von Utz Anhalt (sopos)
Der Fahrer von Usama Bin Laden, ein ehemaliger Insasse von Guantánamo, wurde in den USA der "materiellen Unterstützung des Terrorismus" schuldig gesprochen. Der Prozess, ein Militärtribunal, soll als "Kriegsverbrecherprozess" viele weitere Verfahren gegen Guantánamo-Häftlinge einleiten. Ein übler Anfang, denn nach rechtstaatlichen Standards hätte der Angeklagte freigesprochen werden müssen. Die "materielle Unterstützung" bezieht sich auf mehrere Raketen, die angeblich in dem Wagen des Fahrers gefunden wurden. Der vernommene Zeuge konnte sich aber nicht daran erinnern, in welchem von mehreren untersuchten Fahrzeugen sich die Raketen befunden hatten. Noch grotesker ist, dass der Straftatbestand „materielle Unterstützung des Terrorismus“ bei den ersten beiden Anklagen gegen den Fahrer im Strafrecht noch gar nicht existierte. Es ist aber ein Grundsatz jeglichen Rechtsstaates, dass jemand nur wegen einem Tatbestand verurteilt werden darf, den es zum Zeitpunkt der Tat gab. Die Jury bestand aus amerikanischen Offizieren, die niemals ein Hehl daraus machten, dass der Angeklagte für sie in jedem Fall ein "feindlicher Kämpfer" ist. Im Rechtsstaat heißt das Befangenheit.
Aussagen des Angeklagten entstanden in Guantánamo – wie es verharmlosend heißt – unter "verschärften Haftbedingungen" wie zum Beispiel Schlafentzug. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International nennen diese "Bedingungen" Folter. Unter Folter erpresste Aussagen sind in keinem Rechtsstaat als Beweismittel anerkannt. Im Gegenteil, die Folter selbst ist ein Verbrechen.
Für den Angeklagten bleibt der Ausgang des Urteils egal: Die Bush-Regierung sagte deutlich, dass er in jedem Fall weiter in Guantánamo gefangen bleibt. Und dort werden ihm dann weiterhin, wie hunderten anderer "feindlicher Kämpfer" die elementaren Menschenrechte vorenthalten. Es hätte also in jedem Fall gar keines Prozesses bedurft. Das Tribunal erscheint wie ein Schauprozess aus der Sowjetunion unter Stalin. Der Angeklagte hat nur noch zu bestätigen, was der Präsident, die Regierung, die Jury, die Lagerkommandanten und die "Terroristenjäger" von Anfang an "wussten", nämlich dass er ein "feindlicher Kämpfer gegen die USA" ist. Er beteuerte bis zuletzt seine Unschuld, zu einer Bucharinschen Selbstbeschuldigung reichte es (noch?) nicht.
Der "Kriegsverbrecherprozess" legt einen Vergleich zu den Nürnberger Prozessen gegen die Naziverbrecher nahe - eine grauenhafte Verzerrung davon. Im Gegensatz zu dem, was die deutsche Rechte nach 1945 immer wieder postulierte, waren die Nürnberger Prozesse keine Siegerjustiz, bei der die Urteile feststanden. Viele mögliche Nazimassenmörder gingen straffrei aus, weil die Prozesse geradezu mustergültig rechtsstaatlich verliefen und das bedeutete, dass jemand, dem ein Verbrechen nicht hundertprozentig nachgewiesen werden kann, als unschuldig gilt. Ein emotionales Problem für die Opfer bestand und besteht darin, dass der Rechtsstaat – also Unschuldsvermutung, Beweislast des Anklägers, das Recht auf uneingeschränkte Verteidigung, Verzicht auf Folter, Rache und Selbstjustiz – auch für die Feinde des Rechtsstaates gilt. Die Stärke der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse lag gerade darin, dass die Attentäter, die jegliche Form von Rechtsstaatlichkeit vernichtet hatten, alle Möglichkeiten einer fairen Verhandlung genossen. Damit bewiesen die Siegermächte, dass sie sich vom faschistischen Terror nicht zum Gegenterror zwingen ließen. Falls Hitlers Chauffeur kein anderer Vorwurf hätte gemacht werden können, als dass er Hitlers Chauffeur war, hätte er in Nürnberg freigesprochen werden müssen. Juristische und moralische Schuld sind zwei verschiedene paar Schuhe.
Das Tribunal gegen Bin Ladens Fahrer, das System von Guantánamo, ist das Gegenteil der Nürnberger Prozesse. Hunderte von Menschen sind seit Jahren in Guantánamo lebendig begraben, ohne dass ihnen irgendeine Schuld nachgewiesen wurde – keiner von ihnen hat ein rechtstaatliches Verfahren bekommen. Die Losung lautet: Krieg gegen den Terror. Bei "Terrorismus" gilt der Bush-Administration die bloße Vermutung als Rechtfertigung, Menschen auf unbegrenzte Zeit die Freiheit zu rauben, sie zu demütigen, sie zu foltern, sie psychisch und physisch zu zerstören und in den Selbstmord zu treiben.
Al Qaida hat mit Rechtsstaatlichkeit nicht das Geringste zu tun, der bei manchen Linken verpönte Begriff des Islamfaschismus bringt die politische und ethische Substanz des Terrornetzwerks auf den Punkt. Gegenüber Faschisten, islamischer und anderer Couleur, ist die schärfste Waffe des Rechtsstaats jedoch immer noch der Rechtsstaat. Arabische Medien, die das Grauen von Abu Ghraib mit "Freiheit, Demokratie, Folter" kommentierten und damit die Heuchelei der Bush-Regierung brandmarkten, können sich durch diesen Prozess bestätigt sehen. Und sie hätten Recht.
Es geht dabei nicht darum, dass in Arabien, im Nahen Osten oder in islamischen Ländern die Menschenrechte oftmals keinerlei Wert haben. In den USA geht es, salopp gesagt, auch um das Putzen vor der eigenen Tür. Eine Anklage gegen die Verantwortlichen für Guantánamo und Abu Ghraib, Bush, Cheney, Rumsfeld u.a., und die Einleitung eines Prozesses gegen sie vor einem amerikanischen Gericht, wäre ein Signal der Glaubwürdigkeit. Ein solches Verfahren sollte kein Militärtribunal leiten, sondern durch ein ziviles, strikt rechtsstaatliches Gericht aufgearbeitet werden. Zu verhandelnde Delikte wären: Rechtsbeugung, Einführung der Folter, Kidnapping, Freiheitsberaubung, Verstoß gegen die Genfer Konvention, fahrlässige Tötung. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens könnte die Welt den Kampf des Rechtsstaats gegen Terrorismus als seriöses Anliegen ansehen und nicht als verschleierten Terror gegen Terror: "Wer immer gegen Monster kämpft, sollte aufpassen, dass er im Prozess des Kampfes nicht selbst zum Monster wird, denn wenn immer du in einen Abgrund blickst, blickt auch der Abgrund in dich hinein", so der beste Satz von Friedrich Nietzsche. Die Bush-Regierung hat den Schritt in den Abgrund längst vollzogen. Die erste Tat der nächsten US-Regierung muss die Abschaffung des Systems Guantánamo und die Wiedereinführung des amerikanischen Rechtsstaats sein.
Dr. Utz Anhalt ist Historiker und Redakteur der Sopos.
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sopos 8/2008