen tun oder planen«, wie der inzwischen verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, kritisierte (taz 24./26.12.04). Das oft geäußerte Ansinnen aus Politik und christlichen Kirchen, Muslime sollten doch mit den Sicherheitsorganen verstärkt kooperieren und Verdächtiges und Verdächtige aus ihrem Umfeld melden – so beispielsweise Kardinal Karl Lehmann oder der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven (Netzeitung 13.07.05) – ist nicht weit entfernt von einer Aufforderung zu permanenter Denunziation. Allerdings könnte gerade zwischen den Partnern von »Sicherheitsdialogen« zumindest der Versuch unternommen werden, gegenseitiges Mißtrauen, Feindbilder und den Generalverdacht gegen Muslime abzubauen und Diskriminierungen vorzubeugen. Dann müßten allerdings auch die Sorgen und Ängste der Muslime und ihre Situation in diesem Land zum Ausdruck kommen und bei den Behörden Berücksichtigung finden – etwa die Auswirkungen überzogener Polizeimaßnahmen, die zu einer Verschärfung der Situation, zu Ausgrenzung und Gewalt führen können. Oder die Rasterfahndungen der vergangenen Jahre, deren kritische Aufarbeitung und Überprüfung auf Verhältnismäßigkeit im Lichte des einschlägigen Urteils des Bundesverfassungsgerichts überfällig ist – damit für die Zukunft Konsequenzen daraus gezogen werden können. Vor allem auch die Intensivierung der Aus- und Fortbildung von Polizei- und Verfassungsschutz-Beamten im Hinblick auf einen bürgerrechtlichen Umgang mit Muslimen und ihren Gemeinschaften müßte erklärtes Ziel solcher Veranstaltungen sein, ebenso die Vermeidung der Gefahr einer öffentlichen Stigmatisierung von islamischen Gruppen durch den Verfassungsschutz. Wesentlich wichtiger und produktiver aber als solche »Sicherheitsdialoge« ist eine offene gesellschaftliche Debatte über das Zusammenleben mit Muslimen, über soziale Ausgrenzung und Diskriminierung, über Selbstausgrenzung und »Parallelgesellschaften«, eine offensive und (selbst-)kritische Auseinandersetzung über das Verhältnis von Religion, Demokratie und Menschenrechten. Anzustreben ist also ein offener interkultureller Dialog mit Muslimen und ihren Gemeinschaften – ohne Berührungsängste und jenseits beschränkter sicherheitspolitischer Überlegungen. Eine nichtrepressive Debatte, die sich eine konsequente Politik der Entdiskriminierung zum Ziel setzt sowie eine Integration von Muslimen unter deren aktiver Teilnahme – das hieße aber auch: ohne das Ansinnen und ohne den Zwang, sich assimilieren zu müssen. Insoweit ist die von der Bundesregierung initiierte »Islamkonferenz«, die seit September 2006 tagt und auf etwa drei Jahre angelegt ist, ein überfälliger positiver Ansatz des interkulturellen Dialogs – auch wenn die Zusammensetzung der Konferenz immer noch Probleme bereitet und der gastgebende Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble seine sicherheitspolitische Brille nicht absetzen mag, sondern sich von der Konferenz eine Art »Frühwarnsystem« verspricht, also ein weiteres kriminalpräventives Instrument. Einer solchen Ausrichtung gilt es frühzeitig zu widersprechen, soll dieser Diskussionsversuch gelingen und zu einer bürgerrechtsverträglichen Integration beitragen. Wer das Gespräch mit Muslimen und ihren Gemeinschaften sucht, sieht sich häufig mit enormen Berührungsängsten von Seiten der Mehrheitsgesellschaft konfrontiert, mit Mißtrauen, ja mit Anfeindungen. Der Vorwurf der Blauäugigkeit ist noch der harmloseste, der dann erhoben wird, wenn man mit bestimmten inkriminierten Gruppen spricht oder dort referiert, zumal wenn sie vom Verfassungsschutz beobachtetet werden. Beispiel: die mitgliederstärkste islamische Gemeinschaft in Deutschland, Milli Görüs, die gelegentlich als »größte extremistische Ausländerorganisation« bezeichnet wird. Zwar gehe keine Gewalt von ihr aus, weiß der Verfassungsschutz zu berichten, aber sie weise hierarchisch-zentralistische Strukturen auf, sei »legalistisch islamistisch« und versuche, »Parallelgesellschaften« aufzubauen. Die Tatsache der Beobachtung durch den Verfassungsschutz und die Aufnahme in seine Berichte haben stigmatisierende Wirkung: Wer mit beobachteten Gruppen oder Personen dennoch das Gespräch sucht, kann wegen »Kontaktschuld« leicht unter Verdacht und selber unter geheimdienstliche Beobachtung geraten. Deshalb scheuen manche Personen und Institutionen solche Kontakte wie der christliche Teufel das Weihwasser. Eine solch obrigkeitshörige Haltung, Kontakt und Dialog nur deshalb zu verweigern oder abzubrechen, weil der Verfassungsschutz einen islamischen Gesprächspartner als Beobachtungsobjekt führt, ist nicht nur ausgrenzend und töricht, sie dürfte für einen notwendigen offenen und kritischen Dialog geradezu kontraproduktiv sein – selbst wenn islamische Gruppen und ihre Vertreter von außen oft nur schwer zu beurteilen sind und mit »unseren Wertvorstellungen« nicht kompatibel zu sein scheinen. Kaum überprüfbare geheimdienstliche »Erkenntnisse« und Extremismusvorwürfe sind ebenfalls schwer einzuschätzen und sollten schon deshalb nicht zum entscheidenden Kriterium für Dialogtauglichkeit werden. Ein führender Politiker, der sich offensiv wie kaum ein anderer der Verfassungsschutz-Logik und herrschenden Verteufelungspolitik zu entziehen verstand, der frühere Bremer Bürgermeister Henning Scherf (SPD), fungierte schon mal als Schirmherr der umstrittenen Islam-Woche in Bremen und pflegte bewußt den kritischen Dialog auch mit der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, die – so glaubte Scherf – nicht nur Fundamentalisten umfasse, sondern auch liberale Kräfte, die sich zur Demokratie bekennen. Ihm wurde deshalb »Gutmenschentum« vorgeworfen. Er lasse sich von einer undemokratischen Organisation instrumentalisieren, die auf diese Weise salonfähig werde und den interkulturellen Dialog dominieren wolle. Der Gipfel des Vorwurfs: Scherf stelle damit die Arbeit des Verfassungsschutzes in Frage. So wetterte der frühere Bremer Innensenator Kuno Böse (CDU) in der Lokalpresse: Es könne nicht sein, daß ein Teil der Exekutive solche Gruppen beobachte »und dann erleben muß, daß Amtsträger mit ihnen ›best friends‹ sind«. Scherf konterte die Kontaktverbotswünsche mit dem Hinweis darauf, daß Dialog Offenheit voraussetze und die Begegnung mit Muslimen gefördert werden müsse. Er wolle sich »nicht anstecken lassen von einem alles vergiftenden Vorurteil«. Diese Haltung verdient Respekt, ganz unabhängig davon, was man von Milli Görüs und anderen islamischen Gruppen inhaltlich-politisch halten mag. Das ist dann eine Frage der kritischen Auseinandersetzung. Inzwischen macht Scherfs Vorbild zuweilen Schule, jedenfalls ist eine gewisse Wende in Richtung Dialog zu verzeichnen. Der Bremer CDU-Politiker Jens Eckhoff, der ebenfalls versuchte, mit diffamierenden Behauptungen über die islamische Gemeinschaft Milli Görüs die Dialogbereitschaft Henning Scherfs in Mißkredit zu bringen, bezeichnete Milli Görüs als verfassungsfeindlich und stützte sich dabei auf ein nicht beweisbares Uralt-Zitat des bayerischen Verfassungsschutzes aus dem Jahr 1989 – als diese Gemeinschaft noch gar nicht existierte. Das belastende Zitat blieb aus Gründen des »Quellenschutzes« anonym – »ohne Angabe von Datum, Ort und Person«, wie das Hamburger Landgericht dann feststellte. Eckhoff wurde gerichtlich untersagt, dieses Zitat in der Öffentlichkeit weiter zu benutzen, und er unterlag in allen Instanzen: Eine unwahre Tatsachenbehauptung sei kein Beitrag zur Meinungsbildung und könne keinen Grundrechtsschutz beanspruchen, so das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg in letzter Instanz. Mit seiner Verteidigung, man müsse sich doch auf Aussagen des Verfassungsschutzes verlassen können, kam Eckhoff nicht durch und auch nicht mit dem hochnotpeinlichen Stoßseufzer: »Auf wen soll man sich denn sonst verlassen?« Vielleicht auf den Verfassungsschutz (VS) in Nordrhein-Westfalen? Doch auch der mußte nach jahrelangem Rechtsstreit in nichtöffentlicher Sitzung vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf einräumen, verleumderische Unwahrheiten über Milli Görüs verbreitet zu haben. Es habe sich unter anderem um eine falsche Übersetzung und falsche Behauptungen gehandelt, die nicht mehr verwendet werden dürfen (Aktenzeichen 1 K 4791/03, Beschluß VG Düsseldorf, 28.11.05). Ähnlich erging es dem VS in Bayern vor dem Verwaltungsgericht München und dem VS in Baden-Württemberg vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim – dort mußten ganze Passagen im VS-Bericht unkenntlich gemacht werden. Und dennoch: Die geheimdienstliche Beobachtung von islamischen Gemeinschaften geht munter weiter, sie dürfte inzwischen noch verstärkt worden sein.
Erschienen in Ossietzky 15/2008 |
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